May 9, 2023
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Fachkräftemangel : Keine „Elitenauslese“ mehr – IG BCE verlangt von Unternehmen mehr Engagement in der Ausbildung

Written by Barbara Gillmann

Berlin Mit einer breit angelegten Kampagne will die Gewerkschaft IG BCE die Arbeitgeber dazu bringen, wieder mehr junge Menschen auszubilden. Die Arbeitgeber müssten den Trend rückläufiger Azubi-Zahlen stoppen und so die Zukunft der Branchen sichern.

„Die Unternehmen müssen endlich etwas gegen die Ausbildungsmisere unternehmen“, sagte IG-BCE-Vorstandsmitglied Francesco Grioli vorab dem Handelsblatt. Er warnt: „Andernfalls erreicht der Fachkräftemangel mittelfristig ein Ausmaß, das Industriebetriebe ins Ausland abwandern lässt.“

Viele Konzerne betrieben nach wie vor eine „Elitenauslese“, kritisiert Grioli, obwohl der Mangel an Arbeitskräften schon jetzt spürbar sei. Oft würden gerade Hauptschüler schon bei der Bewerbung „von der KI der Personalabteilung aussortiert – das können wir uns nicht mehr leisten. Die Industriemanager müssen endlich von ihrem hohen Ross herunter“, fordert der Gewerkschaftsfunktionär. Gerade die Großunternehmen müssten auch wieder mehr über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden. 

Mit der Kampagne „Fachkräfte fallen nicht vom Himmel – ohne Ausbildung keine Zukunft“ will die Gewerkschaft über die Betriebsräte erreichen, dass in den Unternehmen möglichst viele Betriebsvereinbarungen für mehr Lehrstellen geschlossen werden. 

Hintergrund ist die seit Jahren zurückgehende Bedeutung der dualen Ausbildung. Durch die Coronapandemie fiel die Zahl der neu geschlossenen Ausbildungsverträge noch weiter. 2022 begannen bundesweit knapp 469.000 Menschen eine Ausbildung, 2011 waren es noch rund 100.000 mehr.

Immer weniger Betriebe bilden aus

Auch bilden immer weniger Betriebe überhaupt noch aus: Der Anteil ist 2021 weiter auf 19,1 Prozent gesunken, nicht mal jeder fünfte. 2009 bildete noch knapp jede vierte Firma aus. Das zeigt der neue Berufsbildungsbericht der Bundesregierung, der dem Handelsblatt vorliegt.

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Auch die Chemiebranche hat nach Angaben der IG BCE nur eine recht schwache Ausbildungsquote von 4,3 Azubis pro 100 Beschäftigten. Und das trotz finsteren Aussichten: „In sehr naher Zukunft werden in der Branche demografiebedingt jedes Jahr etwa so viele Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden – 25.000 bis 30.000 –, wie wir derzeit insgesamt über alle Jahrgänge Auszubildende haben“, erklärt ein Gewerkschaftssprecher.

Die Arbeitgeber weisen stets auf die sinkende Zahl der Bewerber hin. Auch die IG BCE bestreitet nicht, dass in den letzten Jahren immer weniger Schüler die Schulen verlassen. Umso gezielter müssten die jungen Leute angesprochen werden, die durchs Raster fallen, weil sie keine Ausbildung finden. Denn obwohl zuletzt Zehntausende Lehrstellen in den Bertrieben unbesetzt blieben, gab es 2022 wieder 240.000 junge Leute, die nach der Schule in den Kursen des Übergangssystems hängen bleiben. Dort können sie Versäumtes nachholen, aber keine Ausbildung machen. Oft finden sie auch danach keine Lehrstelle.

Die Folge sind immer mehr Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die ungelernt sind: Ihre Zahl stieg nach dem Berufsbildungsbericht 2021 auf 2,64 Millionen.

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Schulabgänger mit dem Stempel „nicht ausbildungsreif“ der Bundesagentur für Arbeit (BA) werden oft in Warteschleifen und zusätzliche Vorbereitungskurse geschickt, statt sie in Ausbildungen zu vermitteln. Grioli fordert, das Konzept der mangelnden Reife aus den Zeiten der Lehrlingsschwemme endlich abzuschaffen. Angesichts der fehlenden Fachkräfte dürfe niemand mehr unberücksichtigt bleiben. „Die Unternehmen müssen künftig mehr Herzblut, Know-how und Geld in die Weiterentwicklung junger Menschen investieren.“

Francesco Grioli

Der Gewerkschafter fordert die Unternehmen dazu auf, auch ungelernte junge Menschen stärker auszubilden.

(Foto: IG BCE)

Der Gewerkschafter verweist etwa auf das Projekt „Start in den Beruf“ der Chemietarifpartner. „In 20 Jahren haben wir hier mehr als 5600 leistungsschwächere Jugendliche in Kursen fit für die Ausbildung gemacht: Fast 90 Prozent konnten dann eine normale Lehre beginnen“, berichtet Grioli. 

Beispiel Continental: Ungelernte werden zu Fachleuten

Auch in anderen Branchen gebe es Fortschritte: Gemeinsam mit dem Autozulieferer Continental haben IGBCE und die IG Metall ein Fortbildungsinstitut gegründet. Dort können auch Ungelernte Qualifikationen erwerben und einen Abschluss nachholen. „Das zeigt, dass man Ungelernte jeden Alters sehr wohl zu Fachleuten qualifizieren kann“, sagt Grioli. Seit dem Start 2019 hätten dort 8500 Ungelernte aus der laufenden Arbeit heraus einen Berufsabschluss nachgeholt – der älteste Absolvent sei 58 Jahre alt gewesen.

Die Wirtschaft sieht den Vorstoß kritisch, sich vom Konzept der „Ausbildungsreife“ zu verabschieden. Dennoch zeigen sich die Arbeitgeber nachdenklich. Man müssen auch künftig klarstellen, welche Voraussetzungen die Lehre brauche, heißt es etwa beim Handwerk. Es sei auch sinnvoll, die Jugendlichen schon bei der Auswahl eines möglichen Berufszweigs besser zu unterstützen.

Der Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks, denkt an eine „Ausbildungsstartkompetenz“, für die man etwa digitale Fähigkeiten, aber auch Problemlösungskompetenz und Kreativität stärker berücksichtigen könnte als nur die Zeugnisse. Das könne helfen, potenzielle Azubis und Betriebe besser zusammenzubringen. 

Daneben ruft Gewerkschafter Grioli dazu auf, „auch endlich Bewerbern mit Migrationshintergrund die gleichen Chancen zu geben. Wir brauchen sie, und das Potenzial ist enorm.“ Nach wie vor existente Vorbehalte gegen Migranten zeigen auch Studien des Bundesinstituts für Berufsbildung. 

Zumindest im Handwerk, wo immerhin noch 27 Prozent aller Betriebe ausbilden, „ist jede und jeder willkommen“, meint Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Daher würden auch überproportional viele junge Flüchtlinge ausgebildet. 

Mehr: Ausgerechnet in den IT-Berufen gibt es viel zu wenige Lehrstellen



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