Brüssel Die EU-Kommission will die 19 größten Internetanbieter strengen neuen Regeln unterwerfen. Zu den Firmen gehört neben US-Branchenriesen wie Facebook, Twitter, Amazon und mehreren Angeboten von Google auch der deutsche Modehändler Zalando. Die chinesische Videoplattform Tiktok muss sich ebenfalls auf die verschärften Brüsseler Vorschriften einstellen.
„Mit Größe kommt Verantwortung“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Mittwoch. Den Unternehmen bleibt bis zum 25. August, die Vorgaben zu erfüllen. Breton kündigte an, dass die Kommission den Firmen bei der Umsetzung helfen werde.
Mit Twitter-Chef Elon Musk sei für Ende Juni ein Stresstest der neuen Kontrollsysteme vereinbart. Auch Tiktok habe einem Stresstest zugestimmt. Die ausgewählten Onlinedienste gelten künftig rechtlich als „Very Large Online Platforms“, kurz Vlops.
Mit der Entscheidung wendet die Kommission erstmals den Digital Services Act (DSA) an, der im vergangenen Jahr beschlossen wurde. Der DSA soll eine Art Grundgesetz für das Internet sein.
Brüssel fürchtet schon länger, dass Fake News und Hassrede in Onlineplattformen einen idealen Verbreitungsraum gefunden haben. In manchen Facebook-Gruppen oder Twitter-Bubbles entstünden Verschwörungstheorien, und Hass schaukle sich hoch – auf Kosten des Gemeinwesens. Breton mahnte, gerade der Facebook-Mutterkonzern Meta müsse stärker gegen Desinformationen vorgehen.
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Mit dem DSA wählt die EU einen anderen Weg als die Bundesregierung mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Statt bestimmte Äußerungen einzuschränken oder gar zu verbieten, wie etwa Beleidigungen oder Drohungen, will die EU mit dem DSA die Plattformen zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit ihrem Einfluss anhalten und auf die Algorithmen einwirken, nach denen Postings sortiert werden.
Welche Inhalte von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und welche nicht, entscheiden weiter die Mitgliedstaaten der EU. Ein Versuch, darüber einen Konsens unter den 27 Staaten herzustellen, wäre zum Scheitern verurteilt gewesen.
Der DSA wird weltweit stark beachtet. Politiker der Demokraten in den USA sehen ihn als Vorbild für eine mögliche Regulierung im eigenen Land.
Was ändert sich für die Nutzer sozialer Netzwerke?
Alle sozialen Netzwerke müssen offenlegen, nach welchen Kriterien sie Inhalte an ihre Nutzer ausspielen. Wer durch einen Youtube-Feed scrollt oder Twitter-Nachrichten liest, muss grob nachvollziehen können, wie die Sortierung dieser Inhalte zustande gekommen ist. Darüber hinaus gibt es Vorschriften für Werbung: Kriterien, nach denen Werbung einer bestimmten Zielgruppe ausgespielt wird, müssen erkennbar sein. Werbung gezielt an Kinder auszuspielen wird verboten.
Auch für Anzeigen, die aufgrund sensibler Daten wie der Hautfarbe erstellt werden, gilt künftig ein Verbot. Zudem müssen die Firmen den Kinder- und Jugendschutz verbessern, Eltern mehr Kontrolle darüber geben, was ihren Kindern bei Internetrecherchen angezeigt wird.
Was zeichnet die großen Plattformen aus?
Internetseiten mit mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern werden als Vlops, also „sehr große Onlineplattformen“, eingestuft. Betroffen sind vorerst: Alibaba Aliexpress, Amazon Marketplace, Apple App-Store, Booking.com, Facebook, Google Play, Google Maps, Google Shopping, Instagram, LinkedIn, Pinterest, Snapchat, Tiktok, Twitter, Wikipedia, Youtube und Zalando. Als „sehr große Onlinesuchmaschinen“ gelten Bing und Google Search.
Auf diesen Plattformen müssen Nutzer künftig eine Sortierung der Inhalte wählen können, die nicht auf einem persönlichen Profil basiert, das die Plattform von ihnen gemacht hat. Bei Twitter und Facebook werden solche Sortierungen bereits angeboten, bei Instagram und Tiktok nicht.
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Darüber hinaus müssen die Anbieter Wissenschaftlern und Behörden Informationen über ihre Algorithmen offenlegen. Das soll ermöglichen, die Dynamiken in sozialen Netzwerken besser zu verstehen.
Außerdem müssen die Plattformen regelmäßig Risikoberichte vorlegen. Damit sollen sie gezwungen werden, die Gefahr von Fake News und Hatespeech zu bewerten und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Breton sprach davon, dass die Unternehmen den „Gefahren für die Gesellschaft“ Rechnung tragen müssen, die von ihnen ausgingen.
Innerhalb von vier Monaten müssen die Plattformen die neuen Vorgaben umsetzen.
Wie will die Kommission die neuen Regeln durchsetzen?
Für die sehr großen Plattformen ist künftig die EU-Kommission zuständig. Die Aufsicht über die kleineren sozialen Netzwerke liegt dagegen im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten. Sollten sich die Plattformen nicht an die neuen Vorgaben halten, können die Aufsichtsbehörden Strafen verhängen.
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Diese können bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes betragen. Wenn das Unternehmen wiederholt Regeln bricht, kann es sogar die Betriebserlaubnis für Europa verlieren.
Auch für die Kommission ist die Umsetzung der komplexen DSA-Bestimmungen eine Bewährungsprobe. Daher will sich die Kommission auch Expertise von außen holen. Dafür hat sie das „European Centre for Algorithmic Transparency” gegründet, das technisches Wissen sammeln und der Kommission helfen soll, Risiken zu identifizieren.
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