May 11, 2023
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Flüchtlingsgipfel: „Könnte viele frustrieren“ – Unmut über Bund-Länder-Einigung

Written by Dietmar Neuerer


Berlin Bund und Länder haben mit ihren Entscheidungen zur Finanzierung der Flüchtlingskosten teilweise heftige Kritik auf sich gezogen. Der Beschluss „bedeutet ein Scheitern, weil er weder finanziell ausreichend ist noch den Kommunen dauerhaft Planungssicherheit gibt“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dem Handelsblatt. „Die Regierungen von Bund und Ländern richten mit ihrer Unfähigkeit zur Einigung einen signifikanten Schaden an, der Populisten und rechtsextremen Kräften weiter Auftrieb gibt.“

Wie Fratzscher sieht auch der Wirtschaftsweise Achim Truger ein „schlechtes Signal“ darin, dass bei dem Treffen der 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch eine dauerhafte Lösung zur Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung auf den Herbst vertagt worden war. „Das könnte viele Menschen frustrieren“, sagte Truger. „Man gewinnt den Eindruck, dass das letztlich dem Haushaltsstreit in der Ampelkoalition geschuldet ist und der Termin bewusst nach den Landtagswahlen in diesem Jahr angesetzt wurde.“ In Bayern und Hessen werden Anfang Oktober neue Landesparlamente gewählt.

Bei den Kommunen, die nicht zu dem sogenannten Flüchtlingsgipfel eingeladen waren, obwohl sie die Hauptlast bei der Unterbringung von Schutzsuchenden tragen, sorgen die Beschlüsse ebenfalls für Unmut.

Mindestens die Finanzfragen hätten auf Dauer gelöst werden müssen, sagte der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager. Vor diesem Hintergrund seien die Bund-Länder-Beschlüsse „den unter der Last der aktuellen Situation ächzenden Landkreisen nicht zu vermitteln“.

Kanzler Scholz sieht die vertagte Grundsatzentscheidung über dauerhaft höhere Bundesmittel für die Finanzierung der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen als offenen Prozess. Die Aufgabe zu lösen sei nicht einfach, weil in den vergangenen Jahren viel passiert sei, sagte Scholz nach den Beratungen im Kanzleramt. „Wir gehen da als offener Prozess rein, und das Ergebnis kann niemand vorhersagen.“

Grüne mahnen rasch weitere Schritte an – Söder fordert mehr Geld vom Bund

Der Bund hatte bei der Einigung am Mittwochabend eine Milliarde Euro als zusätzliche Beteiligung an den Kosten der Flüchtlingsversorgung für dieses Jahr zugesagt. Über die künftige Aufschlüsselung der Kosten soll aber zunächst in einer Arbeitsgruppe beraten und erst im November entschieden werden. Die Milliarde sei „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg.

Mit dem Betrag sollen die Länder dabei unterstützt werden, ihre Kommunen zusätzlich zu entlasten und die Digitalisierung der Ausländerbehörden zu finanzieren. Der Bund hatte zuvor bereits 1,5 Milliarden Euro für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in diesem Jahr zugesagt sowie 1,25 Milliarden Euro für andere Geflüchtete. Sachsen, Bayern und Sachsen-Anhalt hielten in einer Protokollerklärung fest, dass sie die Gipfelergebnisse für unzureichend halten.

Die Kritik ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich Scholz nicht auf die Forderung der Länder nach einem „atmenden“ Finanzierungssystem einließ, bei dem die Zuweisungen des Bundes von der tatsächlichen Zahl der neu ankommenden Asylbewerber abhängig sein sollen.

Hintergrund der Debatte ist vor allem, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den ersten vier Monaten dieses Jahres 101.981 Asylerstanträge registriert hatte. Das sind fast 80 Prozent mehr als im Vorjahr. Außerdem müssen die Kommunen mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine unterbringen. Diese müssen keine Asylanträge stellen.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour mahnt rasch weitere Schritte an, um den Kommunen über das Jahr 2023 hinaus Planungssicherheit zu geben. „Wer sich von Gipfel zu Gipfel hangelt, der kriegt keinen Boden unter die Füße“, sagte Nouripour in der ARD.

>> Lesen Sie hier: Kommentar – Der Flüchtlingsgipfel ist eine große Enttäuschung

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder pocht denn auch auf mehr Geld vom Bund. „Über Unterbringung und Humanität darf nicht nach Kassenlage entschieden werden“, warnte der CSU-Politiker. Deshalb müsse dringend nachgearbeitet werden.

Fratzscher fürchtet stärkere Polarisierung der Gesellschaft

Der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, zeigte Verständnis für die Bundesregierung. Die Länder hätten in den letzten Jahren ihre finanzielle Position im Vergleich zu der des Bundes eher verbessern können, sagte Fuest. „Insofern ist nachvollziehbar, dass der Bund nur begrenzt bereit ist, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen.“

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Dagegen fürchtet der Ökonom Truger, dass die Unterstützung für Geflüchtete „unter der unnötig restriktiven Finanzpolitik des Bundes unter die Räder zu kommen droht“. Und falls eine Einigung auf eine Pro-Kopf-Flüchtlingspauschale ausgeschlossen werden sollte, sei zu befürchten, dass sich der Bund-Länder-Streit noch ewig hinziehen und immer wieder nach Kassenlage entschieden werde. „Rationale und berechenbare Finanzpolitik wäre das nicht.“

DIW-Chef Fratzscher warnte vor den Folgen. Die Kommunen hätten bisher „exzellente Arbeit“ bei Aufnahme und Integration der Geflüchteten geleistet. „Aber die Stimmen gegen Geflüchtete und für Grenzschließungen werden wieder lauter und damit unweigerlich wieder zu einer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft führen“, sagte er. Die Bund-Länder-Beschlüsse würden daher die Integration von Geflüchteten nicht leichter, sondern schwerer machen.

Überwiegend begrüßt wurden indes Absichtserklärungen der Bundesregierung, die sogenannte illegale Migration stärker einzudämmen, auch wenn hierfür noch Verhandlungen auf EU-Ebene bevorstehen und zudem mit Herkunfts- und Transitländern Migrationsabkommen abgeschlossen werden sollen.

Mehr: Asyl-Wende der Bundesregierung – Faeser fordert Schnellverfahren an der EU-Außengrenze



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Politik

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