Salvador Viele Jahre war er der Schatten hinter Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Wenn „Lula“ in seinen ersten Amtszeiten von 2003 bis 2010 in der Menschenmenge auftrat, war der Drei-Sterne-General Gonçalves Dias immer in seiner Nähe. Seit Anfang 2023 diente Dias in Lulas dritter Regierung als Minister der institutionellen Sicherheit. Doch vor Kurzem musste Dias zurücktreten. Es sind Videoaufnahmen aufgetaucht, nach denen er in den Putschversuch gegen Lula am 8. Januar verwickelt sein könnte.
Für die Regierung Lula ist diese Entwicklung problematisch. Denn die Opposition will einen Untersuchungsausschuss im Kongress installieren. Anhänger von Jair Bolsonaro, dem ehemaligen Präsidenten Brasiliens, verbreiten seit Monaten über soziale Medien das Narrativ, dass die Zerstörungen im Regierungsviertel von linken Agenten provoziert worden seien. „Im Kongress haben sie jetzt die Bühne, die sie wollen“, sagt der Politexperte Pedro Doria. Problematisch ist, dass ein Untersuchungsausschuss den Kongress über Monate blockieren könnte.
Gerade hat Lulas Finanzminister Fernando Haddad einen Gesetzesentwurf mit Budgetregeln eingebracht, der verhindern soll, dass Brasiliens Schulden weiter anwachsen. Doch nun sieht es so aus, als wäre die Regierung Lula ausgebremst, bevor sie überhaupt richtig mit dem Regieren begonnen hätte.
Dabei fühlen sich die Mittelschicht und die Wirtschaft zunehmend ignoriert in ihren Bedürfnissen. Umfragen belegen das: 38 Prozent der Brasilianer finden Lula nach hundert Tagen im Amt noch gut, 30 Prozent sind unentschieden. Vor allem bei den Themen Sicherheit, Gesundheit und Bildung hat Lula keinen Plan.
„Noch nicht mal vier Monate ist Lula im Amt“, sagt die bekannte Politkommentatorin Dora Kramer. „Doch nach den Anfangserfolgen überwiegen inzwischen Lulas Fehlentscheide.“ Der Politiker driftet immer weiter nach links.
Lulas Anfangserfolge
So überzeugte Lula, als er direkt nach seiner Wahl zum Klimagipfel COP 27 nach Ägypten reiste und eine radikale Veränderung zu seinem Vorgänger bei der Umweltpolitik ankündigte. Damit wurde Brasilien wieder attraktiver bei westlichen Regierungen. Diese vermieden Brasilien zuvor aufgrund der Umweltpolitik von Vorgänger Bolsonaro.
Lula zeigte Fingerspitzengefühl bei der Besetzung seines Kabinetts: Er bestimmte Marina Silva, seine ehemalige Umweltministerin zu einer der Schlüsselfiguren in seiner Regierung. Mit Sônia Guajajara ist erstmals eine Indigene als Ministerin für die Angelegenheiten der brasilianischen Urvölker im Amt.
Er holte zudem mehrere konservative Politiker ins Kabinett – wie den Vizepräsidenten und Wirtschaftsminister Geraldo Alckmin oder die Planungsministerin Simone Tebet. Beide sind ehemalige politische Opponenten Lulas und sollen den Draht zur Wirtschaft und den Landwirten halten. Diese hatten in der Vergangenheit weitgehend Bolsonaro gewählt.
Bei seinem Antritt am 1. Januar mit Vertretern der Zivilgesellschaft sah es so aus, als würde Lula nun das umsetzen, was er im Wahlkampf versprochen hatte: Er wollte als Präsident für alle Brasilianer regieren und das gespaltene Land wieder einigen. Diese Zusagen kamen gut an, weil Lula nur mit hauchdünner Mehrheit gewonnen hatte.
Lulas Ton hat sich verändert
Doch es kam anders. Auslöser war der Putschversuch vom 8. Januar. Lula ist misstrauischer und aggressiver geworden im Ton. Er zentralisiert die Regierungsgeschäfte immer mehr auf sich. Er macht nicht mehr den Versuch, ganz Brasilien zu vereinen. Er spricht vor allem zu seinen linken Anhängern.
Lula kritisiert regelmäßig die Zentralbank wegen ihrer Autonomie und der hohen Zinsen. Auch will er Gesetze rückgängig machen, die gerade den Armen Brasiliens besonders nutzen.
Ein Beispiel: Die nach langer Diskussion im Kongress 2019 eingeführte Reform der Abwasser- und Wasserversorgung will Lula per Dekret ändern. Öffentliche Versorgungsunternehmen sollen in den Gemeinden weiterhin als Monopolanbieter auftreten – nur um zu verhindern, dass private Unternehmen einspringen, die in den drei Jahren seither bereits umgerechnet rund 15 Milliarden Dollar investiert haben.
Fast 100 Millionen Brasilianer sind nicht an eine Kanalisation angeschlossen. Doch Lulas Arbeiterpartei will die Abwasserunternehmen kontrollieren, um ihre Anhänger mit Jobs zu versorgen. Ähnliche Rückschritte auf Druck der Gewerkschaften drohen im Bildungssystem.
>> Lesen Sie hier: Lula empfängt Lawrow – und brüskiert die USA und Europa
Der Staat, seine Konzerne und Banken sollen wieder im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen. Zu Korruptionsermittlungen behauptete Lula kürzlich, dass diese von den USA gesteuert seien, um die brasilianische Wirtschaft zu schwächen.
Linksruck zeigt sich in der Geopolitik
Besonders deutlich wird jedoch der Linksruck Lulas in der Geopolitik. Lula folge inzwischen außenpolitisch der traditionellen Linie seiner Partei, sagt Rubens Ricupero, Dekan der brasilianischen Diplomatie. „Er hört auf niemanden sonst.“
Lula sieht sich als Sprecher des globalen Südens. Die Brics-Staaten-Gruppe – also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – will er als Alternative zur G7 der Industriestaaten stärken. China ist der größte Handelspartner Brasiliens.
Problematisch ist das Vorgehen, weil Lula gleichzeitig als potenzieller Vermittler für den Frieden in der Ukraine auftreten will. Doch er zeigt mehr Verständnis für den Aggressor Russland als für das Opfer Ukraine. Er streicht seine Gemeinsamkeiten mit China heraus und brüskiert die USA und Europa. Das kommt gut an in Teilen Afrikas, Nahost und Lateinamerika – ob es zum Wohle Brasiliens ist, das wird sich zeigen.
>> Lesen Sie hier: Xi lehnt Beitritt Chinas zu Lulas „Friedensclub“ ab
Kaum von China zurück, reiste Lula nach Portugal und Spanien. Der G7-Gipfel in Hiroshima im Mai steht genauso auf der Agenda wie eine Afrika-Tour noch vor der Jahresmitte. Manchmal scheint es, als flüchte Lula bereits jetzt zu Beginn seiner Amtszeit am liebsten ins Ausland, wo er noch in allen Ehren empfangen wird.
Mehr: Lula 100 Tage im Amt: Deutsche Industrie setzt auf Comeback Brasiliens
<< Den vollständigen Artikel: Brasilien: Lula driftet immer weiter nach links >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.