Hiroshima Japans Premierminister Fumio Kishida hat eine Mission. Beim Treffen der G7-Staaten und Südkoreas in Hiroshima will er die Staats- und Regierungschefs zu einem Bekenntnis zur atomaren Abrüstung bewegen – in der Stadt, in der 1945 infolge eines amerikanischen Atomangriffs 80.000 Menschen durch die Explosion oder den anschließenden Feuersturm getötet wurden.
Ob sein Appell bei dem Gipfel vom 19. bis 21. Mai erfolgreich sein wird, ist offen. Global stehen die Zeichen gegen eine Abrüstung.
Der russische Präsident Wladimir Putin droht im Ukrainekrieg immer wieder damit, Atomwaffen einzusetzen. Im Februar kündigte er an, den letzten großen Abrüstungsvertrag mit den USA auszusetzen.
In Ostasien führt Russland Militärmanöver mit China durch, die Japan und Südkorea zunehmend nervös stimmen. Der Iran könnte nach den USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea zu einer Atommacht zu werden. Auch beim US-Alliierten Südkorea wird eine atomare Bewaffnung offen diskutiert.
Immer mehr Südkoreaner sorgen sich, dass die Schutzmacht USA das Land nicht mit Atomwaffen verteidigen würde, weil nach China und Russland nun auch noch Nordkorea aufrüstet und Nordamerika atomar direkt bedroht.
Fei Su, Forscherin am Stockholmer Institut für Friedensforschung (Sipri), fürchtet einen Dominoeffekt: „Falls Südkorea sich atomar bewaffnen sollte, könnte dies in Japan eine weitere Debatte über eine Neuinterpretation der japanischen Verteidigungspolitik und der drei nichtnuklearen Prinzipien auslösen.“
Verhandlungen über atomare Abrüstung werden schwierig
Dabei handelt es sich um das juristisch nicht bindende Versprechen der Regierung, keine Atomwaffen herzustellen, zu besitzen oder zu stationieren. Sollte Japan sich entgegen den Bemühungen Kishidas atomar bewaffnen, könnte das die Spannungen mit China verstärken, warnt Su.
Außerdem könnten sich andere Länder Japan als Beispiel nehmen. Gerade im rechten Flügel von Kishidas liberaldemokratischer Partei wird über eine atomare Bewaffnung nachgedacht.
Auch Tatsujiro Suzuki, Vizechef des Forschungszentrums für nukleare Abrüstung an der Universität Nagasaki, ist besorgt. Mit der Angst vor Kriegen seien auch die Rüstungshaushalte gewachsen. Zudem würde eine wachsende Zahl an Atommächten Abrüstungsverhandlungen deutlich schwerer als im Kalten Krieg machen, sagt Suzuki.
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Damals verhandelten hauptsächlich die USA und die Sowjetunion darüber, die Zahl der Atomwaffen zu reduzieren. „Dies reicht heute nicht mehr“, mahnt Suzuki.
Die Verhandlungen müssten zumindest trilateral geführt werden, da sich China zum ebenbürtigen Gegenspieler aufrüste. Dazu kämen neue Atomwaffenarten, Trägersysteme mit weniger Vorwarnzeit wie Hyperschallwaffen, Künstliche Intelligenz, Drohnen und Cyberkriegsführung. Es gehe also nicht mehr nur darum, über die Zahl von Atomwaffen zu verhandeln. „Daher ist viel mehr diplomatisches Geschick notwendig als früher.“
Suzuki setzt trotz der Herausforderungen Hoffnung in das Treffen in Hiroshima. Allein ein japanischer Vorstoß gegen den Ersteinsatz von Atomwaffen wäre eine wichtige Botschaft an Russland, glaubt er.
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Er hofft aber, dass die Teilnehmer darüber hinausgehen. Die drei Atommächte unter den G7-Staaten – die USA, Frankreich und Großbritannien – sollten sich dazu verpflichten, Gespräche mit Russland, China und Nordkorea aufzunehmen. „Das wäre ein wichtiger Meilenstein.“
Hoffnung auf Erklärung gegen den Einsatz von Atomwaffen
Auch John Tierney, Chef des amerikanischen Center for Arms Control & Non-Proliferation, begrüßt den Plan des japanischen Ministerpräsidenten. „Das Treffen ist bedeutsam und zwingt die anderen Nationen, sich mit diesem Thema zu befassen“, sagt er.
Der ehemalige US-Politiker hofft nicht nur auf eine Erklärung gegen den Einsatz von Atomwaffen, sondern auch auf eine diplomatische Offensive der Teilnehmer, um Druck auf andere Atommächte auszuüben. Abschreckung gebe es genug, sagt Tierney. „Wir haben die Kunst der Diplomatie vergessen.“
Immerhin gibt es bereits Zeichen, dass sich Atomwaffen nicht zwangsläufig weiterverbreiten. Der internationale Atomwaffensperrvertrag hält noch immer viele Länder davon ab, in nukleare Waffen zu investieren.
Zudem könnte nach Einschätzung von Sipri-Forscherin Su die gerade vereinbarte Gründung einer atomaren Konsultationsgruppe zwischen Seoul und Washington das Vertrauen Südkoreas in den nuklearen Schutzschirm der USA stärken und somit Ambitionen für eigene Nuklearwaffen stoppen.
Viele Staaten haben Atomwaffenvertrag nicht unterschrieben
In Hiroshima könnte überdies G7-Gastgeber Japan den Atomwaffenverbotsvertrag stärken, der erst 2021 in Kraft getreten ist. Der 2017 von den Vereinten Nationen angenommene Vertrag verbietet die Entwicklung, die Produktion, den Test, den Erwerb, die Lagerung, den Transport, die Stationierung, die Drohung mit und den Einsatz von Atomwaffen. Bislang haben weder die Atommächte noch Nato-Länder den Vertrag unterzeichnet.
Japan hat bisher ebenfalls nicht unterschrieben. „Einige führen das auf Druck der USA zurück, andere sehen es als Zeichen der Loyalität“, sagt Abrüstungsexperte Suzuki.
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Wie Deutschland befindet sich auch Japan unter dem atomaren Schutzschirm der USA. „Aber das ist kein überzeugender Grund, dass sich Japan nicht als Beobachter an den Sitzungen beteiligen kann“, meint Suzuki. Deutschland habe dies voriges Jahr bei der ersten Sitzung getan. Er hofft, dass sich Kishida dies als Beispiel nimmt.
Abrüstungslobbist Tierney nennt noch einen weiteren Grund für vorsichtigen Optimismus. Die USA und China würden aus Angst vor einer Eskalation einen engeren Dialog führen als noch vor sechs Monaten.
Er appelliert daher an die Zivilgesellschaft in aller Welt: „Ich möchte alle Menschen in jedem Land dazu auffordern, sich Gehör zu verschaffen“, sagt Tierney. Bislang habe es ein einziges Mal Erfolg bei der atomaren Abrüstung gegeben – nach dem Kalten Krieg, „als die Öffentlichkeit ihre Stimme erhob und aktiv wurde“.
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