Berlin Beim Tag der Industrie gab sich Bundeskanzler Olaf Scholz optimistisch: Für den Bau neuer Gaskraftwerke fehle „nur noch die Genehmigung der EU-Kommission“, sagte er vor rund einer Woche. Das klang, als ginge es um eine Formalie.
Doch nach Informationen des Handelsblatts aus Verhandlungskreisen stellt sich die Lage anders dar: Die EU-Kommission hat große Bedenken mit Blick auf die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums, Anreize für den Bau von Gaskraftwerken mit einer installierten Leistung von 25 Gigawatt (GW) zu schaffen. Das belegen interne Vermerke, die dem Handelsblatt vorliegen. Die EU-Kommission scheint keineswegs gewillt zu sein, den Vorstellungen der Deutschen eine beihilferechtliche Genehmigung zu erteilen.
Die neuen Gaskraftwerke sind essenziell für das Gelingen der Energiewende – und für den Ausstieg aus der Kohlekraft bis zum Jahr 2030. Die neuen Anlagen müssen in Betrieb gegangen sein, wenn das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gegangen ist. Sie sind in Zukunft die Absicherung für die Phasen, in denen die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.
Sie übernehmen damit die Rolle der Kohlekraftwerke: Sie stehen als sogenannte „gesicherte Leistung“ parat. Zunächst sollen sie mit Erdgas betrieben werden, später mit Wasserstoff.
25 GW sind keine Kleinigkeit. Wenn man davon ausgeht, dass ein einzelnes Gaskraftwerk eine Leistung von 500 Megawatt (MW) hat, wären 50 neue Kraftwerke erforderlich, um das Ziel von 25 GW zu erreichen. Das erscheint sehr ehrgeizig. Und wenn man auch noch davon ausgeht, dass für Planung, Genehmigung und Bau eines Kraftwerks sechs bis sieben Jahre einkalkuliert werden müssen, muss spätestens 2024 die große Neubauoffensive beginnen.
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat angekündigt, noch Ende des Jahres solle es die ersten Auktionen geben. Wer ein Kraftwerk baut, soll dafür Geld bekommen.
Eine Prämie ist erforderlich, weil die neuen Gaskraftwerke wohl immer seltener gebraucht werden. Potenzielle Betreiber haben die Befürchtung, dass sie ihre Investitionen nicht zurückverdienen können, wenn ihr Kraftwerk nur wenige Stunden im Jahr läuft. Darum soll schon das Bereithalten der Kraftwerkskapazität honoriert werden.
EU-Kommission pocht auf Technologieoffenheit und grenzüberschreitende Lösung
Die EU-Kommission steht nun auf dem Standpunkt, dass die von Deutschland geplanten Schritte als eine Maßnahme zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu betrachten sind – und daher den europäischen Regeln für Kapazitätsmechanismen entsprechen müssen. Demnach muss die auszuschreibende Menge der gesicherten Leistung exakt ermittelt werden. Es bedarf zudem einer grundlegenden Reform des Strommarktdesigns sowie der Öffnung der Ausschreibung für alle in Betracht kommenden Technologien, und zwar grenzüberschreitend.
Zwischen den Vorstellungen der Kommission und den Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums – dort wird eine schnelle, unkomplizierte Lösung präferiert – tut sich somit eine tiefe Kluft auf. Ein Brancheninsider sagt, das Wirtschaftsministerium komme „nach und nach in der beihilferechtlichen Realität an“.
Gefordert werden klare Bedingungen
Die Branche ist mittlerweile verunsichert. Schon seit Wochen fordert sie Klarheit über die Bedingungen, zu denen sie neue Kraftwerke bauen soll. „Wir brauchen einen Investitionsrahmen, und zwar schnell“, hatte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), kürzlich gesagt.
Es sei klar, dass sich ein Kraftwerk, das als Sicherheitspuffer für Zeiten mit wenig Solar- und Windstrom diene, wegen geringer Vollnutzungsstunden nicht über die Vergütung der einzelnen produzierten Kilowattstunde refinanzieren könne. Es müsse vielmehr das Vorhalten von Kraftwerksleistung finanziert werden.
Brancheninsider berichten, in dieser Frage gebe es Unstimmigkeiten zwischen Brüssel und Berlin. Die Kommission poche darauf, den produzierten Strom zu honorieren, das Ministerium will das Bereithalten von Kraftwerkskapazität fördern. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium heißt es offiziell, man befinde sich in intensiven Gesprächen mit der Kommission. Diese liefen „konstruktiv auf allen Ebenen“.
Mehr: Gesicherte Kraftwerksleistung verzweifelt gesucht.
Erstpublikation: 26.06.2023, 13:59 Uhr.
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