May 24, 2023
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Umweltpolitik: „Wir sterben lautlos“ – Eine neue EU-Regel belastet den Mittelstand

Written by Klaus Stratmann


Gießerei in Mecklenburg-Vorpommern

Die Industrieverbände fürchten zu strenge EU-Regeln für die Unternehmen.


(Foto: dpa)

Berlin Der industrielle Mittelstand kritisiert die Pläne der EU-Kommission für eine Reform der EU-Industrieemissionsrichtlinie. „Die Kommission entfernt sich mit ihrem Vorhaben weit von der betrieblichen Realität. Sie definiert Anforderungen, die technisch so gut wie nicht erfüllbar sind“, sagt Elke Radtke vom Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie (BDG).

Der Verband vertritt die rund 600 Gießereien in Deutschland mit etwa 70.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Im Kern der EU-Reform geht es darum, neue Emissionsgrenzwerte festzulegen, neue Umweltmanagementsysteme vorzuschreiben und eine verpflichtende Transformationsplanung für jedes Unternehmen einzuführen. Außerdem sollen die Anforderungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren verschärft werden.

Die Reform der Richtlinie betrifft neben den Gießereien große Teile des verarbeitenden Gewerbes, darunter Unternehmen der Chemieindustrie, Metallverarbeiter oder Verzinker. Insgesamt sind in Deutschland 13.000 Anlagen betroffen. Am Donnerstag dieser Woche stimmt der Umweltausschuss des EU-Parlaments ab, am 10. Juli soll die Plenarabstimmung folgen.

Die geplanten neuen Emissionsgrenzwerte sind aus Sicht der betroffenen Branchen kaum einzuhalten. So heißt es etwa in einem Positionspapier des Industrieverbandes Feuerverzinken, die aktuell geltenden Grenzwerte seien gerade erst nach einem dreijährigen Revisionsprozess neu festgelegt worden und spiegelten in ihrer gesamten Bandbreite den Stand der Technik wider.

Produktion wird schon heute in die Türkei verlagert

„Die Anlagenbetreiber würden durch diese Verschärfung überfordert werden, da es für die Industrie unmöglich ist, an allen Standorten innerhalb der festgelegten Bandbreiten immer den geringsten Grenzwert einzuhalten. Dies würde zu klaren Standortnachteilen für Unternehmen in der EU führen und kann Verlagerungsprozesse fördern“, heißt es in dem Papier weiter.

>> Lesen Sie auch: Industriestrompreis hilft laut Habeck auch dem Mittelstand

Dieses Szenario hält auch Elke Radtke vom BDG für realistisch: „Wir sehen schon heute, dass Produktion in die Türkei verlagert wird, wo die behördlichen Auflagen weitaus weniger anspruchsvoll sind als innerhalb der EU. In der Praxis heißt das, dass dort oft unter Umwelt- und Arbeitsbedingungen produziert wird, die aus unserer Sicht nicht akzeptabel sind“, sagt sie. Dieser Verlagerungsprozess werde sich fortsetzen und beschleunigen, wenn die Reform Realität würde.

„Unsere Branche ist mittelständisch geprägt. Gießereien mit ein paar Dutzend Mitarbeitern sterben lautlos“, sagt Radtke. „Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich dafür einsetzt, diese schleichende Deindustrialisierung aufzuhalten.“

Umweltministerium verteidigt die Richtlinie

Aus Sicht der betroffenen Branchen könnten sich die geplanten Umweltmanagementsysteme und die verpflichtenden Transformationspläne als zusätzliche Bürde erweisen. Sie weisen darauf hin, dass es ohnehin schon funktionierende und weit verbreitete Umweltmanagementsysteme gebe. Weitere seien daher überflüssig.

Die Kommission entfernt sich mit ihrem Vorhaben weit von der betrieblichen Realität. Sie definiert Anforderungen, die technisch so gut wie nicht erfüllbar sind. Elke Radtke, Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie

Stattdessen pochen die Unternehmen auf schnellere und unbürokratische Genehmigungsverfahren, um die anstehenden Transformationsprozesse bewältigen zu können: „Als Industriestandort, der im weltweiten Vergleich die höchsten Standards auf allen Ebenen aufweist, brauchen wir keine weiteren Verschärfungen“, sagt Franz Ehl, Vorstandsmitglied im Industrieverband Feuerverzinken. Die Industrie brauche eher gute Rahmenbedingungen, um die Herausforderungen der Dekarbonisierung zu bewältigen.

Im zuständigen Bundesumweltministerium teilt man die Kritik der Wirtschaft nicht. „Die zukünftige Richtlinie wird durch moderne Genehmigungsverfahren den Industriebetrieben in Europa Planungs- und Rechtssicherheit bieten und ein hohes Schutzniveau für die Umwelt insgesamt gewährleisten“, sagte ein Ministeriumssprecher. Die Richtlinie unterstütze die Transformation hin zu einer nachhaltigen, sauberen, klimaneutralen und zirkulären Wirtschaft.

Diese Bewertung wird in der Ampelkoalition nicht einhellig geteilt. Kritik kommt insbesondere aus den Reihen der FDP: „Bei der Überarbeitung der Industrieemissionsrichtlinie dürfen wir uns mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft nicht abermals in kleinteiliger Regulierung verlieren“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler. 

Wichtig sei, dass Augenmaß bewahrt werde und die Richtlinie in der Praxis umsetzbar bleibe. „Wir wollen der Industrie möglichst viel Gestaltungsspielraum für die Einhaltung der Grenzwerte gewähren und halten zusätzliche Auflagen, etwa die verpflichtende Erstellung von Transformationsplänen für jede einzelne Anlage, für völlig überflüssig“, sagte Köhler.

Die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität erfolge ohnehin bereits über den fixen CO2-Deckel im Emissionshandel, daher bedürfe es dahingehend keiner weiteren Regulierung.

Mehr: Thinktank fordert marktwirtschaftliche Strategie für die Transformation der Industrie



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Politik

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