Jun 9, 2023
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HRI-Konjunkturprognose: Deutsche Wirtschaft wächst erst 2024 wieder – Inflation bremst Investitionen und Konsum

Written by Dennis Huchzermeier


Düsseldorf Das Handelsblatt Research Institute (HRI) hat seine Konjunkturerwartungen für 2023 und 2024 nach unten revidiert. Das HRI erwartet nunmehr für das laufende Jahr einen Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent und für 2024 ein Plus von 0,6 Prozent. In seiner Frühjahrprognose hatte das HRI noch mit minus 0,2 Prozent für 2023 und plus 0,9 Prozent für 2024 gerechnet. Deutschland wäre damit Schlusslicht der Euro-Zone.

„Die deutsche Volkswirtschaft ist im vergangenen Winter in eine veritable Rezession gerutscht. Die wirtschaftliche Gesamtleistung wird daher in diesem Jahr spürbar sinken“, sagte HRI-Präsident Bert Rürup. Anders als nach früheren Rezessionen sei jedoch nicht mit einem anschließenden Aufschwung zu rechnen, durch den die Produktionsausfälle rasch aufgeholt würden. „Vielmehr wird sich eine zähe Wachstumsschwäche an die Rezession anschließen“, betonte Rürup.

Unter einer Rezession versteht man üblicherweise einen temporären Nachfrageausfall, der zu einem mindestens zwei Quartale anhaltenden Rückgang der Wirtschaftsleistung führt. Eine Wachstumsschwäche hingegen ist ein dauerhafter Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten, etwa aufgrund eines geringeren Angebots von Kapital und Arbeit. In der vergangenen Dekade lag das Trendwachstum – also das Wachstum ohne konjunkturelle und saisonale Schwankungen – in Deutschland noch bei rund 1,5 Prozent. Nunmehr ist es nach HRI-Schätzungen auf unter ein Prozent gesunken. „Und eine Trendwende ist nicht erkennbar“, so Rürup.

Die deutsche Volkswirtschaft hat die Doppelkrise aus Coronapandemie und Ukrainekrieg keineswegs gut bewältigt. Im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Volkswirtschaften war die wirtschaftliche Gesamtleistung im ersten Quartal 2023 merklich niedriger als vor Pandemiebeginn, also Ende 2019. Nach der aktuellen HRI-Prognose dürfte selbst Ende 2024 nur das Vor-Corona-Niveau gerade so erreicht werden.

Deutschland fehlten dann fünf Jahre Wachstum. Solch eine lange Phase gesamtwirtschaftlicher Stagnation hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben. Ohne Wachstum gibt es keine Wohlstandsgewinne und keine sprudelnden Steuer- und Beitragsquellen, aus denen der Staat etwa die Modernisierung von Bundeswehr und Infrastruktur oder die Folgen der Alterung der Gesellschaft finanzieren könnte.

Wirtschaftswunder in weiter Ferne

Nach amtlichen Angaben wuchs die deutsche Volkswirtschaft von 1950 bis 2022 im Schnitt um 3,1 Prozent pro Jahr. Dabei verlangsamte sich das Wachstum im Zeitablauf merklich. Doch selbst in den beiden zurückliegenden Dekaden von 2000 bis 2020 wuchs das reale Bruttoinlandsprodukt immerhin um ein Prozent pro Jahr – trotz der beiden schweren Einbrüche 2009 und 2020 infolge von Finanzkrise und Pandemie.

In den Wirtschaftswunderjahren zwischen 1950 und 1970 legte die Volkswirtschaft durchschnittlich um 6,4 Prozent pro Jahr zu. Auf diese Dynamik stellte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst ab, als er als Folge der Dekarbonisierung und der ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft Deutschland ein „neues Wirtschaftswunder“ prognostizierte

Solch kräftige Wachstumsraten hält das HRI für unwahrscheinlich. Selbst wenn – wie unterstellt – der Ukrainekrieg nicht weiter eskaliert und sich nicht auf Nato-Gebiet ausweitet, es zu keiner Energiemangellage im kommenden Winter kommt und eine globale Finanzkrise trotz der rasanten Zinswende der Zentralbanken ausbleibt, wird Deutschlands Wirtschaft nach drei Minusquartalen ab Beginn des zweiten Halbjahrs sehr verhalten wachsen – im Schnitt um etwa 0,2 Prozent pro Quartal.

Wie Blei lastet die hohe Inflation auf der Konjunktur, selbst wenn die Teuerungsraten allmählich sinken werden. Im Jahresdurchschnitt 2023 wird die Inflation laut HRI-Prognose bei 5,4 Prozent und 2024 bei drei Prozent liegen – also noch immer merklich über dem Zielwert der EZB von zwei Prozent. Die Europäische Zentralbank dürfte daher ihre Leitzinsen noch zweimal um jeweils einen Viertelprozentpunkt anheben. Mit dann 4,25 Prozent läge der Leitzins auf dem höchsten Niveau seit Sommer 2008.

Reallöhne sind niedriger als 2015

Die Preisschübe in den zurückliegenden zwei Jahren haben die Realeinkommen geschmälert und reales Vermögen vernichtet. Bis Ende 2024 dürfte das Preisniveau in Deutschland binnen vier Jahren um rund 20 Prozent gestiegen sein. In der Phase davor hatte es rund 15 Jahre gedauert, bis die Preise in vergleichbarem Ausmaß zulegten.

Da die Löhne mit der Teuerung nicht mithielten, sank der Reallohn drei Jahre in Folge. Laut Statistischem Bundesamt war der Reallohnindex 2022 geringfügig niedriger als im Jahr 2015. Den Arbeitnehmern fehlen also im Schnitt bereits sieben Jahre Wohlstandszuwachs.

Einen Teil dieser Kaufkraftverluste haben staatliche Hilfe ausgeglichen. Außerdem gab es in ersten Wirtschaftszweigen jüngst üppige Tarifabschlüsse. Diese betrafen jedoch zumeist den öffentlichen Dienst oder staatsnahe Dienstleister wie etwa die Post; auch bei der Bahn sind hohe Tarifzuwächse im Gespräch.

Allerdings ist nur knapp die Hälfte aller Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb angestellt; alle anderen Arbeitnehmer müssen Lohnerhöhungen selbst aushandeln. Überdies kommen in einigen Branchen dieses Jahr Tariflohnerhöhungen zum Tragen, die noch in Zeiten deutlich niedrigerer Inflationsraten abgeschlossen wurden – Tarifverträge werden im Schnitt für eine Dauer von etwa zwei Jahren geschlossen.

Da für nicht wenige Beschäftigte das Jahr 2023 mit weiteren Reallohnverlusten einhergehen dürfte, wird der private Konsum laut HRI-Prognose um ein Prozent schrumpfen. Im kommenden Jahr dürfte der Konsumrückgang zwar aufgeholt werden. Gleichwohl wird der private Konsum real noch immer deutlich niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019 sein.

Hohe Zinsen drücken Unternehmensgewinne

Zudem belastet die Zinswende die Wirtschaft, da Fremdkapital für die Unternehmen teurer wird. Höhere Zinsbelastungen schmälern neben einer schwächeren Nachfrage die Gewinne und verteuern Investitionen, sodass diese weniger rentabel werden und womöglich unterbleiben. Die Unternehmen kommen also von zwei Seiten unter Druck.

Die Dax- und MDax-Konzerne (ohne Banken) hatten Ende 2022 laut ihren Geschäftsberichten insgesamt 750 Milliarden Euro Finanzschulden. Eine um einen Prozentpunkt höhere Gesamtverzinsung würde diese Konzerne 7,5 Milliarden Euro kosten und die Gewinne entsprechend drücken. Unterstellt man zudem, dass sich die Finanzierungskosten der gesamten privaten Investitionen um zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöhten, entstehen Belastungen von überschlägig rund 15 Milliarden Euro pro Jahr.

Besonders hart getroffen ist der Bausektor, da die Fremdfinanzierungsquote bei Immobilien besonders hoch ist. Nach einem Rückgang um 1,7 Prozent in 2022 dürften die Bauinvestitionen laut HRI-Prognose auch 2023 und 2024 schrumpfen. Die politischen Ziele bei Wohnungsneubau und Sanierung des Bestandes dürften daher weiter klar verfehlt werden.

Im vergangenen Jahr wurden anstatt der von der Bundesregierung avisierten 400.000 nur 295.300 Wohnungen gebaut. Die Bauwirtschaft muss nicht nur steigende Finanzierungskosten hinnehmen, sondern auch deutlich verteuerte Materialen, zunehmende Regulierung sowie Personalknappheit.

In den kommenden Jahren dürfte der Fachkräftemangel in immer mehr Branchen zum beherrschenden Engpassfaktor werden. Angesichts der Alterung der Gesellschaft gehen jedes Jahr deutlich mehr Beschäftigte in den Ruhestand, als junge Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt kommen. Überdies weisen immer mehr Schulabgänger eklatante Bildungsdefizite auf, sodass sie allenfalls eingeschränkt auf dem Arbeitsmarkt einsetzbar sind.

„Deutschland ist dabei, erneut zum kranken Mann Europas zu werden“

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ermittelte bereits für das vergangene Jahr in 200 der rund 1200 bewerteten Berufe einen Engpass – 52 mehr als ein Jahr zuvor. Zu den beschäftigungsstärksten Engpassberufen zählen Pflegeberufe, Berufskraftfahrer, medizinische Fachangestellte, Bauarbeiter sowie Kindererzieher und Kfz-Techniker. Weitere 157 Berufsgattungen stehen unter Beobachtung der BA, weil sie sich rasch zu Engpassberufen entwickeln könnten.

„Deutschland ist dabei, erneut zum kranken Mann Europas zu werden“, befürchtet HRI-Präsident Rürup. Die Bundesrepublik sei mittlerweile für Unternehmen ein Hochsteuerland, und die Abschreibungsbedingungen seien deutlich veraltet. Zudem seien große Teile der Infrastruktur marode, die Bevölkerung stehe vor einer Verrentungswelle und die in der Sache richtige Energiewende absorbiere Ressourcen, ohne dass dadurch zusätzliche Kapazitäten zur Wohlstandsgenerierung entstünden. Die Politik wäre gut beraten, die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft mit einer wachstumspolitischen Agenda zu flankieren, betont Rürup. „Ohne Wirtschaftswachstum wird die Energiewende nicht zu schaffen sein“, mahnt er.

Mehr: Fünf Thesen zu den geoökonomischen Irrwegen des Westens



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