Bangkok Der indische Regierungschef Narendra Modi hat doppelten Grund zum Feiern: Während er mit einer aufwendigen Kampagne sein neunjähriges Amtsjubiläum zelebriert, stürmt sein Land zurück an die Spitze der Weltwirtschaft. In den ersten drei Monaten des Jahres erlebte der 1,4 Milliarden Einwohner große Staat in Südasien einen überraschend deutlichen Aufschwung.
Die Wirtschaftsleistung legte im Vergleich zum Vorjahr 6,1 Prozent zu, wie die Statistikbehörde in der Hauptstadt Neu-Delhi am Mittwoch bekannt gab. Analysten hatten mit einem deutlich geringeren Plus von rund fünf Prozent gerechnet.
In Indonesien, dem zweitplatzierten in der Rangliste, legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal um fünf Prozent zu. China kam auf ein Plus von 4,5 Prozent. Mit der unerwartet guten Entwicklung in den ersten drei Monaten des Jahres lässt Indien auch seinen jüngsten Wachstumseinbruch hinter sich – im letzten Quartal des Jahres 2022 war der BIP-Zuwachs auf rund viereinhalb Prozent gesunken.
Die Wachstumsrate für das gesamte Fiskaljahr, das im März zu Ende ging, ist nun mit 7,2 Prozent ebenfalls besser als erwartet. Die Regierung hatte zuvor 7,0 Prozent prognostiziert.
Aufschwung für das Land und den Wahlkampf
Für Premier Modi, der mit seiner Partei vor wenigen Wochen bei Regionalwahlen im wirtschaftlich wichtigen Bundesstaat Karnataka eine seltene Niederlage einstecken musste, ist der starke Aufschwung politisch von großer Bedeutung: Er will sich in einem Jahr um eine dritte Amtszeit bewerben – und versucht, Indiens Boom als das Ergebnis seiner Politik zu präsentieren.
Als Vorgeschmack auf den Wahlkampf startete er diese Woche einmonatige Feierlichkeiten anlässlich des Jahrestags seiner Angelobung. Indien habe seitdem beispiellose Fortschritte erlebt, hieß es in einer Mitteilung seiner Partei, die für die kommenden Wochen zu mehr als 50 Großkundgebungen aufruft. Zum Auftakt kündigte Modi via Twitter an: „Wir werden noch härter daran arbeiten, ein entwickeltes Indien aufzubauen.“
Das kräftige Wachstum zu Jahresbeginn zeigt Ökonomen zufolge, dass die Aussichten auf steigenden Wohlstand in Asiens drittgrößter Volkswirtschaft durchaus begründet sind: „Die BIP-Daten bestätigen den jüngsten Wachstumsoptimismus, trotz des globalen Gegenwinds“, kommentierte Sakshi Gupta, Volkswirtin bei der indischen HDFC-Bank.
Indiens Warenexporte gehen angesichts einer sinkenden globalen Nachfrage seit mehreren Monaten zurück. Dem gegenüber stehen jedoch stark wachsende IT-Service- und Outsourcing-Geschäfte: Sie sorgten im vergangenen Fiskaljahr für einen Anstieg der Dienstleistungsexporte um 27 Prozent – auf mehr als 320 Milliarden US-Dollar.
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Auch im April lagen sie um mehr als ein Viertel über dem Vorjahreswert. Gleichzeitig helfen auch massive Investitionen in die Infrastruktur, Indien weiter auf Wachstumskurs zu halten. Das Baugewerbe legte in den ersten drei Monaten des Jahres um mehr als zehn Prozent zu. Die Kapitalbildung, die Statistiker als Indikator für Investitionen angeben, stieg um 8,9 Prozent.
Wachstum statt Inflation
Indiens Zentralbank zeigt sich optimistisch, dass der Trend weiter anhält. Sie nannte in ihrem am Dienstag vorgelegten Jahresbericht unter anderem niedrigere Rohstoffpreise, den zunehmend robusten Finanzsektor und nachlassende Inflation als Signale für eine anhaltende Wachstumsdynamik. Zudem sieht sie „neue Wachstumschancen, die sich aus der globalen Neuausrichtung der Lieferketten ergeben“.
Seit diesem Jahr ist Indien das bevölkerungsreichste Land der Welt und sieht sich in einer guten Position, dem Nachbarn China als Werkbank der Welt Konkurrenz zu machen. Die Regierung in Neu-Delhi hofft, Industriebetriebe anlocken zu können, die sich angesichts zunehmender politischer Spannungen zwischen dem Westen und China von der Volksrepublik unabhängiger machen wollen. Ökonomen halten das für aussichtsreich.
Die Umfrage „Chief Economists Survey“ des Weltwirtschaftsforms, die Anfang Mai veröffentlicht wurde, sieht Südasien als Hauptprofiteur der Lieferkettenverlagerung: Fast drei Viertel der Befragten erwarten einen positiven Einfluss auf die Region, in der Indien die mit Abstand größte Volkswirtschaft ist.
Der US-Elektronikkonzern Apple ist einer der Vorreiter der jüngsten Neuorientierung in Asien: Während das Unternehmen seine iPhones in der Vergangenheit fast ausschließlich in China herstellen ließ, wächst der Anteil der in Indien gefertigten Geräte stetig: Im vergangenen Fiskaljahr, das im März zu Ende ging, waren es knapp sieben Prozent, wie der Finanzdienst Bloomberg unter Berufung auf Insider berichtete.
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Apple sieht Indien auch als zunehmend bedeutsamen Absatzmarkt. Vor wenigen Wochen eröffnete der Konzern in den Metropolen Mumbai und Delhi seine ersten Verkaufsfilialen. „Es gibt viele Menschen, die in die Mittelschicht aufsteigen“, sagte Apple-Chef Tim Cook über die Geschäftschancen in dem Land. „Ich habe das Gefühl, dass Indien an einem Wendepunkt steht.“
Sorge um Monsun und El Niño
HDFC-Ökonomin Gupta verweist aber auch auf Risiken: So gibt es die Sorge, dass der für die Landwirtschaft wichtige Monsunregen in diesem Jahr schwächer ausfallen könnte als üblich – als Folge des Wetterphänomens El Niño, das in diesem Jahr erwartet wird. Auch die globalen Rezessionsgefahren könnten sich laut Gupta negativ auf Indien auswirken.
Schon jetzt zeigt sich, dass in Indien nicht jeder vom Aufschwung profitiert. Besonders jungen Menschen fällt es nach wie vor schwer, einen Job zu finden. Die Arbeitslosenrate stieg laut dem Centre for Monitoring Indian Economy im April auf 8,1 Prozent, vor allem weil viele Menschen auf den Arbeitsmarkt strömten.
Schätzungen zufolge braucht Indien Wachstumsraten von mindestens sieben Prozent, um für die schnell wachsende Bevölkerung genügend Jobs zu schaffen. Um diese Marke wieder zu erreichen, mahnt auch die Zentralbank: „Es ist wichtig, die Strukturreformen fortzusetzen, um das mittelfristige Wachstumspotenzial zu verbessern.“
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