Berlin Die Krise im deutschen Wohnungsbau verschärft sich weiter. Das Münchener Ifo-Institut sagt einen drastischen Rückgang beim Neubau voraus: In diesem Jahr dürften lediglich rund 245.000 und 2024 sogar nur noch 210.000 Wohnungen fertiggestellt werden. Das wäre nur etwa halb so viel wie von der Bundesregierung als Ziel ausgegeben. Mit einem Minus von knapp 32 Prozent fielen zudem die Baugenehmigungen in Deutschland zuletzt so stark wie seit 13 Jahren nicht mehr.
Grund sind derzeit vor allem die gestiegenen Zins- und Materialkosten. Doch wie sind die Perspektiven? Besteht die Chance, dass Künstliche Intelligenz (KI) den Neubau in Deutschland in absehbarer Zeit beschleunigt? Und welche KI-Anwendungen gibt es bereits? Hier der Überblick:
Vor allem angesichts des Fachkräftemangels will die Bauindustrie ihre Prozesse optimieren, um so die Produktivität zu steigern. „Die Nutzung von KI-Anwendungen bietet hierfür großes Potenzial für unsere Mitgliedsunternehmen“, teilte der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) auf Anfrage mit. Schon jetzt gibt es erste Ansätze. Ein Beispiel: KI-gestützte Erkennung von „Haufwerken“, also Schüttgut wie etwa Sand oder Kies. Mit dem Projekt Eurovia lassen sich Aufmaße und Masseberechnungen erstellen. So können Inventurmaßnahmen bei Asphaltmischwerken und Materialdeponien automatisiert werden.
Konkret wird mithilfe industrieller Drohnen eine Vielzahl an Luftbildern des jeweiligen Standorts aufgenommen. Aus diesen Daten werden verzerrungsfreie Luftbilder und digitale Oberflächenmodelle generiert. Die darin enthaltenen Informationen zu Struktur, Farbe und Geometrie der erfassten Geländeoberfläche werden einem künstlichen neuronalen Netz als Eingangsdaten übergeben.
Nach dem Training ist die KI in der Lage, einzelne Haufwerke zu erkennen und die entsprechenden Bereiche im digitalen Oberflächenmodell zu „markieren“. Im Anschluss daran können die Massen des Schüttguts dann automatisiert erkannt werden.
Auch Optocycle aus Tübingen geht in diese Richtung. Hier laufen KI-basierte Systeme, um Bauschutt und Baumischabfälle optisch zu klassifizieren, zum Beispiel auf der Ladefläche eines Lkw oder auf einem Förderband. Durch die Künstliche Intelligenz sollen dann genaue Aussagen über die stoffliche Zusammensetzung des Materials möglich sein.
HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller hält die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Daten zu Prozessen, Baustoffen oder Baukonstruktion für essenziell. Weitgehend ungeklärt sei jedoch, wie die Datensouveränität der Baubranche angemessen abgesichert werden könne. „Das jedoch ist enorm wichtig. Denn was Tesla für die deutsche Autowirtschaft ist, könnten Google und Amazon für die Baubranche werden, wenn wir das Know-how unserer Unternehmen nicht schützen“, meint Müller.
KI im Handwerk: Steuerung komplexer Bauprojekte
Im Handwerk wird KI bereits in einer Reihe von Handwerksbetrieben eingesetzt. Insgesamt geschieht dies laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) allerdings noch nicht im großen Stil. ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke sagt: „700.000 Wohnungen fehlen derzeit deutschlandweit. Demgegenüber steht ein enormer Bedarf an zusätzlichen Fachkräften aus dem Handwerk.“ Sie seien es, die diese Wohnungen perspektivisch bauen und bei allen transformatorischen Aufgaben wie etwa der Energiewende dringend gebraucht würden.
„Künstliche Intelligenz kann Handwerkerinnen und Handwerker bei ihrer täglichen Arbeit entlasten und dazu beitragen, dass dringend benötigte Kapazitäten frei werden“, meint Schwannecke. Die praktische handwerkliche Expertise ersetzen könne KI allerdings nicht. Laut ZDH steuern auf manchen Baustellen KI-Tools komplexe Bauprojekte. Sie berechnen in Echtzeit Ausfallrisiken, simulieren Baukonzepte und protokollieren den Baufortschritt. KI-Sensoren erkennen Schäden im Mauerwerk und spüren bauliche Fehler auf.
Konkret verwiesen wird zum Beispiel auf Software wie „Building Radar“. Hier werden Onlineplattformen KI-gestützt nach Ankündigungen, Ausschreibungen und Informationen für Bauprojekte durchsucht. Neue Aufträge sind in Echtzeit zu sehen. Analysetools wie das von „Handwai“ durchsucht Leistungsverzeichnisse von Ausschreibungen und Aufträgen auf Unstimmigkeiten und Fehler und weist auf diese hin. So können bereits vor Angebotserstellung Risikobewertungen vorgenommen werden.
KI in Immobilien- und Wohnungsunternehmen: Großes Potenzial für Neubau in Deutschland
Erste Anwendungen ja, regelmäßige KI-Nutzung noch nicht – so lautet der Tenor. Beim Zentralen Immobilien-Ausschuss (ZIA) heißt es, KI berge großes Potenzial für den Neubau in Deutschland: „In einer Zeit, in der Wohnraummangel herrscht, kann der Einsatz von KI-Technologien dazu beitragen, den Bauprozess zu beschleunigen, Effizienzsteigerungen zu erzielen und Kosten zu senken.“
Der Immobilien-Spitzenverband hält einen KI-Einsatz für sinnvoll, etwa um Neubauflächen zu erschließen, die Stadtplanung zu unterstützen sowie das Baustellenmanagement und Qualitätskontrollen durchzuführen. In der Kombination mit anderen Technologien wie Robotics ergäben sich „gänzlich neue Anwendungsfälle“ im Bauwesen.
Auch in der Produktion von Materialien, Baustoffen, Elementen könne KI eingesetzt werden. Als Beispiel nennt ZIA das PropTech Alcemy, das eine Technologie zur Qualitätssteuerung im Zement- und Transportbetonwerk entwickelt hat.
Das Unternehmen sammelt Daten, die während der Zement- und Betonproduktion generiert werden, führt sie zusammen und analysiert sie. Dazu wird die hauseigene Software in Laborinformationssysteme integriert und in den eigenen Sensoren in Betonfahrmischern angebracht.
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Auf diese Weise ließen sich Vorhersagen über die Druckfestigkeit oder das Ausbreitmaß treffen. Das Handhaben selbst komplexester Mischungen würde deutlich vereinfacht. Das erhöhe die Gleichmäßigkeit von Zement und Beton, erleichtere die Arbeit von Labor sowie Leitstand und senke Produktionskosten.
Die stellvertretende ZIA-Hauptgeschäftsführerin Aygül Özkan kritisiert indes: „Der drängende Wunsch nach einem Schub durch mehr KI wird in der Praxis in Deutschland noch schmerzhaft begrenzt durch schleppende Bürokratie in den Genehmigungsverfahren und unzureichenden Datenbestand.“
Das sehen der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) und der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) ähnlich: KI-Modelle könnten die Mitarbeitenden der Bauämter bei Routineprüfprozessen spürbar entlasten und zu schnelleren Baugenehmigungen führen. „Aktuell steckt die Digitalisierung der Bauämter jedoch noch in den Kinderschuhen, und der Einsatz echter KI ist in weiter Ferne“, sagt Fabian Viehrig, GdW-Leiter Bauen und Technik.
Ein Beispiel für den Einsatz von KI erzählt Daniel Hannemann, CEO der Strenger-Gruppe: Gemeinsam mit der Metabuild GmbH setzt er in ausgewählten Pilotprojekten mit über 200 Einheiten einen KI-gestützten Prozess zur „Variantenuntersuchung“ ein. Damit ließen sich detaillierte Analysen zu verschiedenen Faktoren wie Energieeffizienz, CO2-Emissionen, Baukosten, Betriebskosten und Komfortparametern wie beispielsweise Tageslichtqualität erstellen.
„Ohne den Einsatz von KI könnte hierbei nur ein Bruchteil der untersuchten Varianten betrachtet werden“, erklärt Hannemann. Die Ergebnisse würden außerdem deutlich schneller aus einer viel größeren Anzahl von Varianten erzielt. In der Branche wird außerdem auf Modoplus verwiesen: Die Suchmaschine für Potenzialflächen soll durch Künstliche Intelligenz den idealen Standort für Bauprojekte aufzeigen.
KI für Architekten: „Kern der Disziplin“ laut BDA unberührt
Die Baukunst hat die neue Technologie bereits im Blick, aber: „Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz sind die Architekten nicht unbedingt die Speerspitze der Bewegung“, sagt Jan Schulz, freier Architekt und Präsidiumsmitglied im Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). Zwar gebe es erste Programme. „Diese erzeugen aber letztlich nur Bilder und keine Räume“, erklärt Schulz.
Der Architekt spielt auf Text-zu-Bild-Generatoren an, wie etwa Stable Diffusion oder Dall E. Hier wird eine Künstliche Intelligenz darauf trainiert, Bilder aus Textbeschreibungen zu erstellen. Dabei helfen Prompts, also die einzugebenden „Aufforderungen“.
„Die Eingabe könnte lauten: Zeig mir eine Almhütte im Stil der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron“, berichtet BDA- Präsidiumsmitglied Schulz. Bei den beiden handelt es sich um die Erschaffer der Elbphilharmonie. „Schon wird ein Bild ausgeworfen“, sagt Schulz. Für die Phase der Skizzen könne das hilfreich sein. Konkrete Bauwerke und Gebäude entstünden so aber nicht.
Schulz meint: „Architektur hat mit Menschen zu tun, die mitbestimmen möchten.“ Beispiel Schallschutz: Hier müssten den Bauherren Alternativen aufgezeigt und Kompromisse mit Blick auf die Kosten ausgehandelt werden. „Die KI würde nur die DIN-Normen sehen, könnte aber keine Befindlichkeiten abwägen“, meint der Kieler Architekt.
Sein Fazit: Zeitpläne erstellen lassen, Grundstücksausnutzungen simulieren, Variantenprüfungen durchführen, Gebrauchstexte erstellen – das alles werde die KI in der Architektur absehbar leisten können. „Der Kern der Disziplin bleibt aber unberührt.“
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