Berlin Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die Voraussetzungen für den raschen Aufbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur schaffen. Er verabschiedet sich von der Idee, eine staatliche Wasserstoffnetzgesellschaft zu gründen, und will die Pläne der privaten Gasleitungsbetreiber für ein „Wasserstoff-Startnetz“ aufgreifen. Das erfuhr das Handelsblatt aus Ministeriumskreisen.
In den Kreisen hieß es weiter, Ziel sei „ein schneller und kosteneffizienter Aufbau der Wasserstoffnetzinfrastruktur in Deutschland, die mit dem Wasserstoffmarkt wächst und in den EU-Binnenmarkt eingebettet ist, um die Energiewende voranzubringen“.
Damit endet eine Hängepartie, die in weiten Teil der Industrie für erheblichen Unmut gesorgt hatte. Seit Monaten warten Unternehmen, die auf dem Weg zur Klimaneutralität auf Wasserstoff angewiesen sind, auf den Beginn des Netzausbaus, um Zugang zu Wasserstoff zu bekommen.
Die Pläne für den Aufbau eines Netzes liegen zwar parat. Doch ungeklärte Regulierungsfragen, die Debatte um eine Staatsbeteiligung an einer Wasserstoffnetzgesellschaft und eine unsichere Refinanzierung standen dem Start bislang im Weg. Diesen Zustand will Habeck nun beenden.
Das Fehlen einer Wasserstoffnetzinfrastruktur ist einer der Gründe dafür, dass der Wasserstoffhochlauf insgesamt nicht vorankommt: Solange die Infrastruktur fehlt, werden auch Investitionen in die Wasserstoffproduktion verschoben. Denn solange unklar ist, ob und wann der Wasserstoff auch transportiert werden kann, ergibt der Aufbau der Wasserstoffproduktion wenig Sinn. Auch potenzielle Abnehmer werden abgeschreckt: Sie wissen bis heute nicht sicher, ab wann eine Belieferung möglich sein könnte.
Erster Schritt: Startnetz konzipieren
Für viele Unternehmen ist die aktuelle Situation belastend. Stahlhersteller wie Thyssen-Krupp oder Salzgitter haben milliardenschwere Investitionen in wasserstoffbasierte Verfahren beschlossen und stecken bereits in der Umsetzungsphase, wissen aber nicht, ob und wann eine Wasserstoffleitung an ihrem Werk vorbeiführt.
Um beim Aufbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur voranzukommen, verfolgt das Ministerium jetzt einen zweistufigen Ansatz. In der ersten Stufe soll das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geändert werden.
Mit der EnWG-Änderung soll ein „Wasserstoff-Startnetz“ mit einer Länge von 1700 Kilometern gesetzlich definiert werden. Die Definition des Netzes soll „durch die Bundesnetzagentur unter Mitwirkung der Ferngasleitungsbetreiber erfolgen“, hieß es in Ministeriumskreisen. Das „Startnetz“ wäre damit ein gesetzlich priorisiertes Vorhaben mit zügigen Genehmigungsprozeduren. Wesentliche Teile des neuen Netzes sollen aus umgewidmeten Erdgasleitungen bestehen.
Die Betreiber der Ferngasleitungen haben sich bereits intensiv mit der Frage befasst, wie das Startnetz aussehen könnte. Anfang 2020 hatten sie erste Ideen vorgestellt. Ihre Pläne für ein Startnetz dürften aber in Zusammenarbeit mit der Bundesnetzagentur noch verändert werden.
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Den bisherigen Plänen zufolge bedient das Wasserstoff-Startnetz zunächst vorwiegend den Nordwesten Deutschlands. Der Süden soll erst später folgen. Die bayerische Wirtschaft hatte das heftig kritisiert. Insider gehen davon aus, dass das gesetzlich definierte „Startnetz“ dieser Kritik Rechnung trägt.
Zweiter Schritt: Netzentwicklungspläne zusammenführen
In einem zweiten Schritt sollen bereits ab 2024 die Planungen für das Gas- und das Wasserstoffnetz in einem „integrierten Netzentwicklungsplan Gas/Wasserstoff“ zusammengeführt werden. Auch dafür soll das EnWG geändert werden.
Die Netzentwicklungspläne sind die Basis für den Ausbau der Gas- und Stromnetze. Sie werden von den Netzbetreibern erarbeitet und von der Bundesnetzagentur bestätigt. Sie sind damit ein wichtiges Instrument zur Steuerung des Netzausbaus.
Noch Anfang Dezember vergangenen Jahres hatte ein Papier aus dem Bundeswirtschaftsministerium Debatten ausgelöst, in dem die Gründung einer Wasserstoffnetzgesellschaft mit staatlicher Beteiligung angekündigt worden war. Die Betreiber der Gasfernleitungen, die ihre Infrastruktur Schritt für Schritt auf den Betrieb mit Wasserstoff umstellen wollen, hatten dies kritisiert.
Sie warnten, eine Konstruktion mit staatlicher Beteiligung führe zwangsläufig zu weiteren Verzögerungen, da ein funktionierendes privatwirtschaftliches System umstrukturiert werden müsse. Zugleich kursierten allerdings auch Pläne einzelner Ferngasleitungsbetreiber, in denen Modelle für die Struktur einer Gesellschaft mit staatlicher Beteiligung entwickelt wurden.
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Brancheninsider berichten, man habe mit diesen Plänen nur das Schlimmste verhindern wollen. Niemand in der Branche sei überzeugt von der Idee einer Staatsbeteiligung. Auch aus den Reihen der Koalition meldeten sich Kritiker zu Wort, etwa aus der FDP, aber auch aus den Reihen der Sozialdemokraten. Nun ist die Idee der Wasserstoffnetzgesellschaft mit staatlicher Beteiligung vom Tisch.
Betreiber sollen das Netz vorfinanzieren, der Staat sichert die Rentabilität
Auch bislang ungelöste Probleme bei der Refinanzierung der Investitionen in das Wasserstoffnetz will das Bundeswirtschaftsministerium aus dem Weg räumen. Die Betreiber der Gasnetze kritisieren seit Langem, dass die staatliche Netzregulierung den Aufbau einer Leitungsinfrastruktur für Wasserstoff verhindere.
Die noch von der Großen Koalition beschlossene Regulierung für Wasserstoffnetze sieht vor, dass allein die Kunden der Wasserstoffnetze über ihre Netzentgelte den Ausbau und den Betrieb der Leitungen finanzieren.
So müsste der erste Nutzer einer Wasserstoffleitung mit den Entgelten, die ihm für die Nutzung in Rechnung gestellt werden, für die komplette Refinanzierung sorgen. In der Anfangsphase würde das zu prohibitiv hohen Netzentgelten führen.
Die Netzbetreiber sprechen sich seit Jahren für eine andere Lösung aus: Sie wollen aus den Entgelten, die sie für die Nutzung der Erdgasleitungen erhalten, den Aufbau des Wasserstoffnetzes finanzieren. Doch die Politik lehnt diese Form der Quersubventionierung ab.
Nun will das Bundeswirtschaftsministerium nach Informationen des Handelsblatts aus Ministeriumskreisen einen anderen Weg gehen, der im Wesentlichen auf einem Konzept fußt, das die Deutschen Energie-Agentur (Dena) im Sommer vergangenen Jahres vorgestellt hatte: Es soll über ein „Amortisationskonto“ eine staatliche Absicherung für Netzbetreiber geben, falls sich der Wasserstoffhochlauf verzögert und sich keine oder nur sehr wenige Kunden finden.
Die Netzbetreiber sollen den Ausbau zwar vorfinanzieren. Der Staat sichert ihnen dafür aber zu, langfristig die Rentabilität der Investition abzusichern. Anfangs sollen die Netzentgelte gedeckelt sein, um potenzielle Netznutzer nicht abzuschrecken.
Die gedeckelten Netzentgelte werden anfangs jedoch nicht ausreichen, um daraus die Investitionen der Netzbetreiber zu finanzieren. So ergibt sich für die Netzbetreiber eine Finanzierungslücke. Diese Lücke wird durch das „Amortisationskonto“ geschlossen, von dem die Kosten für den Aufbau abgehen und auf das die Netzentgelte eingezahlt werden.
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Die finanzielle Lücke wird nach der Hochlaufphase kleiner, weil die Zahl der Nutzer wächst und die Effizienz des Netzbetriebes damit steigt. Der Staat sichert die Amortisation für den Fall zu, dass sich der Wasserstoffhochlauf verzögert und so die Rentabilität gefährdet. Dazu kann der Staat Mittel für den Ausgleich der Lücken aufbauen, etwa über einen Fonds.
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