Washington Das Versprechen der USA an die Ukraine steht: „Solange es dauert“, wolle man dem Land im Krieg helfen, versicherte US-Präsident Joe Biden bei seiner ersten Kundgebung des US-Wahlkampfs. Doch immer häufiger rückt die US-Regierung Szenarien für ein mögliches Kriegsende in den Vordergrund – und ruft private Unternehmen dazu auf, die Ukraine als Investitionsstandort der Zukunft zu betrachten.
So nimmt US-Außenminister Antony Blinken an diesem Mittwoch und Donnerstag in London an der Ukraine Recovery Conference, einer Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine, teil. Das Forum bringt Regierungen, internationale Finanzinstitutionen und Unternehmen zusammen, um Mittel für die Ukraine zu mobilisieren.
Das Ziel sei, so Blinken, „eine möglichst starke, florierende Wirtschaft“ des Landes in einer Zukunft, in der der russische Angriffskrieg beendet sein könnte. Der britische Premierminister Rishi Sunak kündigte dort an, private Investitionen mit staatlichen Garantien vor Risiken absichern zu wollen. Zudem will er weitere drei Milliarden Dollar an Garantien bereitstellen, um Mittel der Weltbank zu investieren.
Für den Wiederaufbau und die langfristige ökonomische Erholung der Ukraine seien private Unternehmen zwingend notwendig, und zudem seien sie eine lukrative Chance, sagt Bruce Stokes, Wirtschaftsexperte an der Washingtoner Denkfabrik German Marshall Fund. „Potenzielle neue Geschäftsabschlüsse in Milliardenhöhe“ seien möglich. „Amerikanische Unternehmen sollten ihren Anteil daran frühzeitig sichern.“
Früh mit dabei ist der US-Vermögensverwalter BlackRock, der in London zusammen mit JP Morgan Chase einen „Investitionsfond zur Wiederherstellung der ukrainischen Wirtschaft“ präsentieren wollte. BlackRock-CEO Larry Fink hatte bereits im Januar prophezeit: westliche Investoren würden die Ukraine „überschwemmen“, das Land könne „für den Rest der Welt ein Leuchtfeuer der Kraft des Kapitalismus“ werden.
Tatsächlich berichten Lobbyisten in Washington von einer Art Goldgräberstimmung, die zum Teil die Rüstungsindustrie beträfe. Denn nach dem Krieg, so die Einschätzung, könne die Ukraine zum größten Rüstungs-Hub Europas werden. Aber auch der IT-Sektor und ukrainische Rohstoff-Reservoirs seien für Investoren interessant.
„Wir können es nicht allein schaffen“
Selbst im Krieg habe die Ukraine „ihre Führungsrolle in Spitzenbranchen wie künstlicher Intelligenz, Fintechs und Blockchain ausgebaut“, warb Samantha Power, Direktorin der US-Entwicklungshilfebehörde USAID, auf einer Investorenveranstaltung in Washington. US-Unternehmen könnten „early adopters“ in der Ukraine werden, so Power, und verwies auf das Engagement des deutschen Konzerns Bayer.
Auf derselben Veranstaltung sprach Bidens Wirtschaftsministerin Gina Raimondo. „Wir alle wissen, dass unsere Regierung es nicht allein schaffen kann“, sagte sie. „Wir brauchen Sie“, sagte sie an die Unternehmer gerichtet.
Die USA als größter Geldgeber haben ein elementares Interesse daran, private Investoren mit an Bord zu holen. Vor allem, da kein Ende des Krieges in Sicht ist und die finanziellen Mittel wohl nicht dauerhaft allein von Regierungsinstitutionen gestemmt werden können. Seit einigen Monaten bemüht sich die US-Regierung deshalb verstärkt um private Investoren für die Ukraine:
- Im April lud die US-Handelskammer zu einem amerikanisch-ukrainischen Partnerschaftsforum ein, beteiligt waren mehrere US-Ministerien. Das Motto der Veranstaltung klang wie ein Werbeslogan: „We build the foundation for a dynamic economic recovery in Ukraine.“
- Die Entwicklungsbehörde USAID ist AdvantageUkraine beigetreten. Die Organisation in Kiew bringt potenzielle Investoren aus dem Ausland mit ukrainischen Unternehmen zusammen. USAID unterstützt zudem finanziell die ukrainische E-Government-Plattform Diia und wirbt für Investments amerikanischer IT-Firmen.
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Auf dem „Select USA“-Gipfel, dem Wirtschaftsforum der US-Bundesstaaten, gab es einen eigenen Bereich für ukrainische Unternehmer in den USA. Vorgestellt wurde zum Beispiel das ukrainische Start-up Delfast, das in einem Pilotprojekt amerikanische Polizisten mit E-Bikes ausstattet. Indem ukrainische Marken in den USA bekannter werden, sollen neue Geschäftskontakte entstehen.
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Verstärkt lobbyieren Vertreter aus Kiew in Washington. Sergiy Tsivkach, Geschäftsführer der Investitionsförderungsagentur UkraineInvest, veröffentlichte kürzlich einen Meinungsbeitrag im Washingtoner Magazin „The Hill“. Wegen ihrer Rohstoffe und qualifizierten Arbeitskräfte könne die Ukraine auch in der Abgrenzung zu China „ein wichtiger Partner für amerikanische Technologieunternehmen sein“, warb er.
Die Weltbank schätzte in ihrem letzten Bericht im Frühjahr die Kosten für den Wiederaufbau auf 411 Milliarden US-Dollar – das ist mehr als zweieinhalbmal so viel wie das ukrainische Bruttoinlandsprodukt. Die Schätzungen seien ein „Mindestwert“, betonte die Weltbank. „Der Bedarf wird weiter steigen, je länger der Krieg dauert.“
In Gesprächen mit Geldgebern versuche man, „die Zahlen auf kurze Zeiträume herunterzubrechen. Alles andere ist schwer zu begreifen“, sagte Anna Bjerde, geschäftsführende Direktorin für Operationen bei der Weltbank, dem Handelsblatt.
Vom Privatsektor werde „erwartet, dass er einen großen Beitrag zu den Wiederaufbaubemühungen der Ukraine leistet“. Was für die Ukraine als Investitionsstandort spreche, sei die hohe Resilienz der bereits ansässigen Unternehmen. Laut einer Weltbank-Studie mussten bislang nur drei Prozent der ukrainischen Unternehmen ihr Geschäft wegen des Kriegs dauerhaft einstellen.
So berichtet das Handelsblatt über den Ukrainekrieg:
In den kommenden Monaten dürften die Appelle aus der US-Regierung zunehmen. Blinken versuchte vor der Wiederaufbaukonferenz, mögliche Zweifel an Investments in der Ukraine zu adressieren und sprach die Korruptionsvorwürfe gegen das Land an. „Wenn die Ukraine die Investitionen anziehen will, die sie braucht, muss sie das bestmögliche Umfeld schaffen“, mahnte Blinken in London.
27 Milliarden US-Dollar fließen in Wirtschaftshilfe
Dass die US-Regierung private Unternehmer mehr denn je überzeugen will, hat auch politische Gründe, denn die Ukrainehilfen der USA geraten im Präsidentschaftswahlkampf unter Druck. „Wir können nicht davon ausgehen, dass die finanzielle Unterstützung des Westens auf dem derzeitigen Niveau anhält“, sagte Charles Kupchan, früherer Europadirektor im Nationalen Sicherheitsrat unter Barack Obama, dem Handelsblatt.
Seit der russischen Invasion haben die USA 113 Milliarden US-Dollar für die Ukraine bewilligt, fast zwei Drittel davon sind für Verteidigungszwecke vorgesehen. Aber rund 27 Milliarden US-Dollar fließen in Wirtschaftshilfen.
Das Geld wird zum Beispiel für Nahrung, die Sozialsysteme oder die Reparatur bombardierter Stromnetze verwendet. Gerade in diesem Bereich, heißt es von einem US-Regierungsbeamten, sei man mittelfristig auf Privatinvestoren angewiesen. Denn diese Wirtschaftshilfen könnten am ehesten vom US-Kongress beschnitten werden.
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