Berlin Die Ampelkoalition hat sich auf eine Reform des Straßenverkehrsrechts verständigt. Es eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, in Zukunft etwa Tempo-30-Zonen vor Schulen oder Kitas einzurichten, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Auch lassen sich verkehrseinschränkende Maßnahmen rechtfertigen, um sowohl den Ausstoß von Kohlendioxid wie auch von Feinstaub bei Fahrzeugen zu senken. Dies geht aus einem entsprechenden Gesetzentwurf hervor, der dem Handelsblatt vorliegt und der innerhalb der Bundesregierung abgestimmt ist.
„Ich freue mich, dass mit der Vorlage dieses Referentenentwurfs der lang erwartete Kabinettsbeschluss näher rückt“, sagte der Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, Mathias Stein, dem Handelsblatt.
Die Berichterstatterin der Grünen, Swantje Michaelsen, ergänzte: „Die Kommunen warten schon lange auf diese Novelle, weil die aktuelle Rechtslage unnötig hohe Hürden für die Anordnung von Zebrastreifen, Radwegen und Busspuren aufbaut.“
Mit dem Kompromiss endet ein seit Monaten währender Streit zwischen FDP und Grünen, der wie viele andere Projekte nicht gelöst werden konnte. Stattdessen scheint nun mit der grundlegenden Einigung auf das Gebäudeenergiegesetz und der künftigen Erneuerung des Heizungsbestands in Deutschland auch auf vielen strittigen Feldern der Verkehrspolitik der Durchbruch erreicht zu sein.
Kommunen können ihre Einwohner künftig vor Lärm und Abgasen schützen
Laut Gesetzentwurf zum Straßenverkehrsrecht sollen die Behörden die Möglichkeit erhalten, „die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung noch stärker als bisher zu berücksichtigen, um Ländern und Kommunen neue Entscheidungsspielräume zu eröffnen“, heißt es in dem Entwurf. Diese Ziele stünden „gleichberechtigt neben den Zielen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“.
Der Hinweis ist insofern bedeutsam, als der Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bislang darauf gepocht hatte, die Sicherheit und Leichtigkeit im Verkehr müsse immer Vorrang vor anderen Gründen für verkehrsbeeinträchtigende Maßnahmen haben.
Auch wollte er zunächst keine grundsätzliche Änderung des Gesetzes zulassen, sondern lediglich zusätzliche Möglichkeiten auf dem Verordnungswege schaffen. Nun seien die Ziele „gleichrangig im Gesetz“, lobte die Grüne Michaelsen. Dies sei „ein erster Schritt in die richtige Richtung“. Ebenso wie SPD-Politiker Stein will sie noch durchsetzen, „dass die Kommunen wirklich die im Koalitionsvertrag vereinbarten Entscheidungsspielräume zur Gestaltung des Verkehrs vor Ort bekommen“.
Mit dem nun vorgelegten Entwurf könnten Behörden nun die Bevölkerung vor Lärm und Abgasen schützen und den Verkehr städtebaulich neu ordnen. Auch dürfen sie vorsorgend vor schädlichen Umwelteinwirkungen schützen. Bisher waren verkehrsbeschränkende Maßnahmen erst möglich, wenn es etwa nachweislich zu Unfällen oder anderen Schäden gekommen war.
Auch kommt Wissing den Bundesländern entgegen. So sollen Kommunen in Zukunft mehr Anwohnerparkplätze anordnen können, „um erheblichen Parkdruck“ zu vermeiden – und zwar auch, wenn dieser vorhergesehen wird und noch nicht existent ist.
Ebenso dürfen Kommunen künftig Sonderfahrspuren einrichten, auf denen zum Beispiel „ausschließlich elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge oder mit mehreren Personen besetzte Fahrzeuge“ fahren dürfen.
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Als Grund heißt es im Entwurf, sie hätten im Vergleich zu Fahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren ein verändertes „Fahr- und Geräuschverhalten“ oder helfen, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind.
Koalition beendet Streit um viele Gesetzesvorhaben
Neben dem Straßenverkehrsrecht sind inzwischen auch weitere wichtige Vorhaben von der Warteliste ins gesetzgeberische Verfahren geschickt worden, um sie noch vor der parlamentarischen Sommerpause in den Bundestag einzubringen. Dort können dann Änderungswünsche eingebracht werden, ehe der Entwurf in die Gesetzesabstimmung geht.
So hat Wirtschaftsminister Volker Habeck (Grüne) die Novelle des Klimaschutzgesetzes in die Ressortabstimmung gegeben. Mit ihm sollen etwa der Verkehrsminister wie auch die Bauministerin von der Pflicht befreit werden, jedes Jahr sofort wirkende Maßnahmen umsetzen zu müssen, wenn im Verkehr oder im Gebäudestand zu viel Kohlendioxid emittiert wurde.
Auch soll in der kommenden Woche das lange umstrittene Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Infrastrukturprojekten im Parlament erstmals beraten werden.
Es sieht vor, dass mehr als 100 Straßenprojekte zum „überragenden öffentlichen Interesse“ erklärt und somit bei Klagen vor Gericht im Gegensatz zu anderen Belangen wie dem Umwelt- und Naturschutz bevorzugt werden. Dies hatten die Grünen lange Zeit abgelehnt und ihr grundsätzliches Veto zum Bau neuer Autobahnen eingelegt.
Im Gegenzug hat Minister Wissing diese Woche die Reform der Lkw-Maut durchs Kabinett gebracht. Mit ihr sollen Lastwagen ab 3,5 Tonnen Gewicht von Dezember an doppelt so viel Maut zahlen wie bisher.
Die neue Kohlendioxid-Komponente wollte die FDP eigentlich stufenweise mit dem steigenden Angebot an klimaneutralen Schwerlastwagen erhöhen und nicht von Beginn an den europarechtlich zulässigen Höchstsatz erheben.
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Nun wird der Staat umgehend rund sieben Milliarden Euro extra einnehmen, von denen nach Abzug der Erhebungskosten rund fünf Milliarden Euro für das Schienennetz bereitstehen sollen. Bislang fließen die Einnahmen aus der Maut ausschließlich in die Straße. Die Grünen hatten auf ein Ende dieser Regelung gepocht.
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