May 10, 2023
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Türkei-Wahlen: Was EU und Nato von Kilicdaroglu erwarten können

Written by Ozan Demircan

Istanbul Kemal Kilicdaroglu zeigt sich gerne als Anti-Erdogan. Der Herausforderer des türkischen Staatschefs bei den Präsidentschaftswahlen in der Türkei am Sonntag will Freiheitsrechte im Land stärken, die Verfassung ändern und die Geldpolitik in geordnete Bahnen bringen. Damit hat er in Europa und den USA große Hoffnungen auf einen Regierungswechsel geweckt.

„Es ist kein Geheimnis, dass westliche Regierungen und Beobachter auf einen Führungswechsel in Ankara hoffen, um die Beziehungen zu einem wichtigen, aber schwierigen Verbündeten zu stabilisieren, wenn nicht sogar ,zurückzusetzen‘“, sagt Ian Lesser, Vizepräsident des German Marshall Fund. „Ankaras Beziehungen zu transatlantischen Partnern, einschließlich der EU und der Nato, waren in den letzten Jahren zutiefst beunruhigend.“  

Kilicdaroglu gilt nicht nur im eigenen Land für viele als Hoffnungsträger für eine andere Politik. Doch in der Außenpolitik, wo es große Streitpunkte zwischen dem Westen und dem Land am Bosporus gegeben hat, will der 74 Jahre alte Kilicdaroglu weniger Änderungen vornehmen, als es auf den ersten Blick scheint.

Zum Beispiel bei der türkischen Position zum Krieg in der Ukraine. In der Zentrale von Kilicdaroglus Republikanischer Volkspartei CHP sind sich viele einig, dass Ankara sich nicht stärker hinter die Ukraine stellen sollte, sondern die Sonderpositionierung gegenüber Russland fortsetzen sollte.

Ankara hat den russischen Angriff verurteilt, schließt sich den westlichen Sanktionen gegen Russland aber nicht an. Das solle so bleiben, heißt es bei der CHP. Und das, obwohl es deutliche Kritik der EU an diesem Kurs gibt.

Hoffnungen in der EU – aber was wird aus dem Flüchtlingsdeal?

Kilicdaroglu tritt als Spitzenkandidat für ein Oppositionsbündnis aus sechs Parteien bei der Wahl gegen den Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan an. Er verspricht der türkischen Bevölkerung nicht nur die Rückkehr zum parlamentarischen Regierungssystem und eine neue Wirtschaftspolitik, sondern auch engere Beziehungen zur EU.

Plakate der Präsidentschaftskandidaten

Der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan teilte oft scharf gegen den Westen aus.

(Foto: AP)

Der Oppositionskandidat hat zum Beispiel medienträchtig visafreie Reisen in die Europäische Union innerhalb von drei Monaten nach seinem Amtsantritt versprochen. EU-Bürokraten halten dies allein aus technischen Gründen für unerreichbar. 

Die EU-Beitrittsverhandlungen sind quasi eingefroren. Laut einer internen Messung der EU-Kommission, die den Grad der Überschneidung eines Beitrittskandidaten mit der EU-Außenpolitik angibt, stimmen die Außenpolitik Ankaras und Brüssels nur noch zu sieben Prozent überein.

Konfliktpotenzial gibt es unter anderem beim EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen von 2016. Kilicdaroglu warf der EU „Bestechung“ vor und bezog sich dabei auf Zahlungen von bis zu neun Milliarden Euro für die Türkei, damit diese Flüchtlinge von einer Weiterreise in die EU abhält. 

Syrische Flüchtlinge nahe der türkisch-griechischen Grenze (Frühjahr 2020)

Die EU hatte ein umstrittenes Flüchtlingsabkommen mit der Türkei abgeschlossen.

(Foto: AP)

Kilicdaroglu ist der Meinung, dass das Abkommen neu bewertet werden müsse und die Türkei nicht weiterhin als „Pufferzone“ für „Klimaflüchtlinge“ fungieren könne, wie er in einem Twittervideo erklärt hatte.

>> Lesen Sie hier: So werben türkische Parteien im Ausland

Kilicdaroglus geplante Migrationspolitik könnte das europäisch-türkische Verhältnis weiter belasten. Im März versprach er, syrische Flüchtlinge innerhalb von zwei Jahren in ihre Heimat zurückzuschicken. Im Tagesthemen-Interview betonte Kilicdaroglu, er wolle mit der „legitimierten Regierung Syriens“ – gemeint ist der syrische Diktator Baschar al-Assad – Garantien aushandeln, sodass die vier Millionen syrischen Flüchtlinge zurückkehren könnten. Auf die Nachfrage, ob nicht vor allem oppositionelle syrische Flüchtlinge dann eher in Richtung EU fliehen würden, wich er aus.

In einem Fernsehinterview mit einem türkischen Fernsehsender wurde er deutlicher. Dort kündigte er an, er wolle mit europäischen Geldern in Syrien eine Infrastruktur für die Rückkehr von Millionen Menschen vorbereiten. Wenn die EU diese Mittel nicht liefere, werde er die Syrer nicht in der Türkei behalten. „Es tut mir leid, ich werde die Türen öffnen. Sie können gehen, wohin sie wollen.“

Im Verhältnis zum EU-Mitglied Griechenland zeichnet sich auch nach einem Machtwechsel in Ankara zumindest keine rasche Annäherung ab: Im vergangenen Jahr drohte Kilicdaroglu dem Nachbarland gar mit einer bewaffneten Intervention. In diesem Zusammenhang griff er auch die USA in einem Video an. Die Vereinigten Staaten hätten Griechenland mit Militärstützpunkten „gefüllt“.

Das ist nicht die einzige Anfeindung gegen die USA: Im vergangenen Jahr erklärte er, seine Partei sei sogar bereit, die Regierung Erdogan zu unterstützen, wenn sie alle amerikanischen Militäreinrichtungen in der Türkei schließen wolle. „Wir sind genauso gegen ausländische Soldaten in unserem Land wie gegen den Neoliberalismus. Wir sind bereit, alles Notwendige zu tun“, sagte Kilicdaroglu damals.

Kilicdaroglu muss im Oppositionsbündnis um das Verhältnis zum Westen ringen

In Kilicdaroglus Sechserbündnis sind zwei Parteien, die von Ex-Mitgliedern von Erdogans AKP gegründet wurden, sowie eine nationalistische und eine islamistische Partei, die nicht unbedingt westlich orientiert sind. Und so gibt es bei der geplanten Außenpolitik häufig Dissens.

Kilicdaroglu hat schon häufig angedeutet, dass seine Außenpolitik nicht ausschließlich westlich ausgerichtet wäre. „Es wäre nicht richtig, die Außenpolitik der Türkei auf eine Definition von pro Osten oder pro Westen zu beschränken“, sagte er in einem Interview gegenüber der Zeitung Nikkei Asia kurz vor dem Wahlgang. 

>> Lesen Sie hier: Erdogan erhält Wahlkampfhilfe aus Washington

Einer der größten außenpolitischen Streitpunkte zwischen den westlichen Ländern und der Türkei ist, dass Ankara bislang seine Zustimmung zu einem Nato-Beitritt Schwedens verweigert. Ob sich das unter Kilicdaroglu ändern würde, ist nicht sicher.

Schwedische Soldaten bei einer Übung

Die Nato will das Bündnis erweitern, braucht dafür aber die Zustimmung der Türkei.

(Foto: IMAGO/TT)

Das westliche Verteidigungsbündnis hofft, Schweden bis zum nächsten Nato-Gipfel im litauischen Vilnius am 11. Juli 2023 aufzunehmen. Neben der Türkei müsste auch Ungarn bis dahin zustimmen. Doch selbst wenn die Regierung in Budapest grünes Licht gibt, wäre der Zeitraum ambitioniert.

Das türkische Parlament muss den Beitritt eines neuen Bündnismitglieds ratifizieren. Auch wenn Kilicdaroglu die Präsidentschaftswahl gewinnt, muss er für diesen Schritt die Mehrheit in der Nationalversammlung haben.

Selbst wenn seine Sechserkoalition über 50 Prozent kommen sollte, ist nicht garantiert, dass einige aus seinen Reihen eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze fordern würden. Das Parlament müsste zudem innerhalb von zwei Wochen nach Regierungsumbildung diese Entscheidung treffen, bevor es in die Sommerferien geht und das Parlament schließt.

Und so deutet der Präsidentschaftskandidat Kilicdaroglu bereits an, dass er sich nicht genau festlegen will. Im Interview der Tagesthemen spricht er bloß von „positiven Schritten“ auf schwedischer Seite, um die türkischen Empfindlichkeiten im Kampf gegen den Terrorismus anzugehen. 

Auch auf einen Abzug türkischer Truppen aus Syrien will sich Kilicdaroglus CHP nicht festgelegen. „Wir werden uns nicht sofort aus Syrien zurückziehen“, zitiert das Online-Medium Middle East Eye dazu ein Mitglied aus dem CHP-Parteipräsidium. Die Türkei ist unter Erdogan seit 2016 dreimal in Syrien einmarschiert. „Unsere grundlegende Priorität wären Kernfragen der nationalen Sicherheit, wie etwa die Terrorgefahr, die von Syrien und dem Irak ausgeht“, zitiert das Medium ein namentlich nicht genanntes CHP-Mitglied.

Mehr: Wirtschaftsdaten bringen Erdogan in Bedrängnis



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