Zürich Christian Mumenthaler scheut sich nicht, eine klare Wahlempfehlung abzugeben. Der Chef des weltweit zweitgrößten Rückversicherers Swiss Re schreibt im Karrierenetzwerk LinkedIn, er selbst lege „mit Überzeugung ein ‚Ja‘ in die Urne“, wenn es am 18. Juni um das Klimaschutzgesetz geht.
Ähnlich äußert sich der Präsident des Verbandes Economiesuisse, Christoph Mäder: Die helvetische Wirtschaft befürworte das Ziel der Regierung, bis 2050 netto keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr auszustoßen.
Daher ruft Mäder die Bevölkerung auf, bei der am Sonntag anstehenden Volksabstimmung für das geplante Klimaschutzgesetz zu stimmen. „Entscheidend ist, dass wir auf ideologische Grabenkämpfe verzichten und gemeinsam an einem Strick ziehen“, sagt Mäder.
Die Appelle scheinen zu wirken: Aktuellen Umfragen zufolge wollen mehr als 60 Prozent dem von der Regierung vorgeschlagenen Klimaschutzgesetz zustimmen.
Von solchen Umfragewerten und einem vergleichbaren öffentlichen Rückhalt in der Wirtschaft kann der deutsche Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in diesen Tagen nur träumen. Sein Heizungsgesetz spaltet die Ampelregierung, löst Kritik im Mittelstand aus und verhilft der AfD zu einem Höhenflug.
Dabei haben Habecks Grüne ähnliche Ziele wie die schweizerische Regierung, etwa die Umstellung auf moderne Heizungen, die nicht mehr allein mit Gas oder Öl betrieben werden.
Regierung verspricht Förderung in Milliardenhöhe
Doch während an Habecks Heizungsgesetz die Koalition fast zerbrochen ist, hat die eidgenössische Bundesregierung alle Parteien mit Ausnahme der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) vom Klimaschutzgesetz überzeugt.
Selbst die liberale FDP zieht mit, obwohl die Wähler der Liberalen mehrheitlich skeptisch sind. Wie hat die Schweizer Politik das geschafft?
Martin Bäumle, der für die Grünliberale Partei im Nationalrat sitzt, sagt: „Das Klimaschutzgesetz setzt klare Ziele, aber keine Verbote.“ Wichtig für den Rückhalt in Wirtschaft und Bevölkerung sei, das Gesetz möglichst „technologieoffen“ zu formulieren.
Das macht es dem „Nein“-Lager schwerer, das Klimaschutzgesetz als Sammelsurium von Verboten darzustellen. Die rechtskonservative SVP mobilisiert mit dem Schlagwort „Stromfresser-Gesetz“ gegen das Vorhaben.
SVP-Parlamentarier Christian Imark sagt: „Es ist richtig, dass im Stromfresser-Gesetz nicht steht, dass Benziner verboten werden oder Öl- und Gasheizungen. Es ist aber die logische Folge, wenn solch radikale Ziele verfolgt werden sollen. Anders wird es gar nicht funktionieren.“
Konkret sieht das Gesetz vor, die Pariser Klimaziele, zu denen sich auch die Schweiz verpflichtet hat, in Paragrafen zu gießen. Dabei sind auch verbindliche Zwischenziele geregelt: Ab dem Jahr 2031 etwa müssen die Treibhausgase gegenüber 1990 um mindestens 64 Prozent sinken, bis 2040 um bis zu 75 Prozent.
Um das zu erreichen, will die schweizerische Bundesregierung viel Geld investieren: So stellt sie 200 Millionen Franken (etwa 205 Millionen Euro) jährlich für die kommenden zehn Jahre bereit, mit denen Hausbesitzer beim Tausch von Heizungen unterstützt werden sollen.
Weitere Gelder in Höhe von 200 Millionen Franken pro Jahr, über einen Zeitraum von sechs Jahren, können Unternehmen beantragen, um ihre Produktion klimaneutral umzubauen.
Was das bedeutet, beschreibt Bäumle so: „Das Netto-Null-Ziel besagt, dass eine Öl- oder Gasheizung in Zukunft nur noch mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden kann.“ Offen ist, ob sich das rechnet – oder ein Heizungstausch die bessere Wahl ist.
Ähnlich bei der Mobilität. Bäumle erwartet, dass sich der Batterieantrieb bei Autos durchsetzt. Bei Lkws könnten es auch E-Fuels sein. „Wichtig ist, dass das Gesetz einen Marktanreiz setzt“, sagt Bäumle.
Volksentscheide zwingen zu frühen Kooperationen
Staatliche Vorgaben, welche Technologie vorzuziehen sei und wie viel CO2 konkret eingespart werden soll, sehen die Schweizer Wahlberechtigten mehrheitlich kritisch. Das zeigte sich vor zwei Jahren: Im Juni 2021 scheiterte die Regierung mit einem CO2-Gesetz. Es sah unter anderem detaillierte CO2-Einsparziele für sämtliche Sektoren vor.
Eine der Lehren, welche die Politik aus der Niederlage zog: „Wir planen nicht mehr ein Gesetz, das alles regelt“, erläutert Bäumle. Beim aktuellen Klimaschutzgesetz gehe es darum, sich auf verbindliche grundsätzliche Ziele zu einigen.
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Sobald diese Einigung erzielt ist, gehe es darum, weitere Gesetze mit detaillierten Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Diese müssen stets wieder in einer Volksabstimmung Bestand haben.
Die Aussicht, dass jedes Gesetz per Volksentscheid gekippt werden kann, zwingt die Politik, die verschiedenen Interessensgruppen früh einzubinden – auch die Unternehmen.
Es habe viel Arbeit im Hintergrund stattgefunden, um die Wirtschaft ins Boot zu holen, sagt GLP-Politiker Bäumle. „Wir stellen die Unternehmen nicht als etwas Negatives dar, sondern arbeiten zusammen an Kompromissen.“ Bei Deutschland habe er zuweilen den Eindruck, dass Regierung und Parlament Entscheidungen fällen und die Wirtschaft erst hinterher informiert werde.
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