Frankfurt Die am Mittwoch von der EU-Kommission vorgestellten Pläne zur Reform des EU-Arzneimittelrechts sorgen in der Pharmabranche weiter für Kritik. Auch Hubertus von Baumbach, Präsident des Europäischen Pharmadachverbandes Efpia und Chef des zweitgrößten deutschen Pharmaunterunternehmens Boehringer Ingelheim, sieht Nachbesserungsbedarf. „Patienten in Europa haben die Erwartung, bei der medizinischen Versorgung nicht abgehängt zu werden. So, wie die Vorschläge jetzt formuliert sind, sehe ich die Gefahr, dass langfristig genau das eintritt“, sagt von Baumbach im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Im Mittelpunkt der Kritik steht die geplante Einschränkung des Schutzes neuer Medikamente vor günstigen Nachahmerpräparaten. Verschiedene Branchenverbände fürchten, dass die Pharmaindustrie durch die Reform an Innovationkraft und Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Damit die billigeren Generika in der EU schneller auf den Markt kommen können, soll der so genannte Unterlagenschutz verkürzt werden. Der verbietet es Arzneimittel-Zulassungsbehörden, Zulassungsanträge von Generikaherstellern zu akzeptieren, die auf die Unterlagen des Originalherstellers ohne dessen Einverständnis Bezug nehmen.
Der Grundschutz liegt bisher bei acht Jahren. Er soll laut EU-Plänen auf sechs Jahre verkürzt werden. Als Ausgleich gibt es ein System von Anreizen, wie sich Pharmaunternehmen wieder mehr Schutzzeit erarbeiten können. Wenn sie etwa ein neues Medikament innerhalb von zwei Jahren in allen 27 Mitgliedsstaaten einführen, können sich zwei zusätzliche Schutzjahre sichern.
Hoher regulatorischen Aufwand für Zulassungen
Laut von Baumbach ist das für ein Pharmaunternehmen faktisch nicht zu schaffen. „Das lassen die nationalen Systeme gar nicht zu“, sagt er. Europa denke in seiner Reform an einen einzigen Gesundheitsmarkt, aber das System habe 27 nationale Märkte. Es gebe Länder, die warten mit einer Marktzulassung ab, bis in Referenzländern wie Deutschland die Zulassung erteilt und der Preis festgelegt werde. „Allein der Preisfindungsprozess in Deutschland dauert schon ein Jahr“, so von Baumbach.
Das Anreizsystem der Reform funktioniert nach seiner Einschätzung nicht: „Um an die Karotte zwei Jahre zusätzlichen Schutzes zu kommen, müssen wir über 27 Stöcke springen“, sagt er. Dabei hätten Pharmaunternehmen keinen Einfluss auf die Zeit, die ein nationales System für den Zulassungsprozess brauche.
Hinzu kommt: Medikamente in 27 Ländern auf den Markt zu bringen erfordert einen hohen regulatorischen Aufwand und kostet viel Geld. „Das kann ein großes Pharmaunternehmen vielleicht noch leisten, ein kleines Unternehmen aber nicht“, so von Baumbach. Eine europäische Arzneimittelreform müsse auch die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen, fordert er.
Die geplante Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts ist die größte Reform seit 20 Jahren. Ziel ist es nicht nur, die Versorgung mit Arzneimitteln zu verbessern sondern auch die Innovationsfähigkeit und auch Wettbewerbsfähigkeit der EU-Arzneimittelindustrie zu steigern.
Zu den Plänen gehört eine Beschleunigung der EU-Zulassungsverfahren, auch will die Kommission vielversprechenden Medikamenten eine Vor-Autorisierung geben, um Investitionen für deren Entwicklung zu sichern. Europaparlament und die Mitgliedstaaten müssen dem Vorhaben zustimmen.
Europa fällt bei klinischer Forschung zurück
Efpia-Präsident von Baumbach ist der Ansicht, dass mit der Reformvorlage die Verantwortung zur besseren Arzneimittelversorgung der Pharmaindustrie zugespielt wird. „Aber solche Vorhaben brauchen auch die Solidarität der Länder Europas. Wir können uns nicht der Tatsache verschließen, dass in Europa nicht alle Volkswirtschaften gleich stark sind“, sagt er. Dort, wo es keine onkologischen Zentren gebe, stelle sich ja die Frage, ob ein nationales Gesundheitssystem überhaupt in der Lage ist, einen vergleichbaren Therapiestandard anzubieten.
Die grundsätzlichen Ziele der Reform, eine gute, nachhaltige Patientenversorgung zu gewährleisten, teilt auch die Industrie. Nach Einschätzung von Baumbach gehört dazu aber auch der Zugang zu klinischen Studien, in denen innovative Medikamente erprobt werden.
„Die Frage ist, ob wir Krebspatienten, die keine Behandlungsmöglichkeiten mehr haben, in Europa auch künftig noch an klinischen Studien teilhaben lassen wollen, oder sie in Zukunft an China und die USA verweisen müssen.“
Laut Daten des Efpia-Verbandes wird Europa bei der klinischen Forschung immer weiter mehr von den USA und China abgehängt: Während die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Europa in den vergangenen Jahren um durchschnittlich vier Prozent jährlich zulegten, stiegen sie in den USA um mehr als acht Prozent und in China um fast 13 Prozent. Baumbach: „Wir haben heute schon in der Wettbewerbsfähigkeit verloren und die Reformvorschläge liefern in ihrer derzeitigen Form keinen Impuls zur Verbesserung“, so von Baumbach.
Mehr: EU-Kommission will Schutzfristen für Medikamente verkürzen
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