May 19, 2023
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HRI-Konjunkturausblick: Zinserhöhungen verhindern die Konjunkturerholung

Written by Axel Schrinner


Düsseldorf Wer geglaubt hat, die deutsche Volkswirtschaft werde im Frühjahr ihre Schwächephase überwinden und auf ihren Wachstumspfad zurückkehren, der könnte sich womöglich bald getäuscht sehen. Zwar rechnen vom Finanzdatendienstleister Bloomberg befragte Volkswirte ab dem laufenden zweiten Quartal wieder mit einem moderaten Wachstum in Deutschland. Doch ausgemacht ist eine dauerhafte Erholung keineswegs.

Eine neue Studie der EZB geht davon aus, dass die rasanten Zinserhöhungen der Notenbank nicht nur die Inflation, sondern auch die Wirtschaftsleistung im Euro-Raum spürbar dämpfen werden. Der Untersuchung zufolge hat die Zinswende die Inflation 2022 wahrscheinlich um einen halben Prozentpunkt gesenkt. Die dämpfende Wirkung in den Jahren 2023 bis 2025 werde voraussichtlich im Schnitt bei rund zwei Prozentpunkten liegen, heißt es weiter im am Freitag veröffentlichten Wirtschaftsbericht der Notenbank.

Bezüglich des Wirtschaftswachstums dürfte der Bremseffekt im laufenden Jahr am kräftigsten sein, erwartet die EZB. Im Schnitt werde in den Jahren 2022 bis 2025 das Wachstum um jeweils zwei Prozentpunkte gedämpft. Dabei werde der „dämpfende Effekt auf das BIP-Wachstum wohl 2023 am stärksten ausfallen“.

Nun gibt es zwar keine länderspezifische Analyse. Doch ist davon auszugehen, dass die deutsche, besonders stark mit den anderen Volkswirtschaften verwobene Ökonomie diese Bremswirkung sehr deutlich zu spüren bekommen wird. Unterstellt man ein Trendwachstum von rund einem Prozent in Deutschland, scheint ein merklicher Rückgang der Wirtschaftsleistung infolge der strafferen Geldpolitik keineswegs unmöglich.

Ein Blick in die Vergangenheit bestätigt diese Prognose, denn frühere Zinserhöhungsrunden haben in Deutschland stets in Rezessionen geendet. Dabei vergingen von der ersten Zinserhöhung bis zum Beginn der Rezession im Schnitt fünf Quartale. Die im Juli 2022 begonnenen Zinsschritte dürften die Wirtschaft also ab diesem Herbst voll treffen.

Anzeichen für stockenden Aufschwung gab es früh

Erste Indizien dafür, dass der von vielen Volkswirten prognostizierte oder zumindest erhoffte Frühjahrsaufschwung allenfalls sehr holprig verlaufen dürfte, wurden bereits im März offenkundig. Der Einzelhandelsumsatz ging real um 2,4 Prozent gegenüber dem Vormonat zurück. Gemessen am Vorjahresmonat betrug der reale Rückgang gar 8,6 Prozent.

Die Neuzulassungen von Pkw durch private Halter verringerten sich im April um 4,5 Prozent, nachdem diese bereits im März um 8,2 Prozent gefallen waren. Die Industrieproduktion brach im März um 3,4 Prozent ein und lag damit auf dem Niveau vom Sommer 2013. Rasche Besserung ist nicht in Sicht. Die Auftragseingänge verzeichneten im März mit minus 10,7 Prozent die stärkste Abnahme seit der Hochphase der Coronapandemie im April 2020.

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Nach einer Faustregel werden rund ein Drittel der Aufträge sofort, ein Drittel im Folgequartal und ein Drittel später abgearbeitet. Außerdem setzte sich der Einbruch bei den Baugenehmigungen mit zunehmender Geschwindigkeit fort – der Rückgang betrug im März 29,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat und war damit so heftig wie zuletzt vor 16 Jahren.

Entgegen der landläufigen Meinung geht die insgesamt nun schon drei Jahre andauernde gesamtwirtschaftliche Stagnation keineswegs mehr spurlos am Arbeitsmarkt vorüber. Die übliche Frühjahrsbelebung fiel dieses Jahr laut Bundesagentur für Arbeit aus. Im April registrierte die Behörde 2,586 Millionen Arbeitslose, 276.000 mehr als im Vorjahresmonat. Saisonbereinigt stieg die Arbeitslosenzahl gegenüber dem Vormonat um 24.000 an, unter Herausrechnung der Flüchtlinge aus der Ukraine um 15.000.

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Dass die Arbeitslosigkeit nicht stärker steigt, dürfte vor allem daran liegen, dass angesichts der demografischen Entwicklung Betriebe mittlerweile Personal horten. Umfragen zufolge halten Unternehmen auch in Krisenzeiten ihre Mitarbeiter, weil sie womöglich keine neuen finden, wenn es wieder aufwärtsgeht.

Doch das Horten von Personal kann nicht ewig funktionieren. Schwindet das Vertrauen der Unternehmen in den Standort Deutschland und wird angesichts hoher Energiepreise womöglich die Verlagerung von Produktionsstätten erwogen, besteht kaum noch Anlass, angestammtes Personal zu halten.

So rechnet die Chemieindustrie vor, dass die Klimaneutralität der Branche zwar bis 2050 möglich sei. Doch dazu würden 500 Milliarden Terawattstunden an grünem Strom pro Jahr benötigt – dies entspricht der aktuellen Gesamtstromproduktion Deutschlands, die derzeit überwiegend aus fossilen Energieträgern stammt.

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Höchst ungewiss ist überdies, ob die für den Standort Deutschland so wichtige Autoindustrie die Transformation schafft. Die sehr geringe Börsenbewertung der noch (!) hochprofitablen Branche zeigt, dass die Finanzmärkte einen Niedergang für möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich halten. So werden die deutschen Autobauer VW, BMW und Mercedes an der Börse nur mit dem Fünf- bis Sechsfachen ihres erwarteten Jahresgewinns bewertet, der gesamte Dax hingegen mit dem 14-Fachen und Tesla gar mit dem 42-Fachen.

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Neben den langfristigen Folgen der angestrebten Dekarbonisierung und den realwirtschaftlichen Auswirkungen der Zinserhöhungen droht der deutschen Volkswirtschaft im kommenden Winter erneut das große Zittern, ob die Gasvorräte ausreichen. Zwar sind die Speicher derzeit zu 70 Prozent gut gefüllt. Doch verlässliche Prognosen über die Temperaturen im Januar und Februar kann niemand machen.

„Der kommende Winter kann noch mal herausfordernd werden“, bestätigt die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. „Hohe Gaspreise oder auch Engpässe wären möglich.“

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Angesichts der vielen Warnsignale ist es kein Wunder, dass das ZEW-Konjunkturbarometer für Mai den dritten Monat in Folge mit beschleunigter Fallgeschwindigkeit sank. Zum ersten Mal seit vergangenem Dezember notiert der Index wieder im negativen Bereich. „Die Finanzmarktexperten rechnen auf Sicht von sechs Monaten mit einer Verschlechterung der ohnehin nicht guten Konjunkturlage“, sagt ZEW-Präsident Achim Wambach. „Die deutsche Wirtschaft könnte dadurch in eine – wenn auch leichte – Rezession rutschen.“

Mehr: Erzeugerpreise mit kleinstem Anstieg seit zwei Jahren



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