Berlin, Düsseldorf Drei Ministerien, eine Partei und eine Kontroverse: Die grün geführten Bundesministerien für Wirtschaft, Landwirtschaft und Umwelt beharken sich beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Konkret geht es um das von Wirtschaftsminister Robert Habeck ausgegebene Ziel für Photovoltaik (PV). Der Vizekanzler will die jährlichen Installationen ab 2026 auf 22 Gigawatt steigern. Im laufenden Jahr liegt das Ziel noch bei neun Gigawatt.
Der heikle Punkt: Habeck will verankern, dass die Hälfte dieses Zubaus auf Freiflächen stattfindet. Damit sind vor allem Felder und Wiesen gemeint. Die von Cem Özdemir und Steffi Lemke geführten Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt halten das aber für hochproblematisch, wie das Handelsblatt aus Regierungskreisen erfahren hat.
Für Photovoltaik dürften nur „bereits versiegelte Flächen und wiedervernässte Moore“ genutzt werden, sagte ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums dem Handelsblatt. „Kritisch“ sieht auch das Umweltministerium Erleichterungen für PV-Anlagen auf Freiflächen, sagte eine Sprecherin. Das Haus von Umweltministerin Lemke begründet das mit der „ohnehin hohen Flächenkonkurrenz“.
Anfang März hatte Habeck seinen Plan vorgestellt. In seinem Ministerium hält man das Kreisen zufolge für alternativlos. Nur auf den Ausbau von PV auf Dächern zu setzen dauere viel zu lange. Damit würden die Klimaziele nicht erreicht.
Der Solarausbau ist ein entscheidender Pfeiler für die Energiewende. Elf Prozent des deutschen Stroms kamen 2022 aus PV, 2030 soll es mindestens doppelt so viel sein. Nach Wind wäre Sonnenenergie dann die zweitwichtigste Stromquelle Deutschlands.
Sorge vor grundsätzlicher Ablehnung von PV
Grundsätzlich hat der Vizekanzler für das Ausbauziel auch die Unterstützung seiner Partei und seiner grünen Kabinettskollegen. Doch nach Ansicht von Landwirtschaftsminister Özdemir und Umweltministerin Lemke stimmt bei Habeck in diesem Fall die Balance nicht.
Sie fürchten vor allem, dass der Ausbau der Solarenergie durch Habecks Freiflächenpläne zulasten der Landwirtschaft geht. Bauern, so die Befürchtung, müssten dann mit Energieerzeugern um Flächen konkurrieren – und auch mit deren Zahlungsmöglichkeiten. Das wäre angesichts der unterschiedlichen Renditen in Land- und Energiewirtschaft ein unfairer Wettbewerb.
Die Umweltministerin und der Landwirtschaftsminister unterstützen den vom Wirtschaftsministerium geplanten massiven PV-Ausbau – bloß der Weg dorthin sorgt für Diskussionen.
(Foto: Imago Images)
Manche Regierungsbeamte aus dem Landwirtschafts- und dem Umweltressort sehen die Gefahr, dass die Pläne den PV-Ausbau wegen gesellschaftlicher Bedenken eher bremsen statt beschleunigen könnten. Ein Beamter verweist auf die Entwicklungen bei der Windkraft. Jahrelang war Deutschland hinter seinen Ausbauplänen für Windkraftanlagen zurückgeblieben.
Aussagen über eine „Verschandelung der Landschaft“ bestimmten die Debatte, sorgten für Proteste von Anwohnern und verleiteten Lokalpolitiker zur Blockadehaltung. „Wenn bei der PV erst einmal das Narrativ vorherrscht, das verdrängt die regionalen Bauern, passiert uns womöglich genau das wieder“, sagt der Beamte.
Im Mai will Habeck seine finale PV-Strategie vorstellen. Die muss er nicht im Ressortkreis abstimmen. Habeck wird die Ziele aber in konkrete Gesetze gießen, damit es nicht bloß bei bedrucktem Papier bleibt. Dafür muss er die anderen Ministerien überzeugen. Der Zwist innerhalb der Grünen zeigt, wie kompliziert das werden dürfte.
Problem 1: Der Flächenverlust
Vor allem sorgen sich Vertreter aus den Häusern von Özdemir und Lemke über den Flächenfraß, der durch Habecks PV-Ziel weiter angetrieben werden könnte. Die nutzbare Agrarfläche in Deutschland nimmt seit Jahren ab, sie weicht oft Straßen und Häusern.
Derzeit werden deutschlandweit täglich 55 Hektar mit Gebäuden oder Straßen überbaut, gibt der Deutsche Bauernverband (DBV) an. Wenn die Hälfte des von Habeck geplanten Ausbaus wie geplant auf Freiflächen stattfinde, kämen bis 2030 schätzungsweise weitere 22 Hektar pro Tag hinzu.
Ende 2021 waren knapp 20.000 Megawatt PV auf Freiflächen installiert, was nach Schätzung des DBV etwa 20.000 Hektar entspricht. Nach Daten des bundeseigenen Thünen-Instituts wurden davon zuvor zwei Drittel als Acker oder Grünland genutzt.
„Das ist so nicht akzeptabel“, sagt Bauernverbands-Vizegeneralsekretär Udo Hemmerling. „Wir sind in großer Sorge, dass durch einen ungezügelten Ausbau der Photovoltaik vor allem ertragreiche Acker- und Grünlandflächen überbaut werden.“
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Das Bundeswirtschaftsministerium habe keine Informationen über den Flächenverlust durch das PV-Ziel, teilt dagegen Habecks Haus mit. Eine Sprecherin meint aber: „Der Anteil von PV-Freiflächenanlagen an der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird weiterhin äußerst gering bleiben.“
Die Sprecherin verweist außerdem darauf, dass derzeit 14 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für Energiepflanzen, vor allem Raps, in Anspruch genommen würden. Gäbe es mehr erneuerbare Energie, könne das reduziert werden.
Das Potenzial für PV-Anlagen auf Dächern und an Fassaden liegt laut Umweltbundesamt bei insgesamt 720 Gigawatt.
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Kritiker in der Regierung verweisen aber darauf, dass der Anbau von Energiepflanzen in Krisenzeiten schnell für Nahrungsmittel umgewidmet werden könnte. Das funktioniere bei PV nicht. Was sie zudem bestärkt: Möglicherweise wären die PV-Ausbauziele auch zu erreichen, wenn Habeck die Freiflächen beim Solarausbau komplett unberührt ließe. Untersuchungen des Umweltbundesamts stützen diese These. Das Potenzial für PV-Anlagen auf Dächern und an Fassaden liegt demnach bei insgesamt 720 Gigawatt. Gesetzlich vorgesehen sind 215 Gigawatt bis 2030.
Problem 2: Photovoltaik ersetzt Landwirtschaft
Doch dabei gibt es einen Haken: Der PV-Ausbau auf Dächern und an Fassaden geht zu langsam voran, um damit die Klimaziele zu erreichen. Das konstatiert auch das Umweltbundesamt. „Es mag theoretisch auch ohne Freiflächen möglich sein, aber das würde ewig dauern. Die Zeit haben wir nicht, es geht ums Klima“, sagt ein Regierungsvertreter aus Habecks Umfeld.
Die Langsamkeit des Ausbaus auf Dächern und an Fassaden hängt neben fehlenden Anbindungen zum Stromnetz insbesondere mit den Kosten zusammen. Die Installation von PV-Anlagen auf Freiflächen ist in der Regel deutlich günstiger, Investoren ziehen diesen Weg deshalb vor. Der Gesetzgeber hat zudem erst kürzlich erlassen, dass auf Flächen von bis zu 200 Metern neben Autobahnen und Schienen PV-Anlagen privilegiert, also nahezu ohne Verwaltungsaufwand, errichtet werden können.
Ende 2021 waren knapp 20.000 Megawatt PV auf Freiflächen installiert, was nach Schätzung des Bauernverbands etwa 20.000 Hektar entspricht.
(Foto: imago images/Jürgen Held)
Der Kostenpunkt ist für die Kritiker Habecks allerdings ein weiterer entscheidender Punkt. Denn die PV-Anlagen auf Agrarflächen sind nicht nur im Vergleich zu PV an Gebäuden günstiger, sondern auch im Vergleich zur landwirtschaftlichen Nutzung der Flächen.
Der wirtschaftliche Anreiz, von Ackerbau auf Solarenergie umzusteigen, wäre also hoch: Nach Berechnung des Thünen-Instituts kann die Grundrente, also grob gesagt der Gewinn, bei Freiflächen-PV derzeit jährlich mehrere Tausend Euro pro Hektar betragen. In der Landwirtschaft seien es dagegen im Durchschnitt nur rund 500 Euro, heißt es im Haus von Landwirtschaftsminister Özdemir.
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Der Run der Investoren treibt zudem die Bodenpreise insgesamt und macht es Landwirten so schwieriger, an Land zu kommen. 2020 betrug die jährliche Pacht je Hektar landwirtschaftlicher Fläche laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 329 Euro. Das ist ein Anstieg von 62 Prozent seit 2010.
Problem 3: Verdrängung von Bauern
Die hohen PV-Renditen locken Investoren und verdrängen Bäuerinnen und Bauern, monieren die Kritiker. Denn oft gehört ihnen das Land nicht, sie müssen sich stattdessen um eine Pacht bewerben. 60 Prozent der Agrarflächen sind gepachtet, teilt der Öko-Dachverband Bioland mit.
Das Bundeswirtschaftsministerium gesteht, man sehe die Problematik, erklärt die Sprecherin. Daher sei man bestrebt, die Agri-PV-Technologie weiter zu fördern. Agri-PV beschreibt eine Doppelnutzung: Anbau oder Viehwirtschaft auf dem Boden, darüber die PV-Anlagen. Nach Informationen des Handelsblatts wäre das die von Habeck bevorzugte Möglichkeit, um den Konflikt zu entschärften.
Bei der Technologie geht es um eine Doppelnutzung: Anbau oder Viehwirtschaft auf dem Boden, darüber PV-Anlagen.
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Auch die anderen grünen Ministerien befürworten die Technologie. Doch sie ist noch ziemlich neu, bislang kaum verbreitet und auf vielen Agrarflächen noch nicht anwendbar. Dass das Ausbauziel ab 2026 kein Problem wäre, weil dann schon Agri-PV im signifikanten Ausmaß möglich ist, sei ziemlich unwahrscheinlich, heißt es aus Kreisen des Landwirtschaftsministeriums.
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Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums entgegnet, dass die Regierung das selbst in der Hand habe. Agri-PV könne eine „Win-win-Situation darstellen“, weil die Anlagen neben der Stromerzeugung auch die Verdunstung auf den Feldern reduzierten und Schatten spendeten. Andere Länder würden zeigen, dass Agri-PV in signifikanten Größenordnungen schon in den nächsten Jahren umgesetzt werden kann.
Mögliche Kompromisse
Die drei grünen Ministerien diskutieren Regierungskreisen zufolge inzwischen Kompromisslösungen. Ein Vorschlag ist, einen Deckel für den Flächenverlust bei den Agrarflächen einzuziehen. Der könnte bei 130.000 Hektar bis 2030 und 280.000 Hektar bis 2040 liegen. Ob das das Grundproblem lösen würde, ist aber fraglich.
Die Naturschützer vom BUND fordern, direkt bei Habecks Ausbauziel einzugreifen. „Maximal ein Drittel“ der PV-Anlagen dürften auf Freiflächen installiert werden. Das Bundeswirtschaftsministerium will bislang aber nicht von seinem Ziel der Hälfte abweichen. Die Ministeriumssprecherin betont allerdings, im besten Falle komme es gar nicht dazu: Wenn die Installationen auf Dächern und an Fassaden schneller erfolgen, könne der Ausbau auf der Freifläche reduziert werden.
Ein anderer Weg für eine Lösung wäre das Grundstücksverkehrsrecht. Es ist explizit für den Schutz regionaler Bauern eingeführt worden, für sie ist etwa ein Vorkaufsrecht gegenüber Investoren vorgesehen. Allerdings beinhalten die Gesetze viele Schwächen, es wirkt in vielen Fällen nicht.
Die grünen Bundesministerien sind sich einig, dass Reformen im Grundstücksverkehrsrecht ein guter Hebel wären, auch um die Effekte des PV-Ziels zu minimieren. Allerdings ist der Rechtsrahmen seit 2006 Ländersache. Viele Länder haben das Grundstücksverkehrsrecht seitdem ignoriert, einige Reformversuche scheiterten.
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