Zürich Selten war die Vorfreude auf einen großen Geldsegen so verhalten: Durch die Einführung der OECD-Mindeststeuer von 15 Prozent winken dem Schweizer Bundesstaat und den Kantonen Mehreinnahmen von einer bis 2,5 Milliarden Franken jährlich. Am kommenden Sonntag stimmen die Schweizer Wahlberechtigten darüber ab, ob ihr Land die internationale Mindeststeuer übernehmen soll.
Das Gros der Parteien empfiehlt ein „Ja“ – einige jedoch zähneknirschend. So schreibt Thomas Aeschi, Nationalrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei: „Nur mit einem Ja am 18. Juni zur OECD-Mindeststeuer bleiben Schweizer Steuergelder in der Schweiz.“
Zwar habe sich seine Partei in der Vergangenheit gegen eine Einmischung des Auslands in die Schweizer Steuerpolitik gewehrt. Doch nun sei man dafür. Denn werde die OECD-Mindeststeuer abgelehnt, „dann profitieren ausländische Staaten“, warnt Aeschi.
Grund dafür ist eine Klausel in der Mindestbesteuerung, auf die sich die 140 OECD-Staaten 2021 verständigt haben. Sie erlaubt es OECD-Mitgliedsländern, Unternehmen mit einer Steuer in Höhe der Differenz zu den 15 Prozent zu belasten, wenn diese in ihrem Heimatland weniger zahlen. Trägt die Schweiz die OECD-Mindeststeuer nicht mit, würde Steuergeld aus der Schweiz abfließen.
In einigen Kantonen lag der Unternehmensteuersatz bislang teils deutlich unter den 15 Prozent. In Zug waren es zuletzt maximal 11,8 Prozent, in Luzern 12,3 Prozent und in Basel 13 Prozent. Die OECD-Mindeststeuer gilt für Unternehmen mit einem weltweiten Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro. In der Schweiz sind rund 200 bis 300 Konzerne sowie 2000 Tochterunternehmen ausländischer Firmen von der neuen Mindeststeuer betroffen.
Schweiz verliert an Attraktivität
Die Klausel, dass andere Länder von Unternehmen die Differenz zu den 15 Prozent Mindestbesteuerung eintreiben können, ist für die Schweiz Fluch und Segen zugleich. Einerseits verhindert sie, dass Firmen mit Einführung der OECD-Steuer schlagartig das Land verlassen. Denn andernorts wäre die Steuerlast ebenfalls so hoch.
Andererseits wird die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb langfristig geschwächt, wie etwa die Bundesregierung einräumt: „Durch die Mindestbesteuerung verliert die Schweiz an steuerlicher Attraktivität. Das könnte Unternehmen dazu veranlassen, wegzuziehen oder sich erst gar nicht in der Schweiz niederzulassen.“
Der Wirtschaftsverband Economiesuisse erklärt, dass Standortnachteile wie das hohe Lohnniveau und der starke Franken bislang durch den Steuervorteil ausgeglichen wurden. Doch dieser Vorteil fällt künftig weg.
Der Einschnitt wird in der Schweiz bereits vielfach mit dem Wegfall des Bankgeheimnisses verglichen, der die Finanzbranche fundamental zum Umdenken zwang. „Für Bund, Kantone und Gemeinden stehen damit ein weiteres Mal die Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze sowie Steuereinnahmen auf dem Spiel“, warnte die Schweizer Regierung.
Auch Economiesuisse geht davon aus, dass sich die geschätzten Mehreinnahmen von jährlich 2,5 Milliarden Franken jährlich nur dauerhaft realisieren lassen, wenn die Unternehmen wie bisher im Land investieren.
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Doch das ist höchst ungewiss: Forscher der Universitäten Basel und Lausanne zeigten anhand von Daten aus der Schweiz, dass eine Steuererhöhung um einen Prozentpunkt den steuerbaren Gewinn um 0,82 Prozent senkt. Daher heißt es von Economiesuisse: „Mit Verhaltensänderungen von Firmen als Reaktion auf steuerliche Anpassungen ist zu rechnen.“
Dazu zählt, dass Neuinvestitionen an Standorte mit niedrigeren Lohnkosten fließen. Daher müsse die Schweiz vom Steuer- in den Standortwettbewerb übergehen.
Steuervorteil dank „international akzeptierter Standortmaßnahmen“
Der Schlüssel dabei seien „international akzeptierte Standortmaßnahmen“, sprich Subventionen oder Steuervorteile, die von der OECD abgesegnet werden. Damit lässt sich die Steuerbasis so senken, dass der effektive Satz unter 15 Prozent fallen kann. Ein Beispiel ist die steuerliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (F&E). Davon dürften beispielsweise die Schweizer Pharmariesen Roche und Novartis profitieren.
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Allerdings muss das Unternehmen dafür in der Schweiz eine Forschungsabteilung haben. Das rechnet sich nicht für jede Firma. Eine Präsentation der Wirtschaftskammer des Kantons Zug zeigt, welche Ausgaben abzugsfähig sind – und welche nicht. Die Durchführung von Experimenten können sich Unternehmen anrechnen lassen – den Betrieb einer Kantine für das Forschungsteam nicht.
Eine weitere Möglichkeit ist die sogenannte Patentbox: Unternehmen können ihre Patente in eine eigene Struktur einbringen – die Gewinne, die mit diesen Patenten erwirtschaftet werden, können dann zu einem geringeren Satz versteuert werden. Mit dieser Möglichkeit könnten Firmen seit Beginn des Jahres auch versuchen, die Bemessungsgrundlage für die Steuer und somit die Steuerlast zu senken. Das Schweizer Steuergesetz sieht eine solche Patentbox vor.
Doch auch die ist aufwendig: Unternehmen müssen detailliert aufschlüsseln, welcher Teil ihres Gewinns aus den einzelnen Patenten stammt. Für ein Biotech-Start-up mit wenigen, neu eingetragenen Patenten mag das noch einfach möglich sein. Für einen Konzern mit einer Vielzahl älterer Patente kann der Aufwand jedoch extrem hoch werden, warnen Experten.
Hinzu kommt: Länder wie Deutschland versuchen zu verhindern, dass Konzerne ihre Patente zu Tochterfirmen ins steuergünstige Ausland verlagern. Dafür hat der deutsche Fiskus eine sogenannte „Lizenzschranke“ eingeführt.
Das Ringen um die Steuereinnahmen der Großkonzerne wird härter. Doch ein historisches Beispiel kann das Land hoffen lassen: Der Wegfall des Bankgeheimnisses hat der heimischen Finanzindustrie weniger geschadet als zunächst befürchtet.
Mehr: Wie die Schweiz trotz Mindestbesteuerung für Unternehmen attraktiv bleiben will
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