Berlin Der Verdacht hält sich bis heute hartnäckig: Kliniken hätten während der Coronapandemie im großen Stil die Zahl der belegten Intensivbetten manipuliert, um sich Coronahilfen der Bundesregierung zu erschleichen. Forscher des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim sind diesem Verdacht nun in einer umfangreichen, noch unveröffentlichten Studie nachgegangen. Sie liegt dem Handelsblatt vor.
Auf 39 Seiten befassen sich die Autoren Simon Reif und Sabrina Schubert mit möglichen Hinweisen auf einen Betrug – und kommen zu einem klaren Ergebnis. „Es gibt keine Belege dafür, dass Kliniken systematisch die Zahl der belegten Intensivbetten manipuliert haben, um an Hilfszahlungen zu kommen“, sagt Schubert dem Handelsblatt. „Der damals geäußerte Verdacht lässt sich in den Daten also nicht bestätigen.“
So hatte der Bundesrechnungshof im Sommer 2021 in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags unter anderem mögliche Fehlanreize durch Coronazahlungen an Krankenhäuser kritisiert. Kliniken erhielten unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Hilfen, die der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn(CDU) aufgesetzt hatte.
Dazu zählte, dass sie in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt liegen, in der 25 Prozent oder weniger der Intensivbetten frei sind. Zudem musste die Sieben-Tage-Inzidenz über dem Wert von 70 liegen – später wurde dieser Wert auf 50 angepasst. Insgesamt flossen bis März 2023 gemeinsam mit weiteren Coronahilfsmaßnahmen bundesweit mehr als 22 Milliarden Euro an die Kliniken. Sie waren Teil einer ganzen Reihe von unbürokratischen, schnellen Unterstützungsmaßnahmen in der Pandemie.
Denn viele Krankenhäuser gerieten in dieser Zeit an ihre finanziellen Grenzen und liefen Gefahr pleitezugehen. Zum einen sank die Zahl der Krankheitsfälle, da viele Menschen aus Sorge vor einer Ansteckung mit Corona ihre Behandlungen verschoben oder gar nicht erst in Anspruch nahmen. Zum anderen sollten Kliniken auch Kapazitäten für die Behandlung von Covidpatienten freihalten.
Keine strategischen Meldungen
Die ZEW-Forscher untersuchten, wie die Krankenhäuser auf Hilfszahlungen der Bundesregierung während der zweiten und dritten Coronawelle von November 2020 bis April 2021 reagierten. Dazu nutzten sie öffentlich verfügbare Daten unter anderem aus dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie Informationen aus der Krankenhausstatistik der statistischen Ämter von Bund und Ländern.
Um an Hilfszahlungen zu kommen, hätten die Kliniken die Zahl der freien Intensivbetten vor allem dann anpassen müssen, wenn die Coronainzidenz über den Grenzwerten lag, argumentiert Schubert. „Es lässt sich allerdings keine signifikante Änderung in der Anzahl der gemeldeten freien Betten feststellen.“
Die Ergebnisse würden nahelegen, dass die Verknappung der Intensivkapazitäten während der zweiten und dritten Coronawelle eine direkte Folge der Erkrankungslast – und eben keine strategischen Meldungen waren. Nicht ausschließen können die Autoren allerdings, dass es zumindest in Einzelfällen dazu kam. Grund dafür ist die beschränkte Datenlage.
Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft DKG, Gerald Gaß, sieht sich von dem Ergebnis bestätigt. „Diese Untersuchung belegt klar und deutlich: Krankenhäuser haben während der Coronapandemie alle ihre Möglichkeiten zum Schutz der Bevölkerung eingesetzt“, sagte er dem Handelsblatt. „Der immer wiederholte Vorwurf der Manipulation und Bereicherung bei den vom Bund ausgezahlten Coronahilfen hat sich auch bei Analyse nicht bestätigt.“
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Der Bundesrechnungshof zumindest blieb in seinem Bericht konkrete Belege für den Verdacht schuldig. Die Behörde zitiert darin unter anderem einen Brief des Robert Koch-Instituts (RKI) an das Bundesgesundheitsministerium. Darin habe das RKI in Telefonaten und E-Mails auf die Betrugsgefahr hingewiesen.
RKI haben auf „E-Mails und Telefonate“ verwiesen
In diesem Kontext zitiert der Bundesrechnungshof einen Brief des RKI an das Bundesgesundheitsministerium, in dem von einer diesbezüglichen „Vermutung“ die Rede gewesen sei. Das RKI habe auf „zahlreiche E-Mails und Telefonate“ verwiesen, in denen diese Gefahr mitgeteilt worden sei. Es gebe die „Vermutung, dass Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren“, hieß es darin. Außerdem empfahl das RKI, die Hilfen nicht mehr von den gemeldeten Daten abhängig zu machen, da sie nicht aussagekräftig genug seien.
Karl Lauterbach, damals noch nicht Gesundheitsminister, sprach von einer „Einladung zum Betrug“. Der SPD-Politiker vermutete, dass Kliniken Patienten auf die Intensivstation verlegt hätten, um Betten zu füllen und so Hilfszahlungen zu erhalten. Dies sei sehr einfach und lasse sich nur schwer nachweisen. Die Grünen wiederum sprachen von einem planlosen Umgang mit Steuergeldern.
Laut ZEW-Forscherin Schubert zeigt die Studie hingegen, dass in Notsituationen wie in der Pandemie „unbürokratische Maßnahmen oft eine gute Wahl sind“. Natürlich blieben dann Anreize, die Hilfen auszunutzen. „Aber zumindest die Kliniken haben davon offenbar keinen Gebrauch gemacht, was ein gutes Zeichen für künftige Hilfen in anderen Bereichen ist.“
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