May 21, 2023
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Wirtschaftswachstum: Venezuela wendet sich dem Kapitalismus zu

Written by Alexander Busch

Caracas Sie sind verschwunden aus dem Straßenbild und empfangen auch nicht mehr die Einreisenden: die riesigen Plakate mit dem Konterfei von Hugo Chávez und den heroischen Slogans seines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.

Stattdessen wird schon im Flughafen Maiquetía für asiatische Mobiltelefone und Küchengeräte geworben. In der Hauptstadt Caracas sind die Stadtautobahnen zugepflastert mit Plakaten für Handcremes, Karibikhotels und Online-Casinos. Venezuela hat sich von der sozialistischen Mangelwirtschaft der vergangenen Jahre ab- und dem neoliberalen Kapitalismus zugewendet.

„Venezuela se arregló“ – „Venezuela hat sich selbst wieder hergestellt“, behauptet Nicolás Maduro, der seit zehn Jahren diktatorisch regierende Präsident des Landes.

Doch von einer Erholung ist bisher nur wenig zu spüren: Zwar ist Venezuelas Wirtschaft vergangenes Jahr nach Angaben des Internationalen Währungsfonds um acht Prozent gewachsen. Zuvor war das Bruttoinlandsprodukt seit 2013 um rund 80 Prozent geschrumpft. Doch dieses Jahr sind die Aussichten bereits wieder durchwachsen.

Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika rechnet nur noch mit einem Plus von fünf Prozent in diesem Jahr. Die Inflation lag im April nach Angaben des unabhängigen Observatorio Venezolano de Finanzas (OVF) im Jahresvergleich bei 471 Prozent.

Wirtschaft in Venezuela kann sich nur schwer erholen

In Venezuela zeigt sich heute, wie schwierig es ist, eine Volkswirtschaft nach einem beispiellosen Crash und einer Hyperinflation wieder zu stabilisieren. Maduro hat einige der sozialistischen Maßnahmen seines Vorgängers Hugo Chávez wieder rückgängig gemacht. Der hatte Tausende von Unternehmen enteignet und verstaatlicht und die einheimische Währung kontrolliert.

Hugo Chávez

Der Ex-Präsident verstaatlichte Schlüsselindustrien in Venezuela.


(Foto: dpa)

Maduro lässt jetzt wieder private Unternehmen zu. Außerdem ist er seit Ende 2019 dazu übergegangen, den Dollar als Zahlungs- und Verrechnungseinheit zu akzeptieren, nachdem die Regierung seit 2008 insgesamt 14 Nullen der Landeswährung Bolívar gestrichen hat, um sie zu stabilisieren.

Doch immer noch erscheint die Preisgestaltung irrational. Wegen der Hoch- und Hyperinflation haben die Venezolaner das Gefühl für Preisrelationen verloren: So kommt es vor, dass in einem Restaurant alle Hauptgerichte 20 Dollar kosten.

Ein Gebäck und ein Kaffee können in einem einfachen Straßencafé zwölf Dollar kosten, aber hundert Meter weiter genau die Hälfte. Ein Handwerker – so heißt es – kann für eine Reparatur 20 oder 200 Dollar verlangen.

Restaurant in Caracas

Venezuelas Hauptstadt Caracas erlebt einen Immobilien- und Bauboom. In zentrumsnahen Stadtteilen öffnen ständig neue, meist teure Restaurants.


(Foto: Reuters)

Ähnlich bei den Löhnen: Staatsangestellte, also Lehrer, Professorinnen oder Pflegepersonal etwa, verdienen durchschnittlich zehn Dollar im Monat. Ein Warenkorb zur Deckung der Mindestbedürfnisse einer vierköpfigen Familie kostet derzeit 500 Dollar. Eine Hausangestellte in Caracas kann 300 Dollar im Monat verdienen – ein Ingenieur kaum mehr. Viele Menschen überleben, weil sie Verwandte oder Freunde im Ausland haben, die ihnen Dollar schicken.

Wachstum in Venezuela ist beschränkt

Ausgewanderte Venezolaner gibt es inzwischen viele: Mehr als sieben Millionen Menschen haben das Land seit 2015 verlassen. Vermutlich leben noch 28 Millionen Menschen in Venezuela. Doch genau weiß das keiner, es gibt schon lange keinen Zensus mehr.

Gleichzeitig erlebt Caracas einen Immobilien- und Bauboom. In zentrumsnahen Stadtteilen öffnen ständig neue, meist teure Restaurants. Nachts sind hohe Bürokomplexe erleuchtet. Gerade hat ein großes Einkaufszentrum geöffnet und wird dem Besucher immer wieder stolz als Beweis für die Erholung des Landes vorgezeigt.

Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, wie beschränkt das Wachstum Venezuelas bei Konsum und Dienstleistungen ist: In dem glitzernden neuen Shopping-Center sind fast nur Läden mit einheimischen Marken zu sehen. Und wie die neuen Restaurants sind sie kaum besucht.

Hoffnung könnten der Wirtschaft Berichte geben, dass viele der reich gewordenen Venezolaner seit einigen Jahren ihr Geld nicht mehr im Ausland bunkern oder investieren. Sie haben Sorgen, dass ihr Besitz oder die Konten dort beschlagnahmt werden könnten. Sie stecken ihr Geld deswegen nun in Immobilien, Restaurants und Luxuskonsum – in Venezuela. So hat Ferrari in Caracas jetzt einen Shop eröffnet. Wie die italienischen Luxuswagen ins Land kommen, das ist das Geheimnis des Herstellers. 

Denn Venezuela steht seit 2019 auf der Sanktionsliste der USA: Präsident Donald Trump hat damals wegen Wahlbetrugs des Präsidenten Maduro harte Sanktionen gegen das Land verhängt. Kein US-Konzern oder Unternehmen, das in Dollar abrechnet, darf Öl oder Derivate vom venezolanischen Ölkonzern beziehen.

Donald Trump

Der ehemalige US-Präsident hat harte Sanktionen gegen Venezuela verhängt.

(Foto: AP)

In Caracas kursiert in Wirtschaftskreisen der Begriff der Over-Compliance. Diese halte ausländische Unternehmen davon ab, im Land zu investieren oder mit Venezuela zu handeln. Denn Importe von Lebensmitteln, Produkten für die Landwirtschaft und auch medizinischen Geräten oder Pharmaprodukten sind erlaubt.

Doch viele Unternehmen, die eigentlich nach Venezuela exportieren könnten, zögern damit. Sie befürchten, auf dem Index der USA zu landen.

Beim venezolanischen Unternehmerverband Fedecamaras ist man „hoffnungsvoll“, aber „nicht optimistisch“ über die weiteren Aussichten für die Erholung. Die Akzeptanz des Dollars habe zu einem Vertrauensschub geführt. Die Auslastung unter den Mitgliedern sei inzwischen wieder auf rund 40 Prozent gestiegen, von nur 20 Prozent vor zwei Jahren.

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Doch solche Zahlen lassen sich kaum verallgemeinern: Im Spitzenverband sind von Agrarwirtschaft bis Tourismus, Industrie und Handel alle Branchen vertreten.

Für Venezuela als Standort spricht nach Einschätzung des Verbands, dass Unternehmer im internationalen Vergleich hohe Gewinnmargen aufschlagen könnten. Unternehmen sollten allerdings vermeiden, Geschäfte mit dem Staat zu machen.

Interesse deutscher Unternehmen an Venezuela steigt

Auch die deutsche Handelskammer verzeichnet ein stark wachsendes Interesse von Mittelständlern, die in Venezuela einen potenziellen Markt sehen. Geschäftschancen bestehen in den Sektoren Energie, Telekom, Agrar und Tourismus, sagt Mischa Groh, Geschäftsführer der deutschen Außenhandelskammern in Kolumbien und Venezuela.

Doch es dürfte für Venezuela eine Herausforderung sein, Touristen anzulocken. In dem Land funktionieren Mobilfunknetz und das Internet nur schwach, die Fortbewegung ist kompliziert, weil ständig Benzin fehlt. Vor Tankstellen mit subventioniertem Benzin stauen sich die Autos oft kilometer- und stundenlang. Auch wegen der ständigen Polizeikontrollen dauern selbst kurze Überlandfahrten weit länger, als die Strecken erwarten lassen.

Es gibt täglich kaum mehr als ein Dutzend Flugverbindungen ins Ausland – keine in die USA und kaum eine nach Europa. Zwar soll das erste Kreuzfahrtschiff mit deutschen Touristen wieder auf der Isla Margarita angelegt haben. Die Ferieninsel soll jüngst vor allem von russischen Soldaten zur Entspannung genutzt werden, berichten Augenzeugen.

Auch ist unklar, wie der Aufschwung finanziert werden soll, wenn die größte Einnahmequelle Venezuelas fast versiegt ist: Das Land mit den größten Ölvorräten weltweit und Nummer sechs bei Erdgasvorkommen fördert und verkauft nur noch etwa ein Fünftel seiner einstigen Produktion.

Öl-Raffinerie von Venezuelas staatlichem Erdölkonzern PDVSA

Private Beteiligungen in der Ölindustrie wie bei den Bodenschätzen sind in der Praxis kaum möglich.


(Foto: dpa)

Für weitere Investitionen in Öl, Energie und Bodenschätze müsse der Gesetzesrahmen für ausländische Unternehmen vollständig erneuert werden, sagt eine Rechtsanwältin, die anonym bleiben will. Der Staat hat das Monopol über den Ölkonzern PdVSA. Private Beteiligungen in der Ölindustrie und bei den Bodenschätzen seien in der Praxis kaum möglich.

Vielfach würden jetzt dem Regime nahestehende Politiker, Militärs und Unternehmer in Läden, Restaurants und Immobilien investieren, einerseits um Geld zu waschen, aber auch um das Geld anzulegen. Für eine Erholung der Ölindustrie oder der Infrastruktur wie Energie oder Telekom seien aber hohe ausländische Investitionen notwendig.

Sanktionen der USA entscheiden über Entwicklung der Wirtschaft

Es sei jedoch nicht abzusehen, ob und wann die kommen würden. „Ich würde jedem abraten, in Venezuela zu investieren, bis nicht der gesetzliche Rahmen für private Investitionen geändert wird“, sagt die Anwältin.

Entscheidend für neue Investitionen wird sein, ob die USA die Sanktionen gegenüber Venezuela lockern werden. Doch dafür muss die Regierung die für 2024 anstehenden Wahlen so transparent abhalten, dass sie als „sauber“ gelten können.

Bei den Regionalwahlen im vergangenen Jahr hat die Regierung Wahlbeobachter zugelassen. Prompt hat die Opposition rund zehn Prozent der Gemeinden erobert, obwohl vielen Kandidaten vorher das passive Wahlrecht entzogen wurde.

Es liegt also am Diktator Nicolás Maduro selbst, ob Venezuelas Wirtschaft sich weiter erholen wird.

Mehr: Mehr als 100 Prozent Inflation in einem Jahr – Argentinien findet keinen Weg aus der Preiskrise



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