Washington Bei seiner ersten öffentlichen Rede nach der Verkündung seines Antritts zur Wiederwahl ist Joe Biden unter Freunden. „Es ist so schön, euch zu sehen. Mann, tut das gut“, sagt er auf der Bühne im Ballsaal des Washingtoner Hilton Hotels, unweit des belebten Dupont Circle.
Mehrere Tausend Menschen sind zur Jahreskonferenz des Arbeiterverbands NABTU (North America’s Building Trades Unions) gekommen, der 14 Gewerkschaften vertritt. Mit dem Glamour des politischen Spitzenbetriebs hat die Veranstaltung wenig zu tun, in den Mülleimern türmen sich Coladosen und Wasserbecher.
Doch Biden scheint genau das für seinen ersten Auftritt als Wiederwahl-Kämpfer im Sinn gehabt zu haben: Ein Schwarzbrot-Termin, bei dem er zu seiner Basis spricht und seine Milliarden-Investitionen ins produzierende Gewerbe feiern kann.
„Let’s go, Joe!“ und „Four more years“ ruft ihm das Publikum entgegen. „Sleepy Joe“, wie ihn seine Kritiker nennen, ist an diesem Tag nirgendwo zu sehen, Biden wirkt gelöst und entschlossen. „Ihr und ich, wir wenden die Dinge zum Besseren, und zwar im großen Stil“, sagt Biden und streckt eine Faust in die Luft. „Wir stehen an der Schwelle zu einer Revolution!“
Der US-Demokrat, das ist eine frühe Kernbotschaft seines Kampfes um die Präsidentschaft 2024, will seine Partei wieder zum unangefochtenen Interessenvertreter der Arbeiter und der Mittelklasse machen. Die Billionenpakete für Infrastruktur, grüne Technologien, Chips und Fertigung seien „die bedeutendsten Investitionen in der Geschichte der Welt“, so Biden.
„Was sind Lieferketten? Sogar sehr kluge Leute hatten keine Ahnung“
Doch reichen die bisherigen politischen Errungenschaften aus, um ihm eine zweite Amtszeit zu sichern? Seine Anhänger finden: absolut. „Er ist der einzige US-Präsident, an den ich mich erinnern kann, der Gewerkschaften stärken will“, sagt Frank Ademonis, der Vorsitzende des Bostoner Klempnerverbandes. „Ich glaube ihm. All die Investitionen in Elektroautos, Halbleiter und Fertigung schaffen Jobs, das ist gut für unser Land“.
Auf der Bühne zitierte Biden Zeitungsartikel aus der „New York Times“, vom „Wall Street Journal“ oder „Fortune“. Die Medien würden ihm bescheinigen, Amerika zu einem „Comeback im Fertigungs-Business“ verholfen zu haben, sagte der Präsident. Einen Artikel hob er besonders hervor. Darin hieß es sinngemäß, Biden habe erfüllt, was Trump versprochen habe, erklärte der Präsident stolz.
Überhaupt habe sich einiges getan seit der Pandemie und dem Machtwechsel im Weißen Haus. „Vor zwei Jahren haben mich immer alle schräg angeschaut, wenn ich von Lieferketten geredet habe. Was sind Lieferketten? Sogar sehr kluge Leute hatten keine Ahnung“. In den Stuhlreihen des Saals wird gelacht. Doch damit sei es vorbei, sagt Biden. „Wir stellen amerikanische Produkte her, von amerikanischen Arbeitern, mit amerikanischem Material“.
Tatsächlich kann Biden einige Erfolge vorweisen. Der US-Jobmarkt hat sich nach der Pandemie rasant erholt, die Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. Fast jeden Monat kommen Zehntausende Jobs im verarbeitenden Gewerbe dazu, wie Daten aus dem Arbeitsministerium zeigen.
In den Zustimmungswerten für Biden schlägt sich das allerdings nicht nieder, wohl auch, weil die Inflation viele US-Bürger belastet. In Umfragen schwankt seine Beliebtheit bei um die 42 Prozent, und fast die Hälfte der demokratischen Anhänger sieht eine erneute Kandidatur Bidens skeptisch – auch wegen seines Alters. Zum Ende einer zweiten Amtszeit wäre Biden 86.
Republikaner rufen zum Gedächtnistest für Biden auf
Die Republikaner setzen derweil auf Attacke, denn der US-Wahlkampf ist mit Bidens Eintritt ins Rennen offiziell eröffnet. „ALARM!“, hieß es in einer SMS der Spendenorganisation von Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley am Dienstag. „Biden tritt zur Wiederwahl an. Sollte er einen Gedächtnis-Test absolvieren? Stimmen Sie ab: Ja oder Nein“.
Die Vorsitzende der republikanischen Dachorganisation Republican National Committee, Ronna McDaniel, warnte vor einer weiteren Amtszeit Bidens. Wenn er diese bekomme, werde die Inflation zunehmen. Zudem werde es mehr Kriminalität geben, Familien in den USA stünden schlechter da, sagte McDaniel.
„Er ist der schlimmste US-Präsident aller Zeiten“, teilte Donald Trump mit, und gab Biden einen neuen Schimpfnamen: „Hopeless Joe“. Der Ex-Präsident hat trotz eines Strafprozesses und möglichen weiteren Anklagen gute Chancen, erneut Kandidat der Republikaner zu werden – dann würde er Biden herausfordern, und beide stünden wie schon 2020 in direkter Konkurrenz.
Ein anderer potenzieller Kandidat der Republikaner, Ron DeSantis, macht sich derweil für das Präsidentschaftsrennen bereit. Der Gouverneur von Florida will im Frühjahr seine Kampagne verkünden und reist in dieser Woche um die Welt: er besucht Israel, Japan, Südkorea und Großbritannien.
In Japan wurde er von Premier Fumio Kishida persönlich empfangen, was für einen US-Gouverneur eher ungewöhnlich ist. Das Treffen zeigt, dass die Bündnispartner der USA schon auf die Wahlen 2024 äugen und DeSantis als Anwärter für das Weiße Haus ernst nehmen.
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