Brüssel Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, fordert vom EU-Gipfel ein starkes Signal an die Ukraine. Die europäischen Regierungschefs müssten ihr Versprechen halten und die Beitrittsverhandlungen zum Jahresende ermöglichen, sagte sie im Interview mit dem Handelsblatt und anderen europäischen Medien.
Der Grund für den hohen Kampfgeist der Ukrainer sei nicht nur die Landesverteidigung, sondern auch das Zugehörigkeitsgefühl zur EU, sagte Metsola. „Wenn die Kommission im Oktober eine positive Empfehlung ausspricht, dann sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zum Jahresende beginnen. Das politische Signal wäre gewaltig. Es würde zeigen, dass die EU zu dem steht, was sie sagt.“
Der russische Krieg gegen die Ukraine ist ein zentrales Thema, wenn sich die 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zum Gipfel in Brüssel treffen. Im Entwurf der Abschlusserklärung, der dem Handelsblatt vorliegt, bekräftigen die Regierungen, dass sie die Ukraine militärisch und finanziell so lange unterstützen werden wie nötig.
Sie erkennen auch die Fortschritte an, die das Land im Beitrittsprozess gemacht habe, und „ermutigen die Ukraine, den Pfad der Reformen fortzuführen“, bis alle Bedingungen erfüllt seien. Metsola sagte, es solle keine Sonderbehandlung für die Ukraine geben. Das Land müsse die Bedingungen etwa zur Korruptionsbekämpfung wie jeder andere Beitrittskandidat erfüllen.
Auch forderte sie eine institutionelle Reform der EU, bevor die Ukraine und andere Kandidatenländer beitreten. Eine Erhöhung von 27 auf 32 Mitglieder erfordere eine „komplette Reorganisation“, sagte sie. Das reiche von der Repräsentation in den EU-Institutionen bis hin zur Verteilung der Landwirtschaftssubventionen. Das sei die Position des Parlaments, aber nicht unbedingt der Mitgliedstaaten.
Metsola: Russland nicht so stark wie angenommen
Zur Sprache kommen dürfte auf dem Gipfel auch, was der jüngste Aufstandsversuch der Wagner-Söldner gegen Russlands Präsident Wladimir Putin für den weiteren Kriegsverlauf bedeutet. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatte Anfang der Woche gesagt, es sei nur ein Akt in dem russischen Schauspiel. Sie geht offenbar davon aus, dass der Machtkampf in Russland noch nicht beendet ist.
Parlamentspräsidentin Metsola sagte, der Aufstand am vergangenen Wochenende habe gezeigt, dass Russland nicht so stark sei, wie man zuvor angenommen habe. Die neuerlichen Raketenangriffe auf die Ukraine zeigten, dass die Gegenoffensive so groß wie möglich ausfallen müsse. „Die EU hat eine Rolle zu spielen, und diese besteht in langfristiger Unterstützung der Ukraine.“ Sie verwies auf das gerade beschlossene elfte Sanktionspaket, mit dem die Umgehung der Strafmaßnahmen eingedämmt werden soll, und die geplante gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern in der EU.
Ian Bond vom Centre for European Reform sagte, der Westen müsse darüber nachdenken, was er noch mehr tun könne, um den Sieg der Ukraine zu beschleunigen. Der Aufstand gegen Putin habe gezeigt, dass der Krieg für Russland nicht gut laufe. Doch machten auch die Ukrainer keine großen Fortschritte dabei, die russischen Truppen aus dem Land zu vertreiben.
Die EU-Regierungschefs sollten darüber nachdenken, wie die Ukraine „den Frieden gewinnen“ könne, sagte er. „Das bedeutet, die Integration in die EU und hoffentlich auch die Nato zu ermutigen und praktisch zu unterstützen.“
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Ein Streitthema unter den Regierungen ist der Umgang mit den eingefrorenen russischen Zentralbankreserven. Rund 200 Milliarden Euro an russischen Staatsgeldern lagern auf Konten in der EU und wachsen dank Zins- und Anlagegewinnen immer weiter an. Polen und die baltischen Staaten drängen darauf, dieses Geld für den Wiederaufbau in der Ukraine einzusetzen. Die Kommission will noch vor der Sommerpause einen Gesetzesentwurf vorlegen, wie man zumindest die Zins- und Anlagegewinne nutzen könnte.
Doch gibt es erheblichen Widerstand mehrerer Staaten, darunter Deutschlands, die einen Rechtsbruch und einen Reputationsschaden für die Euro-Zone fürchten. Auch pochen die Kritiker auf ein gemeinsames internationales Vorgehen mit anderen westlichen Ländern.
Im Entwurf der Gipfelerklärung heißt es nun, man lade die Kommission ein, ihre Arbeit an einem Vorschlag fortzuführen, „im Einklang mit dem europäischen und internationalen Recht und in Absprache mit Partnern“.
Ein weiteres zentrales Gipfelthema ist die Migration.
Von der Leyen fordert Geld für Migrationspolitik
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte in einem Brief an die Regierungschefs, die von ihr geforderten 15 Milliarden Euro zusätzlich für Migrationspolitik zu bewilligen – unter anderem für die geplanten Partnerschaftsabkommen mit Herkunfts- und Transitländern.
Der jüngst von den EU-Innenministern gefundene Asylkompromiss sei eine „erreichbare und faire Lösung“, schreibt von der Leyen. Der Pakt sieht unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen und schnellere Abschiebungen vor. Bis er in Kraft trete, müsse man gemeinsam mit den Mitgliedstaaten verstärkt gegen Menschenschmuggler vorgehen und mehr legale Wege der Einwanderung eröffnen, so die Kommissionschefin. Auch wolle man weitere Partnerschaften mit Drittstaaten wie Tunesien schließen.
Die EU-Innenminister hatten den Asylkompromiss Anfang Juni mit qualifizierter Mehrheit beschlossen – sehr zum Ärger der Gegner Ungarn und Polen. Die Regierungschefs der beiden Länder haben angekündigt, ihren Protest auf dem Gipfel noch einmal kundzutun. Doch bleibt die Entscheidung der Innenminister wohl stehen.
Der Fokus richtet sich nun auf das Europaparlament, welches noch zustimmen muss. Die deutschen Grünen haben Widerstand angekündigt. Metsola erwartet jedoch, dass das Paket von einer Mehrheit aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen beschlossen wird.
Mehr: EU-Staaten einigen sich auf Asylkompromiss – Grüne in Aufruhr.
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