Washington Der Wahlkampf des Mannes, der Präsident der Vereinigten Staaten werden will, begann mit einer Rückkopplung. Ein Fiepen, ein Schallgeräusch, dann kam lange nichts. Mehr als 500.000 Nutzer strömten am Mittwochabend auf die Audioplattform Twitter Spaces, um den Kampagnenstart des Republikaners Ron DeSantis zu verfolgen.
Die Plattform kollabierte, noch bevor die Sendung starten konnte. Nach der Diagnose Serverzusammenbruch ging es in einem anderen Twitter-Raum weiter, doch der Schaden war bereits angerichtet: „Stunde der Amateure“ und „Desaster“ titelte Fox News, größter US-Kabelsender. Als DeSantis noch am selben Abend bei Fox News zugeschaltet wurde, wurde er erstmal verspottet: „Also wir brechen nicht zusammen, auch nicht bei einem Millionenpublikum“, lästerte Moderator Trey Gowdy.
Wohl noch nie war der Start einer US-Präsidentschaftskampagne so chaotisch. Allerdings war das verpatzte Twitter-Experiment nur ein Ausschnitt von DeSantis’ Versuch, das Kandidatenfeld der Republikaner aufzumischen.
Ex-Präsident Donald Trump bewirbt sich erneut auf das höchste Amt und ist in Umfragen der Favorit seiner Partei. Nach jetzigem Stand hätte Trump deshalb wohl die besten Chancen, erneut zum Kandidaten der Republikaner nominiert zu werden. Dann würde er im November 2024 gegen Joe Biden antreten – wie schon bei den Wahlen 2020. DeSantis will dieses Szenario verhindern und selbst Kandidat werden.
Nach seinem Wahlkampfauftakt drängten sich zwei Fragen auf: Warum macht er, was er tut – und kann er damit erfolgreich sein?
Das Gespräch mit Musk auf Twitter war, als es schließlich begann, nicht sonderlich mitreißend. DeSantis hielt einen Monolog darüber, warum er Bücher über Transgender-Kinder und Jugendliche in Schulen für gefährlich hält. Als er fertig war, sagte Moderator David Sacks, ein republikanischer Großspender und Musk-Vertrauter: „That’s great“. Irgendwann redeten alle Teilnehmer über Bitcoin.
Die großen Themen Inflation, Steuern, Einwanderung oder Gesundheit kamen nur am Rande vor. Musk sagte: „Twitter war teuer, aber die Meinungsfreiheit ist unbezahlbar“, ansonsten ließ er kaum etwas von sich hören.
Außerhalb des Plauder-Spaces ging die Politik weiter: Vor genau einem Jahr waren in der texanischen Stadt Uvalde 19 Kinder bei einem Massen-Shooting an einer Schule erschossen worden. Und im Schuldenstreit drohte die Ratingagentur Fitch am Mittwoch damit, den USA die Topnote AAA zu entziehen. Beide Ereignisse spielten bei Musk und DeSantis keine Rolle.
„Wir wollen nicht wie Deutschland enden“
Einen deutlich professionelleren Eindruck machte DeSantis bei Fox News. Hier zeigte der Präsidentschaftsbewerber eine entschlossene, angriffsfreudige Seite, die man bei Auftritten von ihm häufiger erlebt. „Joe Biden tut nichts, um dieses Land zu retten“, wütete DeSantis auf Fox News, und versprach, er werde als Präsident die unvollendete Flüchtlingsmauer von Donald Trump fertig bauen.
„Niemand hat das Recht, ohne Erlaubnis in unser Land zu kommen. Einwanderung muss unserem Land nützen, und wenn jemand das nicht leisten kann, kann er nicht herkommen“, so DeSantis.
Der Frage, ob die USA die Ukraine finanziell unterstützen sollten, wich er aus. „Ich will eine Einigung, ich will Frieden. Ich will nicht, dass die USA irgendwann mit unseren Truppen in einen Krieg mit Russland oder der Ukraine verwickelt werden“.
Dass unter DeSantis weniger entspannte Zeiten für das transatlantische Verhältnis drohen, machte der Gouverneur deutlich: „Wir wollen Energie-Unabhängigkeit“, sagte der Republikaner und kritisierte Bidens Subventionen für Green Tech. „Wir wollen nicht wie Deutschland enden. Dort haben sie keine vernünftige Stromversorgung und die Energiepreise klettern“.
Noch scheint sich DeSantis nicht entscheiden zu können, ob er eher als Präsidentschaftsbewerber eher auf die amerikanischen Kulturkämpfe abzielen wird, oder auf Wirtschaftsfragen, oder beides. Sein roter Faden ist der, wie er es nennt, „Krieg gegen den Wokismus“. Linke Identitätspolitik bezeichnete DeSantis als „brennende Mülleimer des Wokismus“ und „Virus für das Gehirn“.
Der Begriff „woke“ steht im Englischen sinngemäß dafür, dass sich Menschen Vorurteilen wie Rassismus oder Sexismus bewusst sind. Im öffentlichen Diskurs wird „Wokismus“ inzwischen eher als Schimpfwort oder spöttisch benutzt. Linke und progressive Akteure, so Kritiker, würden es mit Bemühungen um Toleranz und Anti-Diskriminierung übertreiben und der gesamten Gesellschaft ihre Weltsicht aufzwingen.
Seinen Bundesstaat Florida hatte DeSantis zuletzt nach rechts gerückt. Kürzlich erließ DeSantis’ Regierung ein Abtreibungsverbot nach sechs Wochen Schwangerschaft, soweit gehen bislang nur eine handvoll Bundesstaaten. Auch ließ Florida geschlechtsangleichende Operationen für Menschen unter 18 Jahren verbieten und lockerte das Waffenrecht.
2022 ließ er in Grundschulen die Diskussion über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität verbieten, und legte sich deshalb mit Disney an, als der Konzern das Gesetz kritisierte. Mittlerweile hat Disney den Gouverneur wegen mutmaßlicher Geschäftsschädigung verklagt.
Im Twitter-Space und auf Fox News bekam DeSantis’ Kritik an sozial verantwortlichen Investments, in der Geschäftssprache Umwelt-, Sozial- und Governance-Investitionen (ESG) genannt, viel Raum.
All das sind Themen, mit denen DeSantis zwar viele US-Republikaner begeistern dürfte, aber auf die er als Präsident politisch wenig Einfluss haben würde. Im Gespräch mit Fox News räumte er ein: Der Fall Disney sei „sehr speziell“, als Präsident könne er wohl nicht gegen einzelne Unternehmen vorgehen. Ähnlich verhält es sich mit Bildung und Abtreibung, die Gesetze dazu liegen überwiegend in der Hand der US-Bundesstaaten.
Späte Rache an den Corona-Schutzmaßnahmen
Kein anderes Thema ist DeSantis aber so wichtig wie die Aufarbeitung von Covid-19. Die Pandemie mag zwar vorbei sein, aber im US-Wahlkampf 2024 spielt sie eine Rolle – denn viele Republikaner, und auch Teile des demokratischen Lagers, sind im Rückblick von Maskenmandaten, Lockdowns und Impfpflichten frustriert.
DeSantis verknüpft seine Kritik an den Schutzmaßnahmen mit Attacken gegen politische Institutionen: Die Seuchenschutzbehörde CDC etwa müsse „gesäubert“ werden, forderte DeSantis im Twitter-Space, und Lockdowns seien nichts anderes als „Autoritarismus“. Diese Form von Anti-Eliten-Kritik kennt man von Trump, sie wird nun von DeSantis weitergeführt.
Dennoch will sich der 44-jährige als jüngere, gebildetere, verlässliche Alternative zu Trump etablieren – und zugleich einen Teil der republikanischen Basis anziehen, die an Trump zweifeln könnte. „Regieren ist kein Entertainment“ sagte DeSantis an Trump gerichtet.
Weggefährten berichten, dass sich DeSantis nur mit einem kleinen Kreis von Beratern begibt, allen voran seine Frau Casey, eine frühere Fernsehmoderatorin und PR-Profi. Das Team, so heißt es in DeSantis’ Umfeld, sei nicht sehr erfahren mit der großen Bühne der Präsidentschaftswahlen, vieles werde noch improvisiert.
Am Ende eines durchwachsenen Abends versuchten DeSantis’ Leute, die technischen Pannen ins Positive zu drehen. „Er hat das Internet buchstäblich zum Beben gebracht“, teilte seine Kampagne mit. „Das Weiße Haus ist als nächstes dran“.
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