Berlin Die Gasversorgungssituation dürfte auch in den kommenden Jahren angespannt bleiben. Wegen der starken globalen Nachfrage nach verflüssigtem Erdgas (liquefied natural gas, kurz LNG) empfiehlt es sich daher, den Zugriff auf LNG durch Lieferverträge mit langer Laufzeit abzusichern.
Zu diesem Ergebnis kommt eine noch unveröffentlichte Prognos-Studie, die die Wissenschaftsplattform Klimaschutz (WPKS) in Auftrag gegeben hat. Die WPKS ist ein von der Bundesregierung im Juni 2019 eingerichtetes Expertengremium. Sie berät die Bundesregierung in Klimaschutzfragen.
Die Studie befasst sich mit verschiedenen Szenarien zur Entwicklung der Gasnachfrage und widmet sich insbesondere der Frage, ob die Kapazitäten der in Deutschland geplanten LNG-Terminals ausreichen, um den Gasbedarf zu decken. Die Autoren schreiben, dass „in allen Szenarien kurzfristig in den Jahren 2023 und 2024 ein starker Wettbewerb um die verfügbaren LNG-Mengen droht“. Ab 2025 kann demnach die weltweite LNG-Nachfrage gedeckt werden.
Allerdings könnte es der Studie zufolge unter ungünstigen Umständen in Deutschland auch 2025 zu einer Situation kommen, in der die vorhandene LNG-Importinfrastruktur noch nicht ausreicht.
Das wäre dann der Fall, wenn eine hohe Inlandsnachfrage auf einen maximalen Gastransit ins Ausland treffen würde, zugleich die größte Importpipeline aus Norwegen ausfiele und Russland den verbliebenen Gastransit durch die Ukraine nach Osteuropa ganz einstellte.
Es zeige sich, dass in den nächsten Jahren der derzeit geplante Ausbau schwimmender LNG-Terminals, im Fachjargon Floating Storage and Regasification Units (FSRU) genannt, zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit gerechtfertigt sein könnte, schreiben die Autoren.
Das Gutachten liefert somit dem Bundeswirtschaftsministerium neue Argumente. In der akuten Gasversorgungskrise infolge des Ukrainekriegs hatte die Bundesregierung 2022 beschlossen, kurzfristig fünf FSRU zu chartern. Zwei dieser fünf FSRU („Bundes-FSRU“) sind bereits in Betrieb. Ein drittes, das rein privatwirtschaftlich beschafft wurde, arbeitet ebenfalls. Es ist bislang das einzige FSRU in der Ostsee. Die anderen Projekte befinden sich in der Nordsee.
LNG „so flexibel wie möglich“ einkaufen
Verschiedene Fachleute waren zu dem Schluss gekommen, die geplanten FSRU-Kapazitäten seien überdimensioniert und zementierten die Nutzung des fossilen Energieträgers Gas.
Das Ministerium widerspricht dieser Einschätzung. Die bislang in Betrieb genommenen beziehungsweise im Aufbau befindlichen FSRU-Kapazitäten in der Nordsee könnten selbst bei theoretischer Vollauslastung nur rund die Hälfte der ausgefallenen russischen Gaslieferungen ersetzen, heißt es.
Auch über Pipelineimporte aus Nord- und Westeuropa, insbesondere aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden könne diese Lücke nicht geschlossen werden. „Zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit ist daher der Ausbau zusätzlicher Gasimportkapazitäten erforderlich. Auch brauchen wir Sicherheitspuffer als Vorsorge bei Störungen“, heißt es im Ministerium.
Die Prognos-Gutachter empfehlen, langfristige Lieferverträge anzustreben. „Da sich bereits jetzt abzeichnet, dass es insbesondere in den nächsten Jahren einen erheblichen Wettbewerb um die weltweiten LNG-Mengen geben wird, sind die Nachfrager im Vorteil, die LNG langfristig eingekauft haben“, heißt es in dem Gutachten.
>> Lesen Sie auch: Brüssel lehnt Pläne Berlins für neue Gaskraftwerke ab
Außerdem raten die Gutachter europäischen Käufern, LNG-Verträge „so flexibel wie möglich hinsichtlich Lieferort und Laufzeit zu gestalten“. Es sollte „die Option bestehen, Mengen in andere Weltregionen zu verkaufen, wenn die LNG-Nachfrage sinkt“. Klimaschützer warnen allerdings vor langen Vertragslaufzeiten, weil sie nach ihrer Überzeugung im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen stehen.
Erst in der vergangenen Woche hatte der verstaatlichte deutsche Gasimporteur Sefe bekannt gegeben, mit dem US-amerikanischen LNG-Produzenten Venture Global LNG einen Vertrag über die Lieferung von jährlich drei Milliarden Kubikmeter LNG geschlossen zu haben. Der Vertrag hat eine Laufzeit von 20 Jahren.
Bei Sefe weist man darauf hin, dass man den Bestimmungsort der Ladung selbst bestimmt. Das LNG ließe sich also problemlos in andere Weltregionen verkaufen, wenn hierzulande der Bedarf sinkt.
Gutachter mahnen zur Vorsicht
Mit Blick auf Pläne, die FSRU innerhalb der nächsten Jahre durch fest installierte LNG-Terminals zu ersetzen, mahnen die Gutachter zur Vorsicht. „Vor dem Hintergrund möglicher Überkapazitäten in der langen Frist halten wir eine zurückhaltende Planung insbesondere bei den festen LNG-Importterminals für geboten“, schreiben sie. Tatsächlich dürfte die LNG-Nachfrage im kommenden Jahrzehnt deutlich zurückgehen, da die Klimaschutzziele sonst nicht zu erreichen wären. Allerdings verweisen die Entwickler stationärer LNG-Terminals darauf, ihre Anlagen seien auch für die Verarbeitung von klimaneutralen Gasen geeignet.
Diesen Aspekt beleuchtet ein weiteres, ebenfalls von der WPKS bei Prognos in Auftrag gegebenes Gutachten: Demnach besteht grundsätzlich die Gefahr, dass stationäre LNG-Terminals „Lock-in-Effekte“ mit sich bringen. Darunter versteht man Situationen, in denen Anwender einer bestimmten Technik aufgrund hoher Wechsel-, Such- oder Investitionskosten nicht von einer Technologie auf eine andere, vielversprechendere Technologie wechseln. Dieses Risiko müsse ausgeschlossen werden, raten die Autoren. Sie empfehlen: „Der Gesetzgeber sollte auf die Nachnutzung hinwirken. Die Nachnutzung der Terminals sollte bereits bei der Planung der Errichtung der stationären Anlagen mitgedacht und vorgeschrieben werden.“
Im LNG-Beschleunigungsgesetz wird dieser Überlegung Rechnung getragen: Landgebundene Terminals dürfen demnach nur für eine begrenzte Zeit mit Erdgas betrieben werden, um eine nachhaltige, klimaneutrale Nachnutzung von Anfang an sicherzustellen. So soll über die Terminals später grüner Wasserstoff und seine Folgeprodukte – etwa Ammoniak – importiert werden.
Mehr: Deutschlands wichtigster Gaslieferant dämpft Optimismus
<< Den vollständigen Artikel: LNG-Ausbau: Gutachter warnen: Gas könnte jahrelang knapp bleiben >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.