Jun 21, 2023
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AKW Saporischschja : Russland soll Kühlbecken vermint haben: Was droht bei einem Atomunfall?

Written by Barbara Gillmann


Kernkraftwerk Saporischschja

Russische Truppen kontrollieren des Atomkraftwerk seit mehr als einem Jahr.


(Foto: dpa)

Berlin Am Dienstagabend schreckte eine Warnung des ukrainischen Militärnachrichtendienstes (GUR) die Welt auf: Russische Truppen sollen das Kühlbecken für die Reaktoren des Kernkraftwerks Saporischschja vermint haben. Der Sechs-Reaktoren-Komplex, Europas größtes Kernkraftwerk, wurde kurz nach dem Überfall Russlands besetzt. „Das Erschreckendste ist, dass das Kernkraftwerk Saporischschja in dieser Zeit zusätzlich vermint wurde, und zwar das Kühlbecken“, sagte nun GUR-Chef Kyrylo Budanow, ohne jedoch Beweise für diese Behauptung vorzulegen. Das russische Verteidigungsministerium reagiert nicht auf Anfragen von Nachrichtenagenturen. 

Die Meldung lässt sich also nicht unabhängig überprüfen. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mahnt aber, es müsse „alles dafür getan werden, die Kühlung aller sicherheitsrelevanten Systeme der Kernkraftwerke sicherzustellen“. Unabhängig von einer möglichen Verminung sei das AKW durch die Kampfhandlungen, wiederholte Stromausfälle sowie die Arbeitsbedingungen der ukrainischen Angestellten bedroht. Auch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hält die Kampfhandlungen in der Nähe der Anlage und die schwierige Personalsituation für das größte Risiko. 

Seit dem 11. September 2022 sind zwar alle sechs Reaktoren des Kraftwerks Saporischschja heruntergefahren. Damit sinke das Risiko eines radiologischen Unfalls stetig, sagte eine BfS-Sprecherin, weil die Nachzerfallswärme der Brennelemente zurückgehe. Auch seien kurzlebigere radioaktive Stoffe wie beispielsweise das Isotop Iod-131 inzwischen zerfallen. Für die Kühlung und die Sicherheitssysteme ist die Anlage jedoch weiterhin auf eine funktionierende Stromversorgung angewiesen.

Käme es zu einer Freisetzung von Radioaktivität, könnten „im schlimmsten Fall, also nur bei einem erheblichen Austritt von Radioaktivität und der Verfrachtung der kontaminierten Luftmassen nach Deutschland, auch hier in der Landwirtschaft festgelegte Werte für Nahrungsmittel überschritten werden“, so das BfS. Kontrollen von Futter- und Nahrungsmitteln und etwaige Verkaufssperren seien mögliche Folgen.

Nach den Berechnungen des BfS sei aber „nicht zu erwarten, dass weiter gehende Maßnahmen wie Evakuierung, Aufenthalt in Gebäuden oder Einnahme von Jodtabletten zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland notwendig werden würden“. In der Ukraine wären die Folgen aber möglicherweise erheblich. Das hänge von der Art eines möglichen Unfalls, der Wetterlage und der Menge der freigesetzten radioaktiven Stoffe ab.

Experten: Kühlung am AKW Saporischschja weiter unerlässlich

Frühere Studien des BfS hatten gezeigt, dass sich über ein Jahr hinweg nur in etwa 17 Prozent der Fälle die Luftmassen aus der Ukraine nach Deutschland bewegten. Zudem würde es aufgrund der großen Entfernung zwischen der Ukraine und Deutschland bei den meisten Wetterlagen mindestens ein bis zwei Tage dauern, bis radioaktiv kontaminierte Luft nach Deutschland gelangt. Die GRS weist darauf hin, dass selbst im Fall einer Kernschmelze die Menge der frei werdenden Radioaktivität „in jedem Fall deutlich unter den aus Fukushima oder gar Tschernobyl“ bekannten Mengen läge.

Kyrylo Budanow

Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes behauptete, Russland habe das Kühlbecken des AKWs vermint.

(Foto: via REUTERS)

Sollte tatsächlich der Kühlteich gesprengt werden, wäre der geschlossene Kühlkreislauf noch nicht direkt betroffen, da dort nur verdunstetes Wasser ersetzt werden müsste. Dafür könnten auch Brunnen auf dem AKW-Gelände, eine nahe Wassergrube oder das Wassersystem der angrenzenden Stadt Energodar genutzt werden. 

Aktuell seien fünf der abgeschalteten Reaktoren im sogenannten „cold shutdown“, dort herrschen Temperaturen von 40 bis 60 Grad, schätzt die GRS. Die Reaktoren befänden sich in unterkritischem Zustand, die während des Betriebs laufende Kettenreaktion von Kernspaltungen könne sich also nicht mehr selbst aufrechterhalten. Der Grund: Es verschwinden mehr Neutronen aus dem Reaktorkern, als durch Spaltungsprozesse neu entstehen.

Der Block 5 sei im „hot shutdown“, ebenfalls unterkritisch, aber noch bei hoher Temperatur. Im Normalbetrieb liege die Temperatur des Kühlmittels bei circa 322 Grad Celsius, aktuell dürften es rund 250 Grad sein. „Dementsprechend wird auch weniger Wasser benötigt, um die Reaktoren zu kühlen“, sagte ein Sprecher der GRS. Dennoch sei die Kühlung weiter unerlässlich. 

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