Jun 5, 2023
48 Views
Comments Off on Alternative für Deutschland: Ökonomen warnen vor Folgen des AfD-Umfragehochs
0 0

Alternative für Deutschland: Ökonomen warnen vor Folgen des AfD-Umfragehochs

Written by Daniel Delhaes


Berlin Die jüngsten Umfragewerte der AfD sorgen für Unruhe bei Ökonomen und in der Wirtschaft. „Ein Rechtsruck verursacht auch wirtschaftlichen Schaden und kostet Wohlstand“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Eine „weitere Stärkung rechtsextremer Kräfte“ bedeute, dass Deutschland noch weniger attraktiv für Zuwanderung werde.

Innovationen erforderten ebenso Vielfalt und eine Wertschätzung von Diversität. „Wenn diese Offenheit und Toleranz weiter verloren gehen, dann werden deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb immer weniger mithalten können“, warnte der DIW-Chef.

Der Vizepräsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, sagte: „Wenn mehr Menschen Forderungen unterstützen, die sich gegen eine offene Gesellschaft richten, dann ist das auch aus wirtschaftlicher Perspektive bedenklich.“ Die Umfragen zeigten auch, dass Fragen der sozialen Sicherheit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts offenkundig zu kurz kämen. Um die großen aktuellen Probleme wie Demografie, Dekarbonisierung und Digitalisierung zu lösen, komme es darauf an, tatsächlich alle Bevölkerungsgruppen mitzunehmen. „Hier scheint es im Moment Defizite zu geben.“

Am Wochenende hatte der Vorstandsvorsitzende des Essener Chemiekonzerns Evonik, Christian Kullmann, von einer „sehr konkreten Bedrohung unserer liberalen, unserer toleranten Demokratie“ gesprochen. Der Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds ZGV, Ludwig Veltmann, nannte die Entwicklung „in hohem Maße beunruhigend“. „Natürlich macht sich bisweilen auch im Mittelstand Unmut über die Bundesregierung breit – dies darf uns aber niemals dazu verleiten, uns mit Populisten gemein zu machen, die sich von diesem Unmut nähren“, sagte Veltmann.

Auslöser für die Sorge sind die jüngsten Umfragen. Auf 18 Prozent kommt die Rechtspartei laut Infratest Dimap und würde damit so viele Stimmen erreichen wie die Sozialdemokraten.

Die Parteien werfen sich gegenseitig vor, zu wenig gegen den Aufstieg der Rechtspartei zu tun. CDU-Chef Friedrich Merz macht die Grünen verantwortlich, die Klimapolitik mit der „Brechstange“ betrieben. Zudem würden Gendern und „identitäre Ideologie“ den Protest hervorrufen. SPD-Politiker wie der Fraktionsvize Dirk Wiese nennen auch die Debatte um das Heizungsgesetz als Grund, während die Grüne Irene Mihalic die Koalition bat, wieder geschlossen aufzutreten, und FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai alle Parteien zur Selbstkritik mahnte.

Alles soll so bleiben, wie es nie war

Sind die Parteien in der Lage, die AfD zu „halbieren“, wie CDU-Chef Merz 2021 noch in Aussicht gestellt hatte? Die Zustimmung für die AfD bricht nicht ab, obwohl die Partei vom Verfassungsschutz seit einigen Jahren als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt wird. Beginnt nun eine Zeit, in der die demokratischen Parteien an den Rand gedrängt werden? Um eine Antwort auf die Frage zu finden, ist es hilfreich, sich anzuschauen, wer genau die AfD wählt. Zu den führenden Milieuforschern im Land gehört das Sinus-Institut in Mannheim.

Robust, flexibel, pragmatisch und in der Mitte stehend: So sieht sich demnach der AfD-Wähler. „Das Wertemuster typischer AfD-Wähler ist geprägt durch Vertrauensverlust, Verunsicherung, Überforderung, Frustration und Zukunftspessimismus, umgekehrt dem Wunsch nach Halt und Verankerung, verbunden mit der Sehnsucht nach einfachen Antworten“, sagt Norbert Schäuble, Gesellschafter des Sinus-Instituts. Die Vergangenheit werde nostalgisch verklärt.

Schäuble und sein Forscherteam verorten daher ein Viertel der AfD-Wähler im nostalgisch-bürgerlichen Milieu, 17 Prozent im prekären Milieu. Es trifft daher CDU und SPD gleichermaßen.

Grafik

Doch hat Milieuforscher Schäuble eine neue gesellschaftliche Entwicklung ausgemacht: Auch die „adaptiv-pragmatische Mitte“ zeige sich mit 19 Prozent offen für die AfD. Die Menschen dort sind leistungsbereit, wollen aber auch Spaß, wünschen sich Verankerung und Zugehörigkeit und sind unzufrieden und verunsichert. „Dieses Milieu prägt den modernen Mainstream, hat damit eine Schlüsselfunktion für gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gelingen gesellschaftlicher Transformation für Zukunftsfähigkeit“, erklärt Schäuble. In Österreich wähle dieses Milieu schon seit Längerem auch die rechtskonservative FPÖ.

>> Lesen Sie hier: Die CDU begibt sich auf die Spuren von Konrad Adenauer

Schäuble registriert wie auch der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer, Professor an der Universität Mainz, bei den meisten AfD-Wählern eher mittlere bis niedrige als höhere Bildungsabschlüsse. Sie sind kritisch mit Blick auf Zuwanderung, unzufrieden mit der bundesdeutschen Demokratie und haben das Gefühl, die eigene Meinung nicht frei äußern zu können. Im Osten sei die Zustimmung vor allem wegen der Einstellung zur Zuwanderung höher, und innerhalb Ostdeutschlands gebe es ein „Nord-Süd-Gefälle und wohl auch ein Stadt-Land-Gefälle“, sagt Arzheimer.

AfD-Wähler sind mehrheitlich männlich (61 Prozent) sowie 45 Jahre alt oder älter (zwei Drittel), wie Analysen zur Bundestagswahl 2021 zeigten. Sie sind enttäuscht von den anderen Parteien (67 Prozent). Laut jüngstem „Deutschlandtrend“ der ARD gibt nur ein Drittel von ihnen an, der AfD aus Überzeugung ihre Stimme zu geben.

Deshalb will Arzheimer auch nicht von einem Höhenflug der AfD sprechen. Momentan profitiere die Partei von einem „sehr günstigen Umfeld“. Dazu zähle „Ukraine, Inflation, permanente Regierungskrise“. Das helfe der Partei. „Ich würde einfach davor warnen, solche Veränderungen, die gerade so außerhalb des Stichprobenfehlers liegen, als großen Aufschwung zu bewerten.“

2024 erwartet die Parteien der Lackmustest

Der Mainzer Parteienforscher glaubt nicht daran, dass die anderen Parteien die AfD-Wähler vollständig zurückgewinnen können. Die AfD könne sich auf einen „Sockel ideologisch gefestigter Wähler stützen“, die sich auch durch die Radikalisierung nicht abschrecken lassen und die zumindest kurz- und mittelfristig kaum zurückzugewinnen seien. „Das sind die zehn bis 14 Prozent, die die Partei seit etwa 2017 bundesweit halten konnte“, sagt Arzheimer. Ein Drittel oder mehr hätten zuvor gar nicht gewählt.

Grafik

Milieuforscher Schäuble stützt diese Sicht. Die Anzahl der Bürger, die aus Protest die AfD wählen, schwanke je nach gesellschaftlicher Entwicklung. Nehmen aber die Probleme zu, wie Evonik-Chef Kullmann angesichts der Transformation der Wirtschaft befürchtet, könnte die Zustimmung steigen. Daher raten auch Schäuble wie Arzheimer den anderen Parteien ab, AfD-Positionen zu übernehmen und etwa das Zuwanderungsrecht zu verschärfen.

„Was man damit rechts gewinnen könnte, verliert man um ein Vielfaches in der modernen gesellschaftlichen Mitte“, analysiert Schäuble. „Was wirklich hilft, ist lösungsorientierte, pragmatische Politik, die Verunsicherung und Zukunftsängste vermeidet.“ Damit und mit „entsprechender Kommunikation könnte ein erheblicher Teil des Protestpotenzials zurückgewonnen werden“.

Der Ampelkoalition, der Union sowie den Linken in der Opposition bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich zu sortieren und trotz der gesellschaftlichen Umbrüche das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Der Blick richtet sich gen Osten: 2024 wählen die Menschen neue Landtage in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.

>> Lesen Sie hier: Vom Heizungsstreit zum Klimastreit – Wie die Ampelkoalition sich selbst blockiert

Hochgerechnet aus den bundesweiten Umfragen „käme die AfD in Ostdeutschland auf gut 25 Prozent der Stimmen“, sagte Mathias Moehl, Chef der Statistik- und Prognoseplattform election.de. Er hält 30 Prozent nicht für ausgeschlossen, womit die AfD etwa in Sachsen stärkste Kraft werden könnte.

Mehr: Parteien sollen 100 Millionen Euro zurückzahlen – jetzt muss Bärbel Bas entscheiden



<< Den vollständigen Artikel: Alternative für Deutschland: Ökonomen warnen vor Folgen des AfD-Umfragehochs >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.