Berlin Mag der grüne Koalitionspartner den Bundesverkehrsminister noch so scharf kritisieren, Volker Wissing geht stoisch seinen Weg. Am Mittwoch stand der FDP-Politiker den Fachpolitikern im Verkehrsausschuss des Bundestags Rede und Antwort.
Zwei Stunden lang ging es um Klimaschutz, Tempolimit und Verkehrsprognosen – und es ging zu wie in einer verkehrten Welt: Die Opposition lobte den Minister, die Grünen tobten.
„Wer die Prognose anzweifelt, muss sagen, an welcher Stelle falsch gerechnet wurde“, gab sich Wissing unbeirrt. Der Prognose des Ministers zufolge soll der Verkehr bis 2051 deutlich wachsen – und zwar auf der Straße. Die Vertreter der Grünen sollen geschäumt haben, wie Teilnehmer berichten.
Zeitgleich verschickten Wissings Beamte den Gesetzentwurf an die Verbände, mit dem künftig nicht nur etliche Bahnstrecken, sondern auch 988 Kilometer neue Autobahnen beschleunigt gebaut werden sollen.
Das dazugehörige Gesetz hat Wissing noch gar nicht mit den anderen Ministerien der Regierung abgestimmt. Seine Beamten aber wissen: Anfang Mai will der Minister mit seinen Plänen ins Kabinett.
Wissing wird zur Reizfigur für die Grünen
Es rumort mächtig zwischen Wissing und den Grünen. Der Minister wird für die Grünen mehr und mehr zur Reizfigur. Seit Beginn der Woche ist er zudem ins Zentrum eines Koalitionsstreits gerückt, der sich darum dreht, wie die Beschlüsse des Koalitionsgipfels von Ende März auszulegen sind.
Im Ergebnispapier des Gipfels heißt es unter Punkt 1, man werde die Einhaltung der Klimaschutzziele künftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüfen. Ähnlich steht es auch im Koalitionsvertrag der Ampelpartner.
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Künftig soll vor allem darauf geachtet werden, ob die Gesamtbilanz stimmt, also die Emissionen in allen Sektoren unterhalb der CO2-Obergrenze liegen. Zu viele Emissionen in einem Sektor sollen durch andere Sektoren ausgeglichen werden können.
Die Liberalen sehen darin eine Abkehr von dem im Klimaschutzgesetz von 2019 festgeschriebenen Grundsatz, dass jeder emissionsrelevante Sektor – als etwa Verkehr, Industrie, Gebäude, Energie – jährlich bestimmte Reduktionsziele zu erfüllen hat. Nach geltender Rechtslage müssen die zuständigen Ministerien bei Verfehlung der Sektorziele innerhalb bestimmter Fristen Programme vorlegen, die dazu beitragen sollen, auf den vorgesehenen Pfad zurückzukehren.
Liberale halten jährliche Sektorziele für falsch
Die Liberalen fanden die jährlichen Sektorziele immer falsch. Die Grünen dagegen sind der Überzeugung, dass die Sektorziele im Grundsatz erhalten bleiben sollen.
Besonders provoziert fühlen sich die Grünen von Wissing, der nach ihrer Einschätzung jetzt schon so handelt, als hätte es die Sektorziele nie gegeben. Wissing könnte Nutznießer einer künftigen Regelung werden, denn der Verkehrssektor reißt regelmäßig die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes.
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Das Problem ist nur, dass die Koalitionspartner sich zwar auf eine Novellierung des Klimaschutzgesetzes verständigt haben, eine entsprechende Novelle aber noch nicht ausformuliert und schon gar nicht beschlossen ist.
Mittlerweile haben die Grünen klargemacht, dass sie von Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine Klarstellung zum Klimaschutz im Verkehr erwarten. „Geltende Gesetze werden eingehalten“, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic. „Was denn sonst?“
Nach geltendem Recht müsste Wissing ein Sofortprogramm vorlegen
Demnach müsste Wissing innerhalb von drei Monaten ein Klima-Sofortprogramm vorlegen, mit dem zu hohe CO2-Emissionen im Verkehrssektor reduziert werden. Doch daran fühlt sich Wissing nicht mehr gebunden. Ein Sprecher des FDP-geführten Bundesverkehrsministeriums hatte am Montag gesagt, er gehe davon aus, dass das überarbeitete Klimaschutzgesetz vorliege, noch bevor die Frist für ein Sofortprogramm nach den alten Regeln vorliegen müsse.
Der Verkehrssektor kann die Klimaziele nicht einhalten. Das Verkehrsministerium plant allerdings kein Sofortprogramm zur CO2-Reduktion.
Diese Frist läuft Mitte Juli ab. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner hatte diese Ausführungen als richtig bezeichnet und mit Blick auf die Ampeleinigung gesagt: „Es gibt jetzt eine andere Beschlusslage.“
Die Novelle des Klimaschutzgesetzes muss von Bundewirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgelegt werden; einen Zeitplan zur Vorlage gibt es nicht. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, sagte Grünen-Politikerin Mihalic. Wichtig sei es, zu einem „guten, ausgewogenen Gesetzentwurf“ zu kommen.
Union kritisiert Wissing
In der Union sieht man den Verkehrsminister in der Pflicht, ein Sofortprogramm vorzulegen. „Zum zweiten Mal in Folge wurde das Klimaziel im Verkehr gerissen. Ohne irgendeinen Zweifel hat der Verkehrsminister deshalb längst die gesetzliche Pflicht, ein Sofortprogramm vorzulegen. Daran ändern auch politische Verabredungen der Regierungsfraktionen nichts“, sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Sprecher der Unionsfraktion für Klimaschutz und Energie, Andreas Jung, dem Handelsblatt.
Ganz sicher könne sich der Kanzler „nicht einfach über geltendes Recht hinwegsetzen und Freibriefe ausstellen“, sagte Jung weiter. „Der Koalitionsausschuss ist eine Privatveranstaltung der Ampel und kein Verfassungsorgan.“ Er fügte hinzu: „Wenn die Ampel das Klimaschutzgesetz tatsächlich aufweichen will, muss sie das schon im Bundestag beschließen.“
Nach Zahlen des Umweltbundesamts haben der Verkehrs- und der Gebäudesektor 2022 erneut die Klimaziele ihrer Ressorts verfehlt. Der unabhängige Expertenrat für Klimafragen hatte die Zahlen im Wesentlichen bestätigt und vor einem Aufweichen des Klimaschutzgesetzes gewarnt.
Schützenhilfe erhält Wissing von seinem Parteifreund Lukas Köhler. Der Vizechef der FDP-Bundestagsfraktion sagte dem Handelsblatt, er gehe davon aus, „dass die Änderung des Klimaschutzgesetzes und die anderen im Koalitionsausschuss vereinbarten Maßnahmen zügig umgesetzt werden“.
Er sei sich sicher, „dass unter Berücksichtigung der nun bevorstehenden Änderungen des Klimaschutzgesetzes alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden“. Für das gemeinsame Klimaschutz-Sofortprogramm, das die Bundesregierung über die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes hinaus entwickeln will, werde Verkehrsminister Wissing „sicherlich eine ganze Reihe guter Vorschläge machen“, sagte Köhler.
Wirtschaft argumentiert wie die FDP
Teile der Wirtschaft stützen die Interpretation, dass mit dem Beschluss des Koalitionsausschusses das Ende der Sektorziele bereits eingeläutet ist. Die Sektorziele sind für viele Akteure der Wirtschaft seit geraumer Zeit ein Ärgernis. „Nach meinem Verständnis hatte sich die Koalition in ihrem Kompromisspaket darauf verständigt, statt der Sektorziele das übergreifende Gesamtziel zum Maßstab zu nehmen – und das auch rechtlich zu verankern“, sagte Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft.
Das bedeute aber nicht, dass in den einzelnen Sektoren nichts passieren müsse. „Der Blick auf die Gesamtziele ist wichtig, trotzdem bleiben alle Ressorts dem Klimaschutz verpflichtet“, sagte er. Den erzielten Kompromiss als Abkehr vom Klimaschutz darzustellen sei weder angemessen noch hilfreich.
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