Berlin Die Union wirft der Bundesregierung vor, dass bei der Munitionsbeschaffung für die Bundeswehr immer noch viel zu wenig passiert. Das Thema sei „ein gutes Beispiel, wie Ankündigungen und Realität auseinanderklaffen“, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Florian Hahn, am Dienstag in Berlin.
Nach dem „Munitionsgipfel“ im Kanzleramt Ende November 2022 habe die Bundesregierung ein weiteres halbes Jahr verschlafen. Der Stillstand sei nicht länger hinnehmbar, betonte der CSU-Politiker.
Von der Nato-Vorgabe, Munition für 30 Tage Gefecht bereitzuhalten, ist die Bundeswehr weiter entfernt als je zuvor, heißt es nach Angaben von hochrangigen Militärs. Die ohnehin knappen Vorräte seien durch Abgaben an die Ukraine weiter geleert worden.
Laut Verteidigungsministerium sind neben Munition für die Panzer Leopard 2 und Marder und die Mehrfachraketenwerfer Mars beispielsweise 22 Millionen Schuss Handwaffenmunition, 100.000 Handgranaten, Flugkörper für das Patriot-Flugabwehrsystem oder 23.500 Schuss Artilleriegranaten geliefert worden.
Doch während etwa Frankreich in die Ukraine geschickte Munition sofort bei der Industrie nachbestelle, passiere das in Deutschland nicht, kritisierte Hahn. Dabei mache die Industrie alles, um ihre Kapazitäten zu erweitern.
Rheinmetall etwa hat in kürzester Zeit die Produktion von 120-Milimeter-Munition für den Kampfpanzer Leopard 2 versechsfacht. Der Ausstoß von Artilleriegranaten soll mit der Übernahme der spanischen Expal Systems von 450.000 auf 700.000 im Jahr gesteigert werden. Doch während andere Länder in großem Stil Leopard-Munition einkauften, habe die Bundeswehr immer noch nichts bestellt, kritisierte Hahn.
Verteidigungsministerium hüllt sich in Schweigen
Wie es um die Munitionsvorräte tatsächlich bestellt ist, darüber hüllt sich das Verteidigungsministerium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion weitgehend in Schweigen und verweist auf die Geheimhaltung. Selbst in der Geheimschutzstelle des Bundestags, wo befugte Parlamentarier sie einsehen könnten, will die Regierung die Informationen nicht bereitstellen.
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Eigentlich sollte der „Munitionsgipfel“ am 28. November für mehr Tempo bei der Beschaffung sorgen. An dem Treffen im Kanzleramt nahmen neben Rheinmetall auch die Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW), MBDA, Diehl Defence, Hensoldt, FFG und Dynamit Nobel Defence teil.
Doch nach der Zusammenkunft ist aus Sicht der Union zu wenig passiert. Sie führt das auch darauf zurück, dass es im Verteidigungsministerium keine verantwortliche Organisationseinheit gibt, die sich zentral um die Munitionsbeschaffung kümmert. Und außerdem wisse die Ampelkoalition offenbar nicht, woher sie das nötige Geld nehmen solle, mutmaßt der CDU-Haushaltspolitiker Ingo Gädechens.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) stehe vor einer „Altlast“ seiner Vorgängerin Christine Lambrecht, „die längst hätte abgeräumt werden können“, sagte Gädechens. Denn Lambrecht habe es versäumt, im Verteidigungsetat oder dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen ausreichend Geld für Munition zu reservieren.
Verträge über knapp neun Milliarden Euro
In der Bereinigungssitzung für den Bundeshaushalt 2023 hätten die Haushälter die Mittel für Munition zwar noch um 125 Millionen auf 1,13 Milliarden Euro aufgestockt, was aber zulasten der Instandhaltung der Eurofighter gehe. Nur mit dieser Erhöhung könne die Bundeswehr überhaupt die mit der Industrie geschlossenen Rahmenverträge für Munition ausschöpfen.
Für 2024 und 2025 habe die Bundesregierung die Verpflichtungsermächtigungen um eine Milliarde Euro auf 1,8 Milliarden Euro aufgestockt, aber das reiche bei Weitem nicht, kritisierte Gädechens: „Wir brauchen wesentlich höhere Summen.“ Die Regierung müsse das nötige Geld für Munition aufbringen, ohne andere Ausrüstungsprojekte zusammenzustreichen.
Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang Hellmich, will das so nicht stehen lassen: „Allen ist klar, dass auch infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine europaweit die Munitionsproduktion erhöht werden muss“, sagte er dem Handelsblatt.
Nach 296 Millionen Euro im Jahr 2015 seien im vergangenen Jahr 800 Millionen Euro für Munition ausgegeben worden, dieses Jahr stünden sogar 1,13 Milliarden Euro zur Verfügung. Und im laufenden Jahr seien bereits oder würden noch Verträge über insgesamt 8,9 Milliarden Euro abgeschlossen.
„Die von der Union geerbten Probleme mangelnder Munitionsdepots, fehlenden Personals und fehlender Produktionskapazitäten in der Industrie werden von Verteidigungsminister Pistorius mit Hochdruck angegangen“, sagte Hellmich.
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Was die Industrie vor allem braucht, ist Planungssicherheit – entweder durch eine Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Kapazitätserweiterung oder wenigstens durch verbindliche Abnahmegarantien, um am Ende nicht auf der gesteigerten Produktion sitzen zu bleiben. In Ungarn beispielsweise habe der Staat den Bau einer neuen Sprengstofffabrik durch Rheinmetall und die ungarische N7-Holding finanziert, sagte der CDU-Verteidigungspolitiker Jens Lehmann.
Ohne staatliche Zuschüsse oder feste Abnahmezusagen werde die Bundeswehr nicht genügend Munition bekommen, betont Lehmann. Die Bundesregierung dürfe hier nicht allein auf den Markt vertrauen. Bei Heizungen oder anderen Themen „greift sie ja auch in die Speichen“.
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