Chisinau Die Kosten des Angriffskrieges gegen die Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen belasten den russischen Staatshaushalt von Monat zu Monat schwerer. Bis Ende April beträgt das Defizit für das laufende Jahr bereits 3,4 Billionen Rubel – umgerechnet rund 39,8 Milliarden Euro. Das geht aus aktuellen Zahlen hervor, die das russische Finanzministerium in Moskau am Mittwochabend veröffentlichte.
Damit sind die maximal 2,9 Billionen Rubel Defizit für das gesamte Jahr 2023 als Zielmarke bereits deutlich gerissen. Im Vorjahr hatte der russische Staat im gleichen Zeitraum noch 1,16 Billionen Rubel Überschuss verbucht.
Der Grund sind einerseits sinkende Einnahmen des russischen Staates, weil die Energieexporte vor allem nach Europa zurückgegangen sind und damit auch die Steuern, die Unternehmen auf ihre Einnahmen daraus zahlen. In den ersten vier Monaten des Jahres nahm der russische Staat 22,4 Prozent weniger ein.
Zugleich stiegen aber die Ausgaben um mehr als 26 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Experten sehen als Grund vor allem die stark gestiegenen Militärausgaben.
Allein im April betrug das russische Defizit im Staatshaushalt rund eine Billion Rubel.
Erlöse aus Energieexporten brechen um die Hälfte ein
Probleme macht dem Kreml vor allem der durch westliche Sanktionen belegte Energiesektor. Und hier ist keine Änderung absehbar. Ende April hatte die Zeitung „Iswestija“ berichtet, der Export von Pipelinegas aus Russland in alle Staaten außer in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion (GUS-Staaten) könnte im laufenden Jahr um 50 Prozent einbrechen. Die Zeitung berief sich dabei auf ein Protokoll einer Sitzung des Staatsrates, eines Gremiums, das Präsident Wladimir Putin berät.
In dem Protokoll heiße es, so „Iswestija“, die geopolitischen Bedingungen und die westlichen Sanktionen erforderten „eine beschleunigte Neuausrichtung der Gasversorgung und die Suche nach neuen Absatzmärkten“. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hatte im März errechnet, dass die Gaserlöse Russlands im Vergleich zum Vorjahr um 42 Prozent zurückgegangen seien, bei den Steuern, die der russische Staat aus dem Verkauf von Öl und Gas bezieht, beziffert Bloomberg das Minus auf 46 Prozent.
>> Lesen Sie hier: EU erwägt extraterritoriale Sanktionen gegen Russlands Lieferanten – China droht mit Vergeltung
Trotz der Defizite könne der russische Staat die Lage noch lange durchhalten, urteilt Janis Kluge, Experte für Russlands Wirtschaft bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die russische Führung kann noch immer auf Reserven zurückgreifen. Im Februar wurde bekannt, dass Russland einen Teil seiner Goldreserven sowie Devisen verkauft hat, um das Haushaltsdefizit auszugleichen.
Der Nationale Wohlfahrtsfonds sei ungefähr so groß wie das Defizit, mit dem man in diesem Jahr realistisch rechnen könne, sagt Kluge. „Allerdings kann der russische Staat sich auch neu verschulden und tut dies auch.“ Letztlich sei die einzige harte Grenze für die Neuverschuldung die Inflation in Russland. Diese sei bisher noch niedrig, werde aber im Laufe der Zeit ansteigen.
Langfristig würden die Verluste im Staatshaushalt jedoch zum Problem. „Sollte Russland über mehrere Jahre hohe Defizite haben, muss die Führung sich entscheiden, ob die Bekämpfung der Inflation weiterhin ernst genommen wird oder ob die Finanzierung des Krieges Priorität hat.“ Die knappen Arbeitskräfte in Kombination mit sinkender Produktivität und sehr hohen Staatsausgaben trieben die Inflation.
Russen konsumieren und importieren wieder mehr
Auch Russland-Experte Tatha Ghose von der Commerzbank meint, die Frage, wie die russische Wirtschaft mit der Kombination aus Kriegsausgaben, westlichen Sanktionen und dem Verfall der Energiepreise zurechtkommt, werde sich erst längerfristig beantworten lassen. Belastungen sieht er vor allem im Einfuhrverbot von Technologie sowie der Tatsache, dass die EU die Energieeinfuhren vollständig einstellen werde. Das dürfte sich auch in den nächsten Haushaltsdaten widerspiegeln.
Oliver Kempkens, der bis Februar 2022 Managing Director der russischen Sberbank in Moskau war und an verschiedenen russischen Universitäten lehrte, sieht durch das wachsende Defizit keinen nahenden Kollaps der russischen Wirtschaft, weil der Staat „maßvoll gehaushaltet“ habe. Die Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt liegt unter 25 Prozent.
Einnahmen, die nicht aus der Öl- und Gasbranche stammen, erholen sich derzeit sogar, geht aus den Daten des Finanzministeriums hervor. Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer in Russland hätten sich erholt, analysiert Kluge. Die Russen konsumierten inzwischen wieder mehr und importierten auch mehr als im vergangenen Jahr. Das sorge auch etwa über Einfuhrzölle für zusätzliche Einnahmen.
In die ehemalige McDonalds-Filiale ist ein neuer Betreiber gezogen. Der Konsum der Russen landesweit steigt wieder an.
(Foto: AP)
Um die Einnahmeseite zu stärken, hat der Kreml eine Reihe von Maßnahmen beschlossen. Für westliche Unternehmen gilt beispielsweise seit März eine neue Sonderabgabe, wenn sie Russland verlassen. Die Abgabe beträgt laut dem Ausschuss der russischen Regierungskommission zur Kontrolle ausländischer Investitionen mindestens zehn Prozent der Hälfte des Verkehrswerts der betroffenen Vermögensgegenstände. Wenn der Verkauf mit einem Abschlag von mehr als 90 Prozent erfolgt, sind die Unternehmen sogar zu einer Zahlung von mindestens zehn Prozent des Verkehrswerts verpflichtet.
Aber auch heimische Unternehmen werden verstärkt zur Kasse gebeten. Anfang des Jahres hatte das russische Finanzministerium große russische Unternehmen um einen „einmaligen, freiwilligen Beitrag“ zur Finanzierung des Staatshaushaltes gebeten. Ab Ende des Jahres soll es dann eine Sondersteuer für Unternehmen geben. Unternehmen der Öl- und Gasbranche könnten allerdings ausgenommen werden, hieß es im März vonseiten des Finanzministeriums.
Mehr: VW, Mercedes, Henkel – Warum sich gerade jetzt so viele Firmen aus Russland zurückziehen.
<< Den vollständigen Artikel: Kosten des Ukraine-Kriegs: Russlands Staatsdefizit weitet sich rapide aus – doch der Kreml hat noch Reserven >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.