Hannover Europa muss aus Sicht von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) seine Förderprogramme für grüne Technologien nachbessern. „Wir müssen uns an der Realität orientieren, egal ob es um China oder die USA geht“, sagte der Politiker dem Handelsblatt. Es sei erforderlich, dass Europa nun aktiv werde, um im Wettbewerb gegenüber diesen beiden Ländern bestehen zu können. Auch die deutsche Politik müsse sich überlegen, wie sie insbesondere für Unternehmen, die für die Transformation nötig seien, ein gutes Umfeld schaffen könne. Weil bezog sich dabei auf das Familienunternehmen Viessmann, das sein Wärmepumpengeschäft in die USA verkauft hat.
Eine Möglichkeit für die Politik sei es, die Bürokratie zu entschlacken und die Unternehmen beim Umstieg auf erneuerbare Energien zu unterstützen. In der vergangenen Woche hatte Niedersachsen einen gedeckelten Strompreis von sieben Cent pro Kilowattstunde für energieintensive Unternehmen vorgeschlagen.
Den US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ (IRA), ein Förderprogramm für grüne Technologien, sieht Weil als Beispiel für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Die Amerikaner lockten mit großen wirtschaftlichen Vorteilen, sagte er. „Nicht weniger wichtig ist, dass der IRA Investitionen schnell und einfach möglich macht, eben ohne jene Bürokratie.“
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Herr Weil, das Familienunternehmen Viessmann verkauft sein Wärmepumpengeschäft an den US-Wettbewerber Carrier Global. Denken Sie, dass dieser Schritt aus deutscher Sicht ein Fehler ist?
Es ist immer schade, wenn deutsche Unternehmen ausländische Eigentümer bekommen. Aber wir leben in einer freien Welt, und die Eigentümer von Viessmann werden ihre Gründe für diesen Schritt haben. Vielleicht ist es ein Warnschuss zur rechten Zeit. Die deutsche Politik muss sich nun fragen, wie wir insbesondere für Unternehmen, die wir in der Transformation dringend brauchen, ein gutes Umfeld schaffen können.
Während die USA grüne Investitionen über ihr Förderprogramm IRA anziehen, sehen sich in Europa und Deutschland Unternehmer mit einer aus ihrer Sicht ausufernden Bürokratie konfrontiert.
Wir können aus dem IRA eine Menge lernen, auch zum Verfahren. Die Amerikaner sind entschieden unbürokratischer als wir in Europa, und das verfehlt seine Wirkung nicht. Wir müssen Anfang 2024, lieber noch früher Antworten haben. Die Unternehmen sind jetzt in der Transformation, die Entscheidungen müssen jetzt gefällt werden.
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Europa hat den „Green Deal“, der ein Gegenstück zum IRA sein könnte. Warum wirkt das EU-Konzept nicht?
Zwischen diesen beiden Programmen besteht ein himmelweiter Unterschied. Die Amerikaner locken mit großen wirtschaftlichen Vorteilen. Und nicht weniger wichtig ist, dass der IRA Investitionen schnell und einfach möglich macht, eben ohne jene Bürokratie. Da können die EU und Deutschland eine Menge lernen.
Wenn es nicht so schnell mit dem Bürokratieabbau geht, wie kann die Politik denn helfend eingreifen?
Wir müssen die energieintensiven Unternehmen im Übergang unterstützen. Dafür schlagen wir einen Preisdeckel von maximal sieben Cent pro Kilowattstunde vor…
…also mehr als eine Halbierung der aktuellen Stromkosten.
Dieser auf maximal zehn Jahre begrenzte Transformationsstrompreis soll helfen, die Zeit zu überbrücken, bis die günstige erneuerbare Energie ausreichend verfügbar ist.
Wie ist der Widerhall aus der Koalition in Berlin auf diesen Vorschlag?
Ich bin erst einmal heilfroh, dass endlich Bewegung in der Diskussion ist, und unser Konzept trägt hoffentlich dazu bei. Aus der Wirtschaft und den Gewerkschaften haben wir in Niedersachsen ein positives Feedback erhalten. Wir müssen handeln! Wenn nichts passiert, dann wird das letztlich am teuersten für uns in Deutschland und Europa werden, weil am Ende Werke und Arbeitsplätze weg sind. Wir sehen doch, dass etwa Planungen für weitere Batteriefertigungsprojekte wegen der hohen Energiepreise gerade zur Disposition stehen.
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Wir können aber wegen der hohen Kosten doch nicht alles fördern. Was brauchen wir denn hier in Europa?
Natürlich muss es Grenzen geben – es geht um energieintensive Unternehmen, die in der Transformation stehen. Mir ist eines wichtig: Wir müssen die Wertschöpfungsketten im Land halten, von denen wir in der Vergangenheit immer sehr profitiert haben. Nehmen wir zum Beispiel die Automobilindustrie. Die braucht nun einmal Metallerzeugung und chemische Vorprodukte. Ganz wichtig ist auch die Energiewirtschaft mit allen ihren Aktivitäten – wir müssen gerade beim Wasserstoff von Beginn an vorn sein. Das wird die Energie der Zukunft für die Industrie, da dürfen wir doch nicht aussteigen. Wenn überhaupt nichts geschieht, werden wir in Europa eine schleichende Deindustrialisierung erleben.
Diese Klage ist schon seit Jahrzehnten aus der Industrie zu hören. Warum soll es jetzt anders sein?
Bei den aktuellen Strompreisen handelt es sich nicht um Phantomschmerzen. Und es gibt doch auch schon die ersten Rücknahmen von Produktion oder gar Verlagerungen. Ich nehme das sehr ernst.
Bei der Energiewende ist Deutschland vom Ausland abhängig. Gerade bei der Solarenergie hat China auch mit unlauteren Subventionen eine bestehende Struktur zerstört…
Ich wünsche mir nun wirklich keinen Subventionswettlauf, aber in Schönheit zu sterben können wir uns auch nicht leisten.
Bislang hat Europa einen solchen Wettlauf vermieden. Sollten wir diese Linie nicht halten?
Wir müssen uns an der Realität orientieren, egal ob es um China oder die USA geht. Wenn wir im globalen Wettbewerb gegenüber diesen beiden Ländern bestehen wollen, dann muss Europa aktiv werden. Wenn eine Seite losläuft und die andere stehen bleibt, dann ist das Rennen doch schon verloren. Wir Europäer können nicht als einzige Region in der Welt den Gedanken einer freien Wirtschaft ohne Subventionen hochhalten, wenn sich die Akteure links und rechts anders verhalten. Es geht da um unsere Zukunft.
Müsste in dem Szenario eine Bundesregierung einen Verkauf von Viessmann dann nicht blockieren?
Das sehe ich nicht so. Es werden auch in Zukunft hier bei uns Firmen verkauft werden, so, wie unsere Unternehmen im Ausland zukaufen. Die Aufgabe der Politik muss sein, dass sich kein Unternehmer zu einem solchen Schritt genötigt sieht. Wichtig ist es daher, dass wir die Rahmenbedingungen für die heimische Wirtschaft verbessern.
Herr Weil, vielen Dank für das Interview.
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