Berlin Der erwartete Ausstieg des Kurznachrichtendiensts Twitter aus einem EU-Abkommen zur Bekämpfung von Desinformation im Internet sorgt für Empörung innerhalb der Bundesregierung. „Mit dem Code of Conduct gegen Desinformationen hat die EU ein wirksames Instrument zum Erkennen und Entfernen von Fake News. Twitter sollte sich seiner besonderen Verantwortung im Umgang mit Desinformationen bewusstwerden und sein Engagement eher stärken als sich zurückzuziehen“, sagte Digitalminister Volker Wissing (FDP) der Funke-Mediengruppe. „Andernfalls werden wir im Zusammenhang mit dem Digital Services Act über verpflichtende Maßnahmen sprechen müssen.“
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) setzt auf das neue EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA). „Unser Recht gilt für alle Plattformen, wir werden es durchsetzen“, schrieb die Ministerin auf Twitter. Den wahrscheinlichen Austritt der US-Plattform aus dem EU-Verhaltenskodex bezeichnete Faeser als „verantwortungslos“. Desinformation, Lügen und Propaganda befeuerten Hass und sein Gift für die Demokratie.
EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte in der Nacht zu Samstag auf Twitter mitgeteilt, das soziale Netzwerk verlasse den freiwilligen EU-Kodex gegen Desinformation, dem sich auch Google, Tiktok, Microsoft sowie der Facebook-Mutterkonzern Meta angeschlossen hatten.
Aber die Verpflichtungen blieben, ergänzte Breton. Über die freiwilligen Vereinbarungen hinaus werde der Kampf gegen Desinformation ab dem 25. August eine gesetzliche Verpflichtung im Rahmen des sogenannten EU-Gesetzes über digitale Dienste sein. Der EU-Kommissar teilte mit, man werde auf die Durchsetzung vorbereitet sein.
Twitter wird immer wieder vorgeworfen, nicht genug gegen die Verbreitung von Falschinformationen auf der Plattform zu unternehmen. Unternehmens-Chef Elon Musk betont dagegen, die aus seiner Sicht zu starken Einschränkungen der Meinungsfreiheit beseitigen zu wollen.
SPD-Chefin Esken für verschärften Kampf gegen Desinformation
Scharfe Kritik an der Plattform äußerte auch die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken. „Twitter will der zunehmenden Desinformation in seinem Netzwerk offenkundig nicht entgegenwirken und lässt zu, dass sexistischer, rassistischer Hass und schlimme Hetze gegen einzelne Menschen oder gegen marginalisierte Gruppen immer mehr Raum einnimmt“, sagte Esken dem Handelsblatt.
Daher müsse sich nun mit dem DSA „gerade gegenüber Twitter zeigen, ob die Mitgliedsstaaten die Verantwortung der großen Plattformen beim Kampf gegen Desinformation, gegen Hass und Hetze und zum Schutz unserer Demokratie wirksam einfordern“. Die Regeln des DSA seien dafür „absolut geeignet“.
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Im Februar hatte die EU-Kommission Berichte darüber veröffentlicht, wie Online-Plattformen die Regeln des EU-Verhaltenskodexes umsetzen. Der Bericht von Twitter sei hinter den anderen zurückgeblieben, stellte die Brüsseler Behörde damals fest. Die Plattformen zeigten in ihren Berichten unter anderem, wie viele Fake-Accounts erstellt und genutzt wurden oder wie sich Faktenchecks auf die Verbreitung von Desinformationen auswirkten.
Der DSA soll darüber hinaus unter anderem sicherstellen, dass Plattformen illegale Inhalte auf ihren Seiten schneller entfernen als bislang. Für Nutzer wird es wiederum einfacher, solche Inhalte zu melden. Grundsätzlich müssen große Dienste mehr Regeln befolgen als kleine.
Elon Musk will Einschränkungen der Meinungsfreiheit auf Twitter beseitigen
Breton hatte Ende November gesagt, Twitter müsse seine Anstrengungen zur Einhaltung von EU-Recht verstärken. Das soziale Netzwerk müsse transparente Nutzerrichtlinien einführen, Inhalte deutlich stärker moderieren, die Meinungsfreiheit schützen und entschlossen gegen Desinformation vorgehen.
Twitter-Chef Elon Musk hatte stets betont, die aus seiner Sicht zu starken Einschränkungen der Meinungsfreiheit auf der Plattform zu beseitigen. Vor gut zwei Wochen hatte der Tech-Milliardär angekündigt, den Chefposten bei Twitter nach einem chaotischen halben Jahr in die Hand der Werbe-Expertin Linda Yaccarino zu legen.
Die SPD-Chefin Esken hatte im vergangenen Jahr ihren Twitter-Account stillgelegt und dies unter anderem damit begründet, dass die Plattform nichts gegen Fake-Profile unternehme und im Umgang mit gemeldeten strafbaren Inhalten „ausgesprochen nachlässig“ agiere.
„Dass Twitter nun das EU-Abkommen gegen die Verbreitung von Desinformation im Internet verlassen hat, bestätigt meine Einschätzung und bestärkt mich in meiner Entscheidung, nicht mehr auf der Plattform in Erscheinung zu treten“, sagte die SPD-Chefin jetzt. Zugleich warb sie für den in Deutschland entwickelten Twitter-Konkurrenten Mastodon, den sie selbst nutzt.
Medienhäuser und Journalisten sollten ebenso wie Parteien und Politikerinnen und Politiker ihre Informationen und Meinungsbeiträge künftig auch dort anbieten. „Gleichzeitig plädiere ich dafür, dass wir als Staat im Sinne einer digitalen Daseinsvorsorge die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Alternativen zu den kommerziellen digitalen öffentlichen Räumen entstehen, die an Respekt und Gemeinwohl, Rechtsstaat und Demokratie orientiert sind“, sagte Esken.
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