Berlin Die Gewerkschaften haben sich bei ihren traditionellen Mai-Kundgebungen für eine aktive Gestaltung der industriellen Transformation und eine Entlastung der Arbeitnehmer stark gemacht. Dabei spielte auch die Vier-Tage-Woche eine Rolle. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) haben sich rund 288.000 Menschen an 398 Veranstaltungen und Kundgebungen beteiligt.
Deutlicher Widerspruch kam von DGB-Chefin Yasmin Fahimi: Wer das Streikrecht einschränken wolle, säge an den Grundpfeilern der Demokratie“, sagte sie bei der zentralen Maikundgebung in Köln. Verdi-Chef Frank Werneke, dessen Gewerkschaft ganz vorne mit dabei ist an der Streikfront, betonte: „Ohne die Möglichkeit zu streiken wären Tarifverhandlungen nur kollektive Bettelei.“
Fahimi sagte an die Beschäftigten gewandt: „Ihr seid so systemrelevant, dass man Euch das Streikrecht absprechen will. Aber nicht so systemrelevant, dass man Euch ordentliche Löhne zahlen will.“
Zukunft der Industrie
Die Gewerkschaften sehen den Industriestandort Deutschland in Gefahr – wegen hoher Energiepreise, maroder Infrastruktur und fehlender Zukunftskonzepte. IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis mahnte die Unternehmen, auch in schwierigen Zeiten ihrer Verantwortung gerecht zu werden und nicht leichtfertig Produktion ins Ausland zu verlagern.
„Wer über Jahrzehnte gutes Geld in Deutschland verdient hat, von dem erwarte ich auch, dass er jetzt mit uns gemeinsam durch diese Krise geht“, sagte er beim Besuch der DGB-Kundgebung in Bremerhaven.
Die Gewerkschaften machen sich für Investitionsanreize für die Umstellung auf klimafreundliche Technologien und einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis stark – finanziert durch eine Vermögen- und Erbschaftsteuer, „die ihren Namen auch verdient“, wie Fahimi sagte.
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Eine Umsetzung der DGB-Vorschläge für eine Steuerreform würde dem Fiskus Mehreinnahmen in Höhe von 60 Milliarden Euro bescheren. Wenn der Staat die Industrie unterstütze, erwarteten die Gewerkschaften im Gegenzug aber auch „intelligente Transformationskonzepte und Garantien für Standorte und Beschäftigung“, sagte Vassiliadis.
Vier-Tage-Woche
Seit die IG Metall sie zu einem Kernanliegen für die kommende Stahltarifrunde gemacht hat, ist eine Debatte über die Vier-Tage-Woche losgebrochen. Aufgrund der ökologischen Transformation der Stahlindustrie werde in der Branche langfristig ein Beschäftigungsabbau stattfinden, weil beispielsweise keine Kokereien mehr nötig seien, wenn Stahl mit Wasserstoff produziert werde, betonte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler.
„Die Vier-Tage-Woche kann dann einen Beitrag dazu leisten, die Beschäftigungskapazität möglichst gesundheits- und familienförderlich zu verteilen, besondere Belastungen durch Schichtarbeit und überlange Arbeitszeiten abzubauen und damit Arbeitsplätze zu sichern“, sagte Giesler.
Seit die IG Metall sie zu einem Kernanliegen für die kommende Stahltarifrunde gemacht hat, ist eine hitzige Debatte über die Vier-Tage-Woche entbrannt.
Die Arbeitgeber verstehen die vier-Tage-Woche als Kampfansage, wenn es branchenübergreifend um eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich gehen soll. Die aktuell diskutierte Arbeitszeitverkürzung als Instrument gegen Arbeitskräftemangel einsetzen zu wollen, sei wirtschaftlich verantwortungslos, sagte Arbeitgeberpräsident Dulger.
„Sozialpartnerschaft ist keine Gefälligkeitsveranstaltung, sondern muss auch immer Maß und Mitte im Blick behalten“, so Dulger. Dagegen verteidigte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann auf der Mai-Kundgebung in Berlin die Pläne. Er sei der festen Überzeugung, dass ein voller Lohnausgleich tragbar sei.
Tarifbindung
Tarifverträge bedeuten meist höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen – aber nur noch rund 43 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten noch nach Tarif.
Hier müsse die Politik endlich „raus aus der Zuschauerrolle“, betonte DGB-Chefin Fahimi – und das im Koalitionsvertrag versprochene Tariftreuegesetz für den Bund umsetzen. Der Bund dürfte dann nur noch Aufträge an Firmen vergeben, die nach Tarif zahlen.
Sozialer Zusammenhalt
Verdi-Chef Werneke kritisierte die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), 20 Milliarden Euro unter anderem im Sozialetat einsparen zu wollen. „In die soziale Absicherung fallen elementare Leistungen unseres Sozialstaates, auf die die Menschen nicht verzichten können“, betonte der Gewerkschafter.
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Statt zu sparen, müssten tragfähige und nachhaltige Lösungen gefunden werden. Dazu zählten die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung hin zu einer Solidarischen Pflegegarantie, die Bereitstellung weiterer Bundeszuschüsse zur Deckung des Bedarfs der gesetzlichen Krankenversicherung und die Entwicklung einer solidarischen und nachhaltig ausfinanzierten Bürgerversicherung.
Zudem müssten Lindner und seine Partei ihren hinhaltenden Widerstand gegen die Einführung einer Kindergrundsicherung aufgeben. DGB-Chefin Fahimi forderte Konzepte für bezahlbaren Wohnraum. „Der Wohnungsmarkt darf nicht allein dem Markt überlassen werden“, sagte sie. Nötig sei ein Mietenstopp für mindestens die nächsten drei Jahre.
Mehr: Zeitenwende am Arbeitsmarkt – Das Dilemma der Gewerkschaften
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