Mexiko-Stadt In den USA endet die Abschieberegelung „Title 42“ – und Irineo Mujica erwartet dramatische Szenen. Überall in Mexiko würden Migrantinnen und Migranten darauf warten, die Grenze überqueren zu können, sagt der Direktor der Migrantenorganisation „Pueblo Sin Fronteras“ (PSF). Mujica hat in den vergangenen Wochen eine Gruppe von ursprünglich rund 3000 Menschen auf ihrem Weg durch Mexiko begleitet.
Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte im Frühjahr 2020 angeblich zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus die als Title 42 bekannte Vorschrift erlassen. Der Grenzschutz bekam so die Erlaubnis, ankommende Zuwanderer und Schutzsuchende an der Grenze zurückzuweisen. Mehr als 2,5 Millionen Mal nutzten die Beamten diese Möglichkeit.
Das Ende des Einreiseverbots am 11. Mai sorgt nun von Süd- bis Nordmexiko für Unruhe. In der mexikanischen Stadt Tapachula an der Grenze zu Guatemala kämpfen Migranten um die begehrten Passierscheine, die Mexiko für 45 Tage für eine sichere Durchreise bis an die US-Grenze ausstellt. Sowohl in Mexiko-Stadt als auch an der Nordgrenze machen sich Menschen auf den Weg Richtung USA.
Voraussichtlich werden zahlreiche Männer und Frauen Asyl in den USA beantragen, sobald die Vorschrift ausläuft – und zwar nicht nur Menschen aus Südamerika. Nicaraguaner, Kubaner, Venezolaner und Haitianer hoffen zudem auf eine der monatlichen 30.000 Aufenthaltserlaubnisse, die Washington für diese vier Länder ausgelobt hat.
Aber die Mehrzahl der Einwanderer aus dem Süden wird wie bisher auch als „Mojado“, als Migrant ohne Papiere, die Löcher im Zaun finden, unbemerkt durch die Wüste wandern oder den Grenzfluss Rio Grande durchschwimmen. Diese „illegale Migration“ hat auch Title 42 nicht aufgehalten. An der 3200 Kilometer langen Grenze zwischen Tijuana am Pazifik und Matamoros am Golf von Mexiko werden auch jetzt jeden Tag rund 7000 Menschen von den Grenzschützern aufgegriffen.
Perspektivlosigkeit treibt Menschen zur Flucht – auch Mittelschicht
Die Menschen fliehen aus ihren Herkunftsländern vor Armut, Gewalt, autokratischen Regimen, Naturkatastrophen und der organisierten Kriminalität. Dieter Müller, Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko-Stadt, beobachtet aber auch eine andere Entwicklung. Es seien längst „nicht mehr nur die Ärmsten der Armen, die sich auf den Weg machen“.
Auch die gut ausgebildete Mittelschicht versuche, der Perspektivlosigkeit in Ländern wie Kuba, Haiti und Venezuela zu entkommen. Statt allein reisender junger Männer seien inzwischen immer mehr Frauen, Minderjährige und ganze Familien unterwegs, sagt Müller.
Manche Einwanderer wollten nicht auf den Donnerstag warten. Zu ihnen gehört Jhoan Barrios. Der Venezolaner ist eigenen Aussagen zufolge nach vier Monaten langer Wanderung aus seiner venezolanischen Heimatstadt Barinas durch den Darién-Dschungel, Zentralamerika und Mexiko vor ein paar Tagen in Ciudad Juárez angekommen.
Dabei habe er im Darién-Dschungel Tote gesehen, sei mehrfach überfallen und ausgeraubt worden, sei erkrankt und habe sich die Füße wund gelaufen. An Umkehren haben der 33-jährige bisherige Manager einer Bekleidungsfabrik und seine Frau dennoch nie gedacht: „Wir haben alles verkauft, in Venezuela ist kein würdiges Leben mehr möglich, da geht man auch vor die Hunde“, sagt der schlanke Mann mit dem kurzen Haar.
Kaum war er in Juárez angekommen, habe er versucht, über die App CBP One der US-Behörden einen Asylantrag zu stellen. „Aber die App bricht immer zusammen.“ Also entschloss er sich, den Weg abseits der offiziellen Grenzübergänge zu nehmen. Dabei hätten allerdings die Mafia und mexikanische Soldaten auf ihn geschossen.
Dennoch schaffte er es in die USA. Zusammen mit 2000 anderen Migranten aus Venezuela, Kolumbien und der Türkei habe er sich den Behörden gestellt. Endgültig am Ziel ist er aber noch nicht. Entweder landet er im Aufnahmelager – oder im Gefängnis. Er hofft, als Venezolaner eine Vorzugsbehandlung zu bekommen.
Ob sich die Hoffnungen der Migranten erfüllen und sie jetzt deutlich leichter in die USA kommen, ist fraglich. Auch die Migrationsforscherin María Inés Barrios ist skeptisch. „Die Migranten glauben, dass das Ende des Title 42 ihnen die Türen zur Einreise in die USA und zur Beantragung von Asyl öffnet.“
Hunderte Menschen warten im Niemandsland zwischen den USA und Mexiko
Dabei sei das Gegenteil der Fall. Nach dem 11. Mai werde jeder, der versucht, irregulär einzureisen, gemäß dem regulären Einwanderungsgesetz abgeschoben. Demnach droht sogar eine fünfjährige Einreisesperre. Es fehle zudem nach wie vor an einer übergreifenden und einheitlichen Migrationspolitik in der Region, an der aber auch kaum politisches Interesse bestehe.
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Stiftungsvertreter Müller verweist auf die neuen Migrationszentren, die Washington in Guatemala und Kolumbien einrichten will. In diesen „Regionalen Bearbeitungszentren“ sollen Menschen, die in die USA wollen, Einreiseanträge stellen können. So sollte die „irreguläre Migration“ begrenzt und „sichere, geordnete, humane und legale Wege“ geschaffen werden, erklärte die US-Regierung.
Die USA lagerten so die Migration ähnlich aus wie Italien in Libyen und Deutschland in der Türkei, kritisiert Müller. So etwas begrenze die Migrationsbewegungen aber nicht.
Auch PSF-Aktivist Irineo Mujica ist deutlich: „Es sind Eindämmungsmaßnahmen, die nicht funktionieren. Die Migration geht weiter und damit auch die Tortur für die Menschen.“ Es helfe nur, die Länder, aus denen die Menschen fliehen, politisch, wirtschaftlich und sozial zu stabilisieren. „Erst dann lässt der Migrationsdruck nach.“
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