Jun 14, 2023
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Alternde Gesellschaft: Warum Japans Milliardenausgaben zu kurz greifen

Written by Martin Kölling


Tokio Die Worte von Japans Ministerpräsident Fumio Kishida sind drastisch: Dies sei „die letzte Chance, den Trend sinkender Geburtenraten umzukehren“, erklärte er am Dienstag. 2022 fiel die Zahl der Kinder pro Frau im gebärfähigen Alter auf nur 1,26 – den niedrigsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen.

Dabei hat Japan die Wartelisten in Kindergärten für Kinder berufstätiger Eltern in nur fünf Jahren auf ein Rekordtief reduziert. Doch das reicht offenbar nicht. Als zusätzlichen Anreiz will Kishida nun bis 2030 das Budget für die Kindeserziehung von derzeit 31 Milliarden Euro verdoppeln – und damit auf das Niveau Schwedens, wie die Regierung behauptet.

Im ersten Schritt werden zusätzlich 23 Milliarden Euro bereitgestellt. Damit wird das Kindergeld auf Gymnasiasten ausgeweitet, Einkommensobergrenzen werden abgeschafft, alle Kinder bekommen einen Kindergartenplatz garantiert. Das Erziehungsgeld wird auf 100 Prozent des Grundlohns erhöht, die Geburtskosten werden künftig komplett durch die Krankenkasse übernommen.

Der Vorstoß ist Teil von Kishidas Versprechen, nach drei Jahrzehnten stagnierender Reallöhne und immer neuer Rekordgewinne der Unternehmen mit einem „neuen Kapitalismus“ den Mittelstand zu sichern. Die Zukunftsstrategie für Kinder ist der Versuch, der drohenden demografischen Falle doch noch zu entkommen.

Für Experten greift Kishida mit höheren Subventionen aber zu kurz und gibt damit auch eine Lehre für europäische Länder: Er verspricht mehr Geld vom Staat, während die Menschen vor allem auf ihr Einkommen und die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes und Lebens schauen.

Frauen müssen bessere Jobs bekommen

Haruka Sakamoto, Senior Fellow der Tokyo Foundation for Policy Research, lobt zwar, dass Kishida das Thema auf die politische Agenda gesetzt hat. „Aber es ist notwendig, die soziale Struktur zu verändern“, so die Expertin. Martin Schulz, Chefpolitökonom des Technologiekonzerns Fujitsu und Mitglied eines Beratungsgremiums von Kishida, erklärt, dass es im japanischen Kontext neben der Zurückdrängung prekärer Teilzeitjobs, die fast 40 Prozent der Arbeitsplätze ausmachen, vor allem um eines gehe: „Frauen müssen besser bezahlte Arbeit bekommen, wenn die Geburtenrate steigen soll.“

Denn in der Regel haben in Japan erst Haushalte mit einem Familieneinkommen von mehr als acht Millionen Yen (53.000 Euro) mehr als ein Kind. Dieser Wert liegt knapp über dem, was ein Zweipersonenhaushalt derzeit im Durchschnitt verdient. Das Potenzial ist enorm, weil die Ungleichheit noch so groß ist.

Im Gender-Ranking des Weltwirtschaftsforums lag Japan 2022 auf Platz 116 – trotz politischer Appelle, mehr Frauen auch Vollzeit einzustellen. Die Politik müsse deshalb Frauenquoten durchsetzen, meint Schulz. Doch davor schreckt die Regierung zurück und setzt auf mehr Geld.

Alterungspionier Japan gehen die demografischen Tricks aus

Während viele Industrieländer mit niedrigen Geburtenraten zu kämpfen haben, ist das Problem in Japan besonders akut. Denn die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist das erste Land, in dem die Bevölkerung mangels Geburten schrumpft. Seit 2010 ist die Einwohnerzahl bereits von 128,1 Millionen auf unter 125 Millionen gesunken. Und das Tempo nimmt zu.

Alte Frau mit Einkaufswagen

Japan droht die Vergreisung.

(Foto: AP)

2022 hat Japan 556.000 Einwohner verloren, im Jahr 2056 soll die Zahl sogar unter 100 Millionen sinken, prognostizierte das Nationale Forschungsinstitut für Bevölkerung und soziale Sicherheit im April. Das ist drei Jahre später als bisher prognostiziert, weil Japan inzwischen mehr Ausländer ins Land lässt als früher – in Relation zu Europa sind es aber immer noch sehr wenige.

>> Lesen Sie hier: Arbeiten im Rentenalter – wie Japan bisher die Demografie ausgetrickst hat

Die wirtschaftlichen Nebenwirkungen des demografischen Wandels belasten Japan zunehmend stärker. Immer weniger Menschen müssen wachsende Rentnerheere, den Sozialstaat und die Staatsverschuldung finanzieren. Letztere stellt für Japan ein besonderes Risiko dar, da die Staatsverschuldung inzwischen auf rund 250 Prozent der Wirtschaftsleistung angestiegen ist.

Das Problem ist in Japan seit Langem erkannt. Drastisch gespart wird nicht, stattdessen werden die steigende Verschuldung durch Anleihekäufe der Notenbank stabilisiert und Sozialleistungen gekürzt. Nach dem Amtsantritt von Kishidas Vorgänger Shinzo Abe Ende 2012 nahm die Regierung auch die Geburtenrate stärker ins Visier. So erhöhte sie das Erziehungsgeld und ging – mit Erfolg – gegen den damals grassierenden Mangel an Kindergartenplätzen vor.

Grafik

Obwohl die Zahl der Kindergartenkinder auf zuletzt 2,8 Millionen stieg, schrumpften die Wartelisten nach Angaben des Gesundheitsministeriums von 26.081 Kindern im Jahr 2017 auf 2944 Kinder im Jahr 2022. In Japan ermöglicht dies theoretisch beiden Elternteilen zu arbeiten. Denn viele Kindergärten haben deutlich längere Betreuungszeiten als in Deutschland. „Ich kann mein Kind um sieben Uhr bringen und um 20 Uhr abholen“, sagt ein Vater, der im Nordosten Tokios wohnt. Es gibt sogar Einrichtungen, die rund um die Uhr geöffnet haben.

Vorbildliche Kindergartenpolitik verfehlt bislang ihr Ziel

Doch diese Fortschritte haben junge Paare nicht zu mehr Kindern ermutigt, was auch an der Höhe der bislang gezahlten Zuschüsse liegen könnte. Für Kleinkinder bis zu drei Jahren erhalten Eltern unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze derzeit umgerechnet rund 100 Euro Kindergeld im Monat, vom dritten bis zum 15. Lebensjahr sind es umgerechnet nur 66 Euro. Gymnasiasten gingen bisher ganz leer aus. Das will Kishida nun ändern.

Windsäcke in Karpfenform in Tokio

Sie symbolisierten früher den Wunsch, dass Jungen stark werden wie Karpfen. Jetzt wird dies teilweise auch auf Mädchen bezogen.

(Foto: AFP)

Politisch ist das ein geschickter Schachzug. Es wird spekuliert, dass Kishida noch in diesem Monat das Parlament auflösen und vorgezogene Neuwahlen ausrufen könnte. Wie er die höheren Sozialausgaben und die gleichzeitige Verdoppelung des Verteidigungshaushalts langfristig finanzieren will, etwa durch unpopuläre Steuererhöhungen, will er erst später verkünden.

Ob das Paket jedoch die Lebenswirklichkeit der Japaner trifft, ist noch offen. Die Bildungskosten sind trotz kostenfreier öffentlicher Schulen hoch. Denn beim Wechsel auf bessere Mittel-, Ober- oder Hochschulen müssen Prüfungen bestanden werden, auf die teure Nachhilfeschulen vorbereiten. Zudem gibt es wie in anderen asiatischen Ländern, in denen der Sozialstaat schwächer ausgebaut ist als in Europa, traditionell nur sehr wenige außereheliche Kinder – und der Heiratsmarkt ist extrem materialistisch organisiert.

Männer mit einem Jahreseinkommen unter 20.000 Euro haben in Japan kaum eine Chance zu heiraten, zeigt eine Studie der Forscherin Sakamoto. Zu dieser Gruppe gehören diejenigen, die sich nur mit Teilzeitjobs finanzieren. Die Verwirklichung von Kinderwünschen wird vielmehr vom Einkommen bestimmt, meint die Expertin: „Je höher das Jahreseinkommen, desto höher ist der Anteil derer, die Kinder haben.“

Bei den Frauen beobachtet Sakamoto eine Entwicklung wie in Schweden, wo höher gebildete Frauen mehr Kinder bekommen. Lange Zeit seien hochgebildete Frauen in Japan ledig und damit kinderlos geblieben. „Bei Frauen in ihren Zwanzigern oder frühen Dreißigern ist die Situation genau umgekehrt“, sagt die Expertin. „Frauen mit hoher Bildung und hohem Einkommen heiraten eher.“

Mehr: 7000 Euro Prämie pro Kind – Wie Japan Großstädter aufs Land locken will



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