Tel Aviv Der Konflikt um die israelische Justizreform wirkt sich auch auf die Bewertung des Landes an den Finanzmärkten aus. Die Ratingagentur Moody’s hat ihren Ausblick für Israel von „positiv“ auf „stabil“ reduziert – eine Art „gelbe Karte“ gegen das Land, ausgerechnet kurz vor den den Feierlichkeiten zum 75. Unabhängigkeitstag des Landes.
Das Rating begründet die Agentur mit der Justizreform und den Spannungen im Land. Moody’s sieht Gefahren für „die institutionelle und staatliche Stärke Israels“.
Unklar sei auch, ob bei der Reform noch ein Kompromiss gefunden werden könne. Das aber wäre nach Meinung der Analysten Voraussetzung dafür, dass Israel wieder an die „positiven wirtschaftlichen und fiskalischen Trends“ der vergangenen Jahre anknüpfen könne.
Vorerst überwiegt die Skepsis. Sollte die Koalitionsregierung die geplante Politisierung der Justiz und Entmachtung des Obersten Gerichtshofs ohne breite Zustimmung durchsetzen, sei es ziemlich klar, dass Israels derzeitige Kreditwürdigkeit in Gefahr ist, fasst die israelische Wirtschaftszeitung „Globes“ die Risiken zusammen.
Die Pläne der Regierung für eine Überarbeitung des Justizwesens und die Art und Weise, wie diese Reform gehandhabt wurde, hätten Schwachstellen in Israels Exekutive und Legislative aufgedeckt, so Moody’s. „Die Berechenbarkeit der exekutiven und legislativen Institutionen des Landes hat abgenommen“, heißt es im Bericht der Ratingagentur.
Netanjahu beschwichtigt
Die Regierung will die Kritik nicht gelten lassen. Die israelische Wirtschaft sei „stabil und solide“ und werde es „mit Gottes Hilfe auch bleiben“, wiesen Premier Benjamin Netanjahu und sein Finanzminister Bezalel Smotrich die Warnung in einer gemeinsamen Erklärung zurück. Die von Moody’s geäußerten Bedenken seien nur für jene nachvollziehbar, die nicht mit der Stärke der israelischen Gesellschaft vertraut seien.
Es mahnen indessen auch interne Kritiker. Beamte im Finanzministerium warnen zum Beispiel, dass der Schaden für die Wirtschaft mittel- und langfristig unvermeidlich sei, sollte sich der gegenwärtige Trend fortsetzen. Ein Rückgang des Wirtschaftswachstums und niedrigere Steuereinnahmen wären die Folgen.
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Israels Start-ups schlagen ebenfalls Alarm. Sie befürchten, dass Netanjahus Regierung die Innovationskraft der Nation gefährde. Führende Vertreter der Technologiebranche haben Bedenken, dass das Land an Anziehungskraft für Investoren verliere. Die aus Rechtsradikalen und Ultraorthodoxen zusammengesetzte Koalitionsregierung setze Israels Position als eine der führenden Tech-Nationen aufs Spiel.
Die ausländischen Investitionen sind bereits rückläufig. So wurden im ersten Quartal 2023 nur 1,7 Milliarden Dollar in lokale Hightech-Unternehmen investiert, verglichen mit 5,5 und 5,8 Milliarden Dollar in den ersten Quartalen 2021 und 2022. Israels Hightech-Industrie steuert derzeit 25 Prozent zu den Steuereinnahmen des Landes bei, beschäftigt elf Prozent der Arbeitnehmer und erwirtschaftet rund die Hälfte der Exporte.
Tech-Unternehmen und Notenbank kritisieren Politik
Die Schwierigkeiten, mit denen die Tech-Branche konfrontiert ist, seien zwar auch die Folge der globalen Krise, räumen Manager von Jungunternehmen ein. Aber Israels Probleme würden durch die Politik verschärft.
Fast 80 Prozent der Führungskräfte von Tech-Unternehmen gaben in einer Meinungsumfrage an, dass Treffen mit Investoren abgesagt wurden, und 30 Prozent geben an, dass sie aufgrund der unsicheren Lage an der Justizfront keine Meetings mit Investoren mehr hatten.
Die Justizreform der Regierung sei „übereilt“ und könnte die Unabhängigkeit der Justiz beeinträchtigen, kritisiert daher auch der Gouverneur der israelischen Zentralbank, Amir Yaron.
Auch im Ausland mahnen Experten, dass die angestrebte Reform für die Wirtschaft schädlich sei. So warnte der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, Ben Bernanke, in einem vom TV-Sender 13 News zitierten Interview, dass die geplante Reform des Rechtssystems „enormen Schaden anrichten“ würde. Inzwischen verliert der Schekel an Boden, da sich der Ausblick für Israels Kreditwürdigkeit und Konjunktur verdüstert. Zuvor hatte die israelische Landeswährung sich positiv entwickelt.
Gründer befürchten weiteren Schaden durch Netanjahus Politik
Wer Netanjahus aktuelle Politik mit früher vergleicht, stellt eine erstaunliche Wandlung fest. Am Anfang seiner langen Karriere hatte „Bibi“ Israel im positiven Sinn umgekrempelt. Er entfesselte vor zwanzig Jahren als Finanzminister die sozialistisch verkrustete Ökonomie. Der Aufstieg zur Hightech-Weltmacht ist nicht zuletzt seiner damaligen Liberalisierungspolitik zuzuschreiben. Früher, meint der Manager eines hochbewerteten Start-ups, sei Netanjahu einer der besten Finanzpolitiker gewesen. Jetzt aber habe er alle Rücksicht auf die Ökonomie beiseite geschoben.
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Sorgen bereiten der Wirtschaft nicht nur die Pläne zur Schwächung und Politisierung des Justizsystems, sondern auch der angekündigte massive Finanzierungsschub für ultraorthodoxe Schulen, an denen Fächer wie Mathematik oder Englisch nicht unterrichtet werden. Das werde sich negativ auf den Nachwuchs bei israelischen Tech-Fachkräften auswirken, befürchtet ein Firmengründer.
Inzwischen versucht Staatspräsident Isaac Herzog in Verhandlungen mit Vertretern der Koalitionsregierung und der Opposition, die Schäden der Reformpläne einzudämmern. In einer Reihe von Interviews zum 75. Unabhängigkeitstag des Landes gab er sich optimistisch, dass bei der Justizreform ein Kompromiss erreicht werden könne, um „die schwerste innere Krise in der Geschichte des Landes“ zu überwinden. Doch gleichzeitig steigt der Druck der außerparlamentarischen Opposition, die nichts von einem Kompromiss wissen will.
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