Jun 21, 2023
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Haushalt: Bundesverfassungsgericht verhandelt über den 60-Milliarden-Trick der Ampel

Written by Martin Greive

Ein Urteil wird erst in einigen Wochen erwartet. Doch klar ist: Sollten die Richter den entsprechenden Nachtragshaushalt für verfassungswidrig erklären, wäre das finanziell und politisch ein immenser Schaden für die Ampelkoalition. Das Handelsblatt beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Verfahren.

Schon bei den Koalitionsverhandlungen war SPD, Grünen und FDP klar, dass sie ihre vielen Wünsche nur schwer finanzieren können. Deshalb vereinbarten sie einen Haushaltstrick, den Lindner als Finanzminister umsetzte. Mit einem Nachtragshaushalt 2021 verschob er ungenutzte Corona-Notkredite in Höhe von 60 Milliarden Euro in den KTF, der damals noch „Energie- und Klimafonds“ hieß.

Dahinter steckte folgende Überlegung: Wegen der Pandemie und der teuren staatlichen Hilfsprogramme hatte die Bundesregierung in den Jahren 2020 und 2021 die Schuldenbremse ausgesetzt. Das ermöglichte es ihr, viel mehr Kredite in Rekordhöhe aufzunehmen.

>> Lesen Sie hier: 20-Milliarden-Lücke: Ampel-Minister wollen Sparvorgaben nicht hinnehmen – jetzt greift der Kanzler ein

Da das Jahr 2021 dann aber wirtschaftlich besser lief als gedacht, brauchte die Regierung die vorgesehenen Notkredite gar nicht komplett. Schon bei den Koalitionsverhandlungen war klar, dass rund 60 Milliarden Euro nicht abgerufen werden. Statt diese Kreditermächtigungen verfallen zu lassen, verschob Lindner sie in den Klimafonds, um damit in den folgenden Jahren – wenn die Schuldenbremse wieder greift und die Haushaltsspielräume kleiner werden – Investitionen finanzieren zu können. 

Was monieren die Kritiker?

Die Unionsfraktion hat dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Sie sieht einen Verstoß gegen die Schuldenbremse.

Mit ihrer Kritik sind CDU und CSU nicht allein. Auch der Bundesrechnungshof hält den Haushaltstrick der Ampel für „verfassungsrechtlich zweifelhaft. „Unter Ausnutzung aufgeblähter Notlagenkredite wird das verfassungsrechtliche Verbot der Bildung von Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung ausgehebelt“, heißt es in einer Stellungnahme, die der Rechnungshof für den Haushaltsausschuss geschrieben hat.

Auch Rechtsprofessoren äußerten in einer Anhörung des Ausschusses Zweifel. Christoph Gröpl von der Universität des Saarlandes verweist wie auch andere Juristen darauf, dass die Schuldenbremse wegen der Pandemie ausgesetzt wurde, die Kreditermächtigungen nun aber für andere Dinge genutzt würden. Die Kredite „müssten direkt und zeitnah zur Notlagenbewältigung eingesetzt werden“, schrieb Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg in seiner Stellungnahme.

>> Lesen Sie hier: „Verfassungswidrig” – Wie Ökonomen und Juristen über Lindners Nachtragshaushalt streiten

Wie verteidigt sich die Ampelkoalition?

Die Ampel weist darauf hin, dass schon die Große Koalition zu dem Trick gegriffen hat. Der damalige Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz (SPD) parkte 26 Milliarden Euro ungenutzte Coronakredite im Klimafonds – mit Zustimmung der Union.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung versucht, rechtliche Angriffspunkte möglichst zu entkräften. Sie argumentiert, dass die Investitionen aus dem Klimafonds dazu dienen würden, die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in den kommenden Jahren abzufedern. „Die Finanzpolitik muss deshalb weiterhin ihren Beitrag leisten, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu lindern“, heißt es im Nachtragshaushalt. „In diesem Zusammenhang leisten öffentliche Investitionen und die Förderung privater Investitionen, die die notwendige Transformation zu einer klimaneutralen Volkswirtschaft befördern, einen wesentlichen Beitrag.“

Zudem haben die Haushaltspolitiker der Ampel festgelegt, wozu die 60 Milliarden Euro genutzt werden dürfen. Damit will man dem Eindruck entgegentreten, es würden allgemein Rücklagen für die kommenden Jahre aufgebaut. „Die 60 Milliarden Euro haben fünf klar definierte Verwendungszwecke, die reichen von Maßnahmen für Energieeffizienz über CO2-neutrale Mobilität bis hin zur Abschaffung der EEG-Umlage“, sagt der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer. „So sollte auch die Gefahr eines ökonomischen Long Covid gebannt und die Investitionstätigkeit der Privatwirtschaft angeregt werden.“

Was sagen Ökonomen?

Während viele Juristen den Haushaltstrick der Ampel kritisieren, zeigen Ökonomen deutlich mehr Verständnis. Sie sehen die Rücklage im Klimafonds als Möglichkeit, um den Übergang von der Ausnahmesituation mit Rekordschulden hin zum Greifen der Schuldenbremse abzumildern.

Corona sei ein makroökonomischer Schock gewesen, der alle Wirtschaftszweige getroffen habe, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. „Das spiegelt sich in massiv gesunkenen Unternehmensinvestitionen als indirekte Folge der Pandemie.“ Hier setze der KTF an, die staatlichen Ausgaben stabilisierten die privaten Investitionen und linderten somit die Folgen der Coronarezession. „Auch wenn der Fokus nun – vernünftigerweise – auf Klimainvestitionen liegt, der Bezug zur Coronakrise ist eindeutig gegeben“, meint Südekum.

Welche Folgen hat das Urteil?

Sollten die Richter zu dem Schluss kommen, dass die Ampel gegen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verstoßen hat, stünde die Regierung vor einem großen Problem. Schon jetzt fällt es Lindner schwer, einen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr aufzustellen. Die von den Grünen geführten Ministerien wollen die Sparvorgaben des Finanzministers bisher nicht akzeptieren.

Sollten auch noch die 60 Milliarden Euro aus dem KTF wegfallen, würde es noch viel schwieriger für die Ampel. So sollen etwa die Hilfen für Bürger bei der Umrüstung von Gas- und Ölheizungen aus dem Fonds finanziert werden. Auch die fast zehn Milliarden Euro Subventionen für das neue Werk des Chipherstellers Intel in Magdeburg sollen aus dem Topf kommen.

Neben dem finanziellen Schaden gäbe es für die Ampel auch einen politischen. Die Union würde vor allem Finanzminister Lindner vorhalten, er betreibe unseriöse Haushaltspolitik.

Mehr: Wirtschaft kritisiert Fokus der Bundesregierung auf Subventionen



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