Bangkok Russlands Außenminister Sergej Lawrow bekommt Indien bei seinem dritten Besuch seit dem Beginn des Ukrainekriegs von seiner schönsten Seite präsentiert. Sein indischer Amtskollege Subrahmanyam Jaishankar empfing ihn am Donnerstag an der Küste der Urlaubsregion Goa – im Nobelhotel Taj Exotica, einem Fünf-Sterne-Haus mit Privatstrand am Arabischen Meer. Anlass ist ein Treffen der Außenminister der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) am Freitag.
Lawrow ist bei der indischen Regierung ein gern gesehener Gast: Indien und Russland suchen derzeit nach Wegen, ihre Zusammenarbeit weiter auszubauen. Das SCO-Treffen hat das Ziel, die wirtschaftliche Kooperation der Mitglieder voranzutreiben. Mit Russland ist Indien zudem im Gespräch über ein Freihandelsabkommen und ein bilaterales Investitionsschutzabkommen.
Im Ölgeschäft brechen die Geschäftsbeziehungen von Indien und Russland schon jetzt alle Rekorde – und sorgen dafür, dass Treibstoff aus russischem Öl trotz des EU-Embargos weiter in Europa landet. Im April importierte Indien laut dem Datenanbieter Vortexa erstmals mehr Öl aus Russland als aus den früheren Hauptlieferländern Saudi-Arabien und Irak zusammen – 1,7 Millionen Barrel pro Tag.
Gleichzeitig verschifft Indien so große Mengen an Mineralölprodukten nach Europa wie noch nie: Mit Exporten von 365.000 Barrel pro Tag wurde Indien im April laut Daten des Analysedienstes Kepler zu Europas führendem Lieferanten von raffinierten Kraftstoffen wie beispielsweise Diesel. Noch im vergangenen Jahr hatte Russland diesen Titel inne.
Branchenbeobachter sind überzeugt davon, dass in den indischen Lieferungen weiterverarbeitetes russisches Öl steckt. „Ungeachtet aller Sanktionen findet russisches Öl seinen Weg zurück nach Europa – Indien ist ein gutes Beispiel dafür“, sagte Kepler-Ölanalyst Viktor Katona dem Finanzdienst Bloomberg.
Indien soll Öl aus Russland reinwaschen
Seit Dezember gilt in der EU ein Embargo gegen russisches Rohöl, das per Schiff geliefert wird. Seit Februar gilt zudem ein Importverbot von Mineralölprodukten wie Diesel und Benzin aus Russland. Die in Finnland ansässige Denkfabrik Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) sieht es als erwiesen an, dass dieses Embargo mithilfe von Drittstaaten wie Indien umgangen wird.
Westliche Staaten mit Ölsanktionen gegen Russland, darunter die EU, hätten ihre Einfuhren aus jenen Ländern massiv gesteigert, die zu den neuen Hauptempfängern von russischem Öl geworden sind, heißt es in einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Bericht von CREA.
Die Organisation wirft neben Indien auch China, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Singapur vor, russisches Öl reinzuwaschen. Insgesamt seien deren Lieferungen von Ölprodukten an westliche Sanktionsländer nach dem Beginn des Ukrainekriegs binnen eines Jahres um knapp 19 Milliarden Euro gestiegen. Die Geschäfte seien legal, „da der Ursprung der Produkte geändert wurde“, urteilt CREA – sieht aber ein massives moralisches Problem: „Auf diese Weise werden Mittel für Putins Kriegskasse bereitgestellt.“
In Indien zeigte man sich von dem Argument, dass der Öleinkauf bei Russland indirekt den Krieg des russischen Präsidenten stützt, allerdings bereits seit Beginn des Einmarsches in die Ukraine unbeeindruckt. Die Regierung in Neu-Delhi verweist darauf, dass sie sich primär verpflichtet fühlt, ihrer Bevölkerung bezahlbare Energie zur Verfügung zu stellen – und weil es sonst kaum Käufer findet, ist russisches Öl derzeit eben besonders günstig.
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Westliche Regierungen verzichteten zuletzt weitgehend darauf, Indiens Umgang mit Russland öffentlich zu kritisieren. Sie sehen das Land trotz der Aushöhlung der Sanktionen als wichtigen Partner, insbesondere in einer möglichen Allianz gegen China.
Indien will mehr Waren nach Russland exportieren
Die Regierung in Neu-Delhi sieht daher keinen Grund, von engeren Beziehungen mit Russland abzusehen. Bei einem Besuch des russischen Vize-Ministerpräsidenten Denis Manturow in Neu-Delhi im April sprach Indiens Außenminister Jaishankar von „fortgeschrittenen Verhandlungen“ über ein Investitionsabkommen mit Russland – und plädierte für eine zügige Fortsetzung der Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Indien hofft, sich einen neuen Markt für seine Exporteure zu erschließen: Die Regierung in Neu-Delhi drängt Russland darauf, mehr Waren aus Indien zu kaufen, um so das Handelsbilanzdefizit durch die massiven Ölimporte auszugleichen.
Umstritten ist nach wie vor die Frage, in welcher Währung die beiden Länder miteinander handeln wollen. Um dem US-Dollar auszuweichen, würde Indien seine Rechnungen gerne in Rupien begleichen – doch eine Einigung auf einen neuen Zahlungsmechanismus gibt es bisher nicht. Die Frage, wie der Handel in der Region mithilfe lokaler Währungen abgewickelt werden kann, soll auch am Freitag in der Runde der SCO-Außenminister besprochen werden.
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Die Unklarheit über die Zahlungsmodalitäten hat zuletzt auch die Waffengeschäfte zwischen Indien und Russland ausgebremst. Laut Bloomberg hat Russland wegen offener Rechnungen von rund zwei Milliarden Dollar seine Lieferungen eingestellt.
Bei einer Zahlung in Dollar fürchtet Indien demnach Sanktionen der USA. Eine Überweisung in Rupien will Russland laut dem Bericht nicht akzeptieren. Bei einem Treffen des indischen und russischen Verteidigungsministers in der vergangenen Woche vereinbarten beide Seiten dennoch, ihre militärische Partnerschaft weiter zu vertiefen.
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