Apr 27, 2023
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Arbeitskampfbilanz 2022: Streiks in Deutschland sorgen für 674.000 Ausfalltage im Jahr

Written by Frank Specht


Warnstreik der IG Metall

Im vergangenen Jahr gehörte die Tarifauseinandersetzung in der Metall- und Elektroindustrie zu den konfliktträchtigsten.

(Foto: IMAGO/Nikito)

Berlin Streiks an den Flughäfen, bei der Müllabfuhr, in den Kitas oder bei der Bahn: In diesem Jahr haben die Gewerkschaften bereits kräftig ihre Muskeln spielen lassen. „Vor dem Hintergrund historisch hoher Inflationsraten hat sich der Verteilungskonflikt deutlich intensiviert“, sagt Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Auch Hagen Lesch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) analysiert, dass das Klima in Tarifauseinandersetzungen im ersten Quartal dieses Jahres deutlich rauer geworden ist. Doch auf längere Sicht liegt Deutschland im internationalen Vergleich bei Arbeitskämpfen nur im unteren Mittelfeld. Das gilt auch für das abgelaufene Jahr, wie die neue WSI-Arbeitskampfbilanz zeigt.

Nach Rechnung der Düsseldorfer Forscher fanden im vergangenen Jahr insgesamt 225 Arbeitskämpfe statt, an denen sich insgesamt 930.000 Streikende beteiligt haben. Dabei sind kleinere Auseinandersetzungen auf der Ebene einzelner Betriebe, bei denen es um Haustarifverträge oder überhaupt den Eintritt in die Tarifbindung geht, ebenso berücksichtigt wie öffentlichkeitswirksame größere Streiks in der Metall- und Elektroindustrie.

Rechnerisch fielen durch die Arbeitsniederlegungen im vergangenen Jahr 674.000 Arbeitstage aus, was knapp über dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2022 liegt. Beispielsweise lag die Zahl 2018 mit knapp 1,2 Millionen und 2025 mit mehr als zwei Millionen Ausfalltagen deutlich höher.

Größere Flächenstreiks gab es im vergangenen Jahr neben der Metall- und Elektroindustrie im Sozial- und Erziehungsdienst, bei den Seehäfen oder an den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen.

>> Lesen Sie hier: Warum der Bahn-Tarifkonflikt feststeckt – und neue Streiks drohen

In anderen Ländern sind die Gewerkschaften deutlich streikfreudiger als in Deutschland, was aber auch an einer anderen Streikkultur liegt. So sind Streiks aus politischen Motiven, wie etwa gegen die Rentenreform in Frankreich, hierzulande nicht erlaubt.

In der Bundesrepublik fielen zwischen 2012 und 2021 im Jahresdurchschnitt rechnerisch pro 1000 Beschäftigte 18 Arbeitstage streikbedingt aus. Spitzenreiter im Betrachtungszeitraum war Belgien mit 96 Ausfalltagen, gefolgt von Frankreich mit 92 Tagen, wobei hier nur Daten bis 2020 vorliegen.

Leerer Berliner Hauptbahnhof während eines Warnstreiks der EVG

Die Konfliktintensität der Arbeitskämpfe hat in diesem Jahr deutlich zugenommen.

(Foto: ddp/Sulupress)

Auch Kanada, Dänemark, Finnland, Spanien, Norwegen und die Niederlande liegen bei der Arbeitskampfintensität noch vor Deutschland, die Niederlande allerdings nur noch knapp mit 22 Ausfalltagen.

Erstmals hat das WSI auf Basis seiner Erwerbspersonenbefragung zudem ermittelt, welcher Anteil der Beschäftigten in Deutschland Streikerfahrung hat. Demnach hat sich rund jeder sechste Arbeitnehmer (17 Prozent) schon mal an Arbeitskämpfen beteiligt. Unter den Gewerkschaftsmitgliedern liegt der Anteil mit 49 Prozent deutlich höher als bei nicht organisierten Beschäftigten (elf Prozent).

Neben dem WSI untersucht auch das IW regelmäßig die Konfliktintensität von Tarifauseinandersetzungen in Deutschland. Dafür hat es einen eigenen Indikator entwickelt. In diesen fließen beispielsweise Kriterien wie Streikdrohungen, Verhandlungsabbrüche, Warnstreiks, Schlichtungen oder Urabstimmungen über unbefristete Streiks ein.

IW-Forscher Lesch hat für elf im ersten Quartal dieses Jahres untersuchte Tarifauseinandersetzungen einen Indikatorwert von durchschnittlich 8,9 Punkten ermittelt. Damit sei der Vorjahreswert um das 1,7-Fache übertroffen worden. Am konfliktreichsten verlief in den ersten drei Monaten demnach die Tarifrunde im öffentlichen Dienst, gefolgt von der papierverarbeitenden Industrie und der Deutschen Post.

Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2022 ergibt sich eine Konfliktintensität von 8,5 Punkten, auch sind die Tarifauseinandersetzungen weniger stark eskaliert als in den ersten drei Monaten dieses Jahres. „Dass im ersten Quartal konfliktreicher verhandelt wurde, hängt mit den immer höheren Lohnforderungen zusammen, die wiederum eine Reaktion auf die anhaltende Inflation sind“, schreibt IW-Forscher Lesch in seiner Analyse.

Mehr: Einigung im Tarifstreit im öffentlichen Dienst steht



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Politik

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