Berlin, Brüssel Die Ukraine warnt vor einem Anschlag auf Europas größtes Atomkraftwerk (AKW) in Saporischschja. „Leider ist die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für die bestehende russische Bedrohung im Kernkraftwerk Saporischschja immer noch unzureichend“, sagte Präsident Wolodimir Selenski bei seiner Ansprache Anfang dieser Woche.
Das Kraftwerk steht unter russischer Kontrolle. Die Besatzer hätten den Kühlteich des AKW vermint und mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge zu vier der sechs Kraftwerksblöcke gefahren, meldete der ukrainische Militärgeheimdienst laut den Analysten des „Institute for the Study of War“ (ISW). Eine Sabotage des Kraftwerks könnte demnach zwar der russischen Seite im Krieg mehr schaden als der ukrainischen. Dennoch hält das ISW einen Anschlag nicht für ausgeschlossen.
Selenski sagte, die westlichen Partner der Ukraine hätten alle verfügbaren Geheimdienstinformationen über die russischen Pläne für das AKW erhalten: „Wir müssen ganz konkrete Maßnahmen ergreifen, und zwar alle gemeinsam in der Welt, um jegliche Strahlungsvorfälle zu verhindern.“
Überprüfen lassen sich die Vorwürfe aus der Ukraine nicht. Neben den Minen und Sprengladungen gibt es eine weitere Gefahr: Das Kühlbecken könnte leerlaufen. Es wurde bislang aus dem angrenzenden Stausee gespeist, der nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms aber leergelaufen ist.
Saporischschja: Reaktoren des Atomkraftwerks bereits heruntergefahren
Seit dem 11. September 2022 sind zwar alle sechs Reaktoren des Kraftwerks Saporischschja heruntergefahren. Damit sinke das Risiko eines radiologischen Unfalls stetig, sagte eine Sprecherin des Bundesamts für Strahlungsschutz (BfS) kürzlich dem Handelsblatt, weil die Nachzerfallswärme der Brennelemente zurückgehe.
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Auch seien kurzlebigere radioaktive Stoffe wie beispielsweise das Isotop Iod-131 inzwischen zerfallen. Für die Kühlung und die Sicherheitssysteme ist die Anlage jedoch weiterhin auf eine funktionierende Stromversorgung angewiesen.
Ein Austritt von Radioaktivität könnte die Gegend rund um das Kraftwerk unbewohnbar machen. Die Stadt Nikopol mit einst rund 100.000 Einwohnern liegt auf der andren Seite des Flusses Dnjepr, Saporischschja in rund 50 Kilometer Entfernung.
Radioaktivität aus Saporischschja könnte bis nach Deutschland gelangen
Radioaktivität könnte im Extremfall bis nach Deutschland getragen werden und dazu führen, dass hierzulande geerntete Lebensmittel die festgelegten Werte überschreiten, teilte das BfS mit. Kontrollen von Futter- und Nahrungsmitteln und etwaige Verkaufssperren seien mögliche Folgen.
Nach den Berechnungen des BfS sei aber „nicht zu erwarten, dass weitergehende Maßnahmen wie Evakuierung, Aufenthalt in Gebäuden oder Einnahme von Jodtabletten zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland notwendig werden würden“.
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In der Ukraine wären die Folgen aber möglicherweise erheblich. Das hänge von der Art eines möglichen Unfalls, der Wetterlage und der Menge der freigesetzten radioaktiven Stoffe ab.
Saporischschja: Weitere Möglichkeiten der AKW-Kühlung
Frühere Studien des BfS hatten gezeigt, dass sich über ein Jahr hinweg nur in etwa 17 Prozent der Fälle die Luftmassen aus der Ukraine nach Deutschland bewegten. Zudem würde es aufgrund der großen Entfernung zwischen der Ukraine und Deutschland bei den meisten Wetterlagen mindestens ein bis zwei Tage dauern, bis radioaktiv kontaminierte Luft nach Deutschland gelangt.
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Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) weist darauf hin, dass selbst im Fall einer Kernschmelze die Menge der frei werdenden Radioaktivität „in jedem Fall deutlich unter den aus Fukushima oder gar Tschernobyl“ bekannten Mengen läge.
Sollte tatsächlich der Kühlteich gesprengt werden, wäre der geschlossene Kühlkreislauf noch nicht direkt betroffen, da dort nur verdunstetes Wasser ersetzt werden müsste. Dafür könnten auch Brunnen auf dem AKW-Gelände, eine nahe Wassergrube oder das Wassersystem der angrenzenden Stadt Energodar genutzt werden.
Dadurch, dass die Reaktoren nun schon eine Weile abgeschaltet sind, verringert sich die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Es herrschten Temperaturen von 40 bis 60 Grad, schätzt die GRS. Die Kettenreaktion von Kernspaltungen in den Reaktoren könne sich nicht mehr selbst aufrechterhalten. Auch das Kühlmittel ist nicht mehr über 300 Grad heiß, wie es im Normalbetrieb der Fall ist. „Dementsprechend wird auch weniger Wasser benötigt, um die Reaktoren zu kühlen“, sagte ein Sprecher der GRS.
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