Berlin In der Coronapandemie stieß die Bundesagentur für Arbeit (BA) an ihre Grenzen. 60.000 Beschäftigte beantworteten Kundenanfragen aus dem Homeoffice, bis zu 200.000 Anrufe erreichten täglich die Arbeitsagenturen und Jobcenter. Die Telefonie-Plattform fiel aus, die Mitarbeiter mussten Gespräche über das veraltete Skype-System führen.
Bekannte Dienste wie Microsoft Teams hätten damals wertvolle Hilfe leisten können, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten. Doch die Bundesagentur darf sie nicht nutzen. Denn die Daten wandern in die Cloud, in ein Netz aus Servern, die nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in Amerika stehen.
Weil aber derzeit kein gültiges Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA besteht, sind die Services für die öffentliche Verwaltung tabu. Dies gilt etwa auch für sogenannte Voicebots, die telefonische Kundenanfragen automatisch abarbeiten, oder Dolmetscheranwendungen, die bei der Betreuung ukrainischer Geflüchteter helfen könnten.
Für BA-Chefin Andrea Nahles ist das ein unhaltbarer Zustand. Die Politik fordere die Digitalisierung der Verwaltung – und mit mittlerweile 70 Online-Services sei die Arbeitsagentur da vorbildlich, sagte sie jüngst auf einer Veranstaltung in Berlin. Aber gleichzeitig werde den Behörden die Nutzung von Diensten verwehrt, die für ihre Kunden längst zum Alltag gehörten.
„Die Technik ist da, die Zeit ist reif, aber wir dürfen nicht“, klagte Nahles. Wenn aber die Bürgerinnen und Bürger beim Kontakt mit der Verwaltung das Gefühl hätten, sich auf Zeitreise begeben zu müssen, dann werde daraus irgendwann ein Demokratiethema.
Doch das Grundproblem ist ungelöst: „Sollten europäische oder deutsche Behörden etwa US-Dienste wie MS Teams nutzen, müssen die Daten der europäischen und deutschen Bürger ausreichend vor dem Zugriff der US-Behörden geschützt sein“, erklärt der FDP-Digitalpolitiker Maximilian Funke-Kaiser.
Das ist aus Sicht des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber bislang aber nicht gewährleistet. So seien Datenschützer aus Bund und Ländern in einem Bericht gerade erst zu dem Schluss gekommen, dass Microsoft weiterhin den Nachweis schuldig bleibe, dass seine Dienste „rechtskonform nutzbar“ seien, sagte Kelbers Sprecher.
Zwar wird auf europäischer Ebene nach den gescheiterten Vorgängern „Safe Harbor“ und „Privacy Shield“ gerade über ein neues transatlantisches Datenschutzabkommen verhandelt, das den USA bescheinigen soll, die strengen europäischen Standards einzuhalten. Bisher aber ohne Erfolg.
Hier müsse die Bundesregierung Druck machen, aber auch Cloud-Angebote auf Bundesebene ausbauen und praktikable Rahmenverträge für die Nutzung von Cloud-Diensten bereitstellen, forderte Nahles. Der Direktor der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), Stephan Fasshauer, sieht das ähnlich. Man sei in Deutschland zwar fantastisch im Schreiben von Konzepten, aber schaffe es nicht in die Umsetzung, sagte er bei der Veranstaltung mit Nahles.
Die Rentenversicherung könnte Unterstützung durch Cloud-Dienste ebenfalls gut gebrauchen, weil die Demografie die Zahl ihrer Kunden steigen und gleichzeitig die ihrer Mitarbeiter sinken lässt. Voicebots, die Anfragen zunächst automatisch bearbeiteten, wären hier ebenfalls hilfreich.
BA und DRV haben deshalb eine „Koalition der Willigen“ geschmiedet, um die Politik aufzuwecken und Druck auszuüben. Denn die Zeit läuft davon. Bei Standardanwendungen wie Skype, die die Arbeitsagentur momentan noch nutze, stelle der Hersteller bald die Wartung ein, erläutert BA-Digitalchef Markus Schmitz. Entweder müsse man also versuchen, sie mit Bordmitteln am Laufen zu halten oder auf Cloud-Services umzustellen.
Damit sie sofort loslegen kann, wenn der Gesetzgeber den Startschuss gibt, experimentiert die Bundesagentur bereits in Testlaboren mit Cloud-Anbietern wie Microsoft, der Telekom oder auch der Schwarz-Gruppe, zu der die Lebensmittelketten Lidl und Kaufland gehören. Der Einzelhändler hat für sein Filialnetz eine eigene Cloud aufgebaut, die auf Wunsch auch Kunden oder Lieferanten nutzen können.
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Die BA wäre allerdings wohl eine Nummer zu groß für die Schwarz-Cloud. Trotzdem wünscht sich der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann, mehr Unterstützung für solche Projekte. Denn es sei essenziell für die digitale Souveränität Deutschlands, bei der Verwaltungs-Cloud nicht in Abhängigkeit von sogenannten Hyperscalern, also einzelnen Großanbietern wie Microsoft oder Amazon, zu laufen.
In Deutschland baut aktuell auch der Softwarekonzern SAP zusammen mit dem Bertelsmann-Dienstleister Arvato Systems eine Cloud-Plattform für Ministerien und Behörden auf, die voraussichtlich ab 2024 verfügbar sein soll. Das Konsortium verspricht, die Daten gut vor fremden Zugriffen zu schützen, unter anderem durch die Abwicklung aller Prozesse in Deutschland.
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Die BA-Chefin ermunterte die Industrie, weiter in solche Lösungen zu investieren und dabei auch an die öffentliche Verwaltung als Kunden von morgen zu glauben. Die Gefahr des Missbrauchs sensibler Daten sieht Nahles dabei nicht.
Denn die Behörde würde, wenn sie dürfte, zwar ihr Onlineportal oder ihre interne Kommunikation in eine vertrauenswürdige Cloud verlagern. Das Finanzsystem oder sensible Kundeninformationen bleiben dagegen in einem eigenen Netzwerk. Damit folgt die BA der sogenannten Multi-Cloud-Strategie, die SPD, Grüne und FDP auch in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Hier sei jetzt Tempo gefragt, fordert auch der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, der einst selbst für die BA tätig war. Deutschlands Verwaltung müsse endlich digitaler werden und die Bürger müssten das im Alltag auch merken. „Dass wir uns alle darüber freuen, dass man Autos nun digital anmelden kann, ist gut“, sagte Vogel. „Es zeigt aber auch, von welch niedrigem Standard wir kommen.“
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