May 16, 2023
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Verkehr: Wissing scheut den Faktencheck beim Klimaschutz

Written by Daniel Delhaes


Volker Wissing (FDP)

Der Verkehrsminister kündigte zuletzt vollmundig an, dass die Klimaziele im Verkehrssektor leicht einzuhalten wären.

(Foto: IMAGO/Political-Moments)

Berlin Erst vor wenigen Tagen verteidigte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in der Talkshow „Maischberger“ seine Klimaschutzpolitik. „Die Rechtslage ist völlig klar“, erklärte Wissing auf die Frage, wie er die Klimaziele im Verkehrssektor einhalten will.

Da auf Straßen, Schienen, Wasserwegen und in der Luft 2022 zu viel Klimagase entstanden seien, blieben ihm drei Monate Zeit, Gegenmaßnahmen vorzuschlagen. Wenn bis Ablauf dieser Frist das Gesetz nicht geändert worden sei, „dann ist es für mich keine Schwierigkeit, ein Sofortprogramm vorzulegen“. Besser noch: Der Koalitionsausschuss habe Ende März „eine Reihe von Maßnahmen“ beschlossen, um Kohlendioxid einzusparen. „Jede einzelne dieser Maßnahmen übersteigt das, was wir zusätzlich an CO2 einsparen müssen“, behauptete Wissing.

Das Klimaschutzgesetz sieht vor, dass jeder Minister für seinen Bereich bestimmte Klimaziele einhalten muss – und zwar jedes Jahr aufs Neue. 2030 dürfen im Verkehr nur noch 86 Millionen Tonnen CO2 entstehen; 2022 waren es 148 Millionen. Wer die Ziele verfehlt, muss schnell erklären, wie er sie im nächsten Jahr einhalten will. Mitte Juli endet die Frist für den Verkehrsminister.

Denn Wissing verfehlte sein Ziel 2022, neun Millionen Tonnen entstanden im Verkehrssektor zu viel. Neun Millionen Tonnen, die der Minister mit nur einer Maßnahme einsparen will? Nachfrage beim Ministerium: Wie viele Emissionen lassen sich mit jeder der mehr als 50 Maßnahmen, die die Koalitionäre Ende März in ihrem Beschlusspapier notiert hatten, konkret einsparen?

Wissings Pressestelle geht darauf nicht ein und erwidert vielmehr: „Berechnungen zur CO2-Emissionsminderungswirkung sind Gegenstand der laufenden regierungsinternen Abstimmungen zu den zu treffenden Maßnahmen.“ Weiß der Minister also gar nicht, welche der beschlossenen Maßnahmen dem Klima hilft – und wenn ja: wie viel?

Wissing plant 13 Maßnahmen für mehr Klimaschutz – doch mit welchem Effekt?

Sein Sprecher verweist auf 13 Maßnahmen. Dazu gehören demnach der Ausbau der Radwege, des Nahverkehrs, der Schienenwege, der Ladesäulen oder von Solaranlagen entlang der Verkehrswege. Außerdem sind darunter Subventionen für den Kauf neuer Fahrzeuge oder zur Entwicklung synthetischer Kraftstoffe (E-Fuels) und ein CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut ab 2024. Berechnungen zur Wirkung jeder einzelnen Maßnahme bleibt das Ministerium schuldig – wie auch den Hinweis, dass etliche der Maßnahmen erst in vielen Jahren einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können.

>>Lesen Sie hier, welche Probleme der Verkehrsminister mit den Güterbahnen hat.

Bereits im Frühjahr 2022 hatte das Handelsblatt die Klimaschutzliste für den Verkehrssektor erfragt. Gutachten liegen im Ministerium vor, doch Details wollte das Haus nicht mitteilen. Im Sommer dann musste Wissing zumindest einige der prognostizierten Effekte veröffentlichen: Der Verkehrssektor hatte 2021 gut drei Millionen Tonnen zu viel CO2 produziert, der Minister musste sein erstes Sofortprogramm vorlegen. Für 13 Millionen Tonnen weniger CO2 im Verkehr sollten die Vorschläge sorgen – allerdings addiert bis zum Jahr 2030. In keinem einzelnen Jahr hätten die Pläne die zu viel produzierten drei Millionen Tonnen eingespart.

LKW auf der A4 bei Bautzen

Der verdoppelten LKW-Maut wird eine starke Klimawirkung zugeschrieben.


(Foto: dpa)

Wenn Wissing jetzt neun Millionen Tonnen einsparen will, wird die Differenz noch größer, auch wenn offenbar noch keine Zahlen vorliegen. Nur eine Maßnahme scheint besonders gut zu wirken, ausgehend zumindest vom lauten Widerstand der Transportbranche: höhere Transportpreise in Form einer verdoppelten Lkw-Maut. Ab 2024 soll sie auf 200 Euro je Tonne ausgestoßenen Kohlendioxids steigen und so zehn Millionen Tonnen CO2 vermeiden helfen – zumindest kumuliert bis 2030 und wenn es bis dahin genügend Lastwagen mit klimaneutralen Antrieben gibt.

Hoffnung liegt auf weniger Fahrten zur Arbeit dank Homeoffice

Berechtigte Hoffnung hegen die Gutachter des Ministeriums aufgrund einer Folge der Coronapandemie: Viel mehr Menschen werden auch in Zukunft von zu Hause arbeiten. Die Gutachter sehen ein Potenzial von vier Millionen Tonnen, addiert von 2023 bis 2030. Der Betrag könne aber auch „deutlich höher liegen und durch geeignete Instrumentierung auch verstärkt werden“, schreiben sie. Von bis zu acht Millionen Tonnen bis 2030 ist die Rede. Das wäre so viel, wie alle bislang geplanten Maßnahmen für den städtischen Raum zusammengenommen einbringen würden, etwa mehr Nahverkehr (1,7 Millionen Tonnen), mehr Fuß- und Radwege (vier Millionen) und weitere Maßnahmen.

Auch dazu gehört die Förderung effizienter Lkw-Trailer, bei der die Gutachter aber nur ein Potenzial von allenfalls einer Million Tonnen bis 2030 sehen. Dem Plan, Ladesäulen aufzustellen, schreiben sie gar nicht erst eine zusätzliche Klimawirkung zu: Diese sei in anderen Instrumenten enthalten, etwa den CO2-Standards für Pkw, der Förderung neuer Nutzfahrzeuge oder der CO2-Bepreisung.

Angesichts der vielen kleinen Einspareffekte zeigt sich, wie mühsam und langwierig der Weg zur klimaneutralen Mobilität ist. Für Minister Wissing ist dies der Grund, das Klimaschutzgesetz ändern zu wollen und die Klimaziele nicht mehr Jahr für Jahr akribisch nachhalten zu müssen: Vieles, was im Verkehrsbereich Veränderung bedeutet, benötigt viele Jahre. Umso erstaunlicher ist seine Aussage, er könne mit jeder einzelnen Maßnahme die Ziele umgehend erreichen.

Mehr: Die drei Illusionen der deutschen Verkehrspolitik.



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Politik

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