Hiroshima, Washington Als die Maschine des Überraschungsgastes am Samstag um 15.30 Uhr in Hiroshima landet, ist Japan aus dem Häuschen. Japanische Journalisten stürmen im Pressezentrum vor die Bildschirme, um die Ankunft Wolodimir Selenskis zu fotografieren. Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel Grand Prince, Treffpunkt der G7-Staats- und Regierungschefs, wird im Fernsehen live vom Hubschrauber aus übertragen.
Großbritannien, Frankreich und andere europäische Staaten sind bereit, über die Ausbildung von Piloten eine Lieferung von Kampfjets zumindest vorzubereiten. Dafür brauchen sie aber von USA grünes Licht – was US-Präsident Joe Biden am Tag vor Selenskis Ankunft überraschend erteilte. Und was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor neue Herausforderungen stellt. Er hatte eine Lieferung von Kampfjets bislang abgelehnt.
Der „F-16 Fighting Falcon“ gilt der Flotte von Kampfflugzeugen aus der Sowjet-Ära, die in der Ukraine im Einsatz sind, als weit überlegen. Er ist zwar nicht das modernste US-Kampfflugzeug, verfügt aber über ein leistungsfähiges Radar, das Ziele aus Hunderten von Kilometern Entfernung erkennen kann.
Wer am Ende tatsächlich F-16-Jets bereitstellen wird und wie viele es davon in die Ukraine schaffen, ist offen. Auch ist unklar, wo die Pilotenausbildung stattfinden wird, wie viele Piloten trainiert werden. Ein US-Regierungsbeamter sprach von einem Prozess von „mehreren Monaten“, bis eine Koalition beteiligter Länder stehen könnte.
Selenski sagte, er glaube nicht, „dass wir all diese Verteidigungsmittel morgen haben werden. Aber trotzdem: Es ist ein großartiger Beschluss“. Auch Scholz rechnet nicht mit einer baldigen Lieferung. „Das, was mit der Ausbildung von Piloten verbunden ist, ist ja ein längerfristiges Projekt.“
Scholz trifft Selenski: „Gut, dich zu sehen“
Während Selenski und Biden sich für Sonntag verabredet haben, hatten sich Scholz und und der ukrainische Präsident bereits am Samstag in Hiroshima zu einem Vier-Augen-Gespräch getroffen. „Gut, dich zu sehen. Wir treffen uns ja recht häufig“, sagte Scholz auf Englisch zu Selenski, als dieser den Raum im 22. Stock des Grand Prince Hotels betrat.
Selenski war erst vor einer Woche in Berlin zu Gast gewesen. „Es ist immer eine Freude“, antwortete der ukrainische Präsident.
Während Selenski begeistert ist, ist für Scholz die Kampfjet-Wende ein ähnlich schwieriges Thema wie zuvor die Lieferung von Kampfpanzern. Zwar besitzt Deutschland selbst keine F-16-Jets, doch die Folgen einer Lieferung anderer Verbündeter an die Ukraine betreffen Deutschland dennoch unmittelbar.
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So sind die USA besorgt, dass die Ukraine die Jets einsetzen könnte, um Ziele im Zentrum Russlands zu attackieren. Die Folge, so die Furcht, wäre eine Eskalation des Konflikts und eine direkte Konfrontation zwischen den USA und Russland.
Kampfjets für Ukraine: Wurde Scholz von Biden überrumpelt?
Der Kanzler verfolgt bei Waffenlieferungen eine Strategie des Vortastens, bei der er langsam austariert, wie weit der Westen gehen kann, ohne Kremlchef Wladimir Putin zu einer Kurzschluss-Reaktion zu treiben.
Scholz’ oberstes Prinzip dabei lautet: alle Waffenlieferungen müssen innerhalb der Nato abgestimmt werden, allen voran mit den USA. Wurde er nun ausgerechnet von Bidens Wende überrumpelt? Dazu will Scholz sich nicht äußern.
Eine gewisse Skepsis schimmert jedoch durch. Die USA hätten noch gar nicht endgültig entschieden, „was am Ende der Ausbildung dann stehen wird“, sagt Scholz. Die Ausbildung von F-16-Piloten sei zunächst eine Botschaft an diejenigen, die die Ukraine angegriffen haben, betont der Kanzler: Russland solle nicht darauf setzen, dass die Unterstützung für die Ukraine mit zunehmender Dauer des Kriegs nachlässt.
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Scholz bleibt damit seiner Linie treu. Unter keinen Umständen will er derjenige sein, der bei Waffenlieferungen vorprescht. Gemessen an dem, was Deutschland inzwischen der Ukraine an Waffen liefert, redet der Kanzler auffällig wenig darüber.
Neben der Aussicht auf die Lieferung von Kampfjets bot der Besuch beim G7-Gipfel Selenski auch die Gelegenheit, Regierungschefs wichtiger Länder zu treffen, die sich bisher entweder bei Resolutionen der Vereinten Nationen gegen Russlands Angriff auf die Ukraine enthalten oder sich den Sanktionen des Westens kaum oder gar nicht angeschlossen. So hatte Gastgeber Japan unter anderem auch die Präsidenten Indiens, Brasiliens und Vietnams eingeladen.
Brasiliens Präsident Lula will Selenski nicht treffen
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, es handele sich um eine „einmalige Gelegenheit“, die Position der Ukraine zu erklären. „Ich glaube, dass es ein Wendepunkt sein kann.“ Tatsächlich berichten Teilnehmer einer Delegation, dass anders als noch vor wenigen Monaten inzwischen auch die meisten ehemaligen Wackelkandidaten Russland als Aggressor sehen würden.
Selenskis Entschluss, persönlich beim G7-Gipfel zu erscheinen, kam dennoch nicht bei allen gut an. Die Delegation des brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva bezeichnete den Überraschungsbesuch des Ukrainers als „Falle“. Lula wollte Selenski daher auch nicht persönlich treffen.
Lula hatte zuvor für die Gründung eines „Friedensclubs“ unter Einbeziehung Chinas geworben. Selenski lässt inzwischen erkennen, dass er gegen solche Initiativen nichts hat – wenn der ukrainische Friedensplan Grundlage dafür ist.
Indiens Premierminister Narendra Modi dagegen empfing Selenski freundlich. „Indien und ich persönlich werden alles in unserer Macht Stehende tun werden, um eine Lösung für Ihre Schwierigkeiten zu finden“, sagte Modi im öffentlichen Teil des Treffens.
Selenski hält Rede in Hiroshima
Selenski hat in den vergangenen Monaten einige Reisen unternommen. Die zum G7-Gipfel nach Japan ist die bedeutendste. Und symbolträchtigste.
Hiroshima ist ein Mahnmal für Kriegszerstörung, wie es weltweit kein zweites gibt. Beim ersten Atomwaffeneinsatz der Geschichte starben mehr als 330.000 Menschen sofort oder später an ihren Verbrennungen und Verstrahlung.
Die Ruine eines Kuppelbaus erinnert noch heute an das Inferno und mahnt diejenigen, die wie der russische Präsident Putin gegenüber der Ukraine heute noch mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen. Selenski will am Sonntag vor dieser eindrücklichen Kulisse eine mit Spannung erwartete Rede halten.
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