Tokio Die Ära der Lohnstagnation ist in Japan vorbei, zumindest für die Mitarbeiter des japanischen Modegiganten Fast Retailing. Der drittgrößte Modekonzern der Welt, bekannt für seine Marke Uniqlo, hat gerade die Gehälter seines heimischen Personals um bis zu 40 Prozent angehoben. Im Schnitt sind es 20 Prozent.
„Wir erhöhen die Gehälter dieses Mal so stark, weil wir talentierte Mitarbeiter gewinnen müssen, um unser zukünftiges Wachstumsziel zu erreichen“, erklärt Miyuki Isozaki, Personalchefin von Fast Retailing, im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Der Gründer des Unternehmens, Tadashi Yanai, strebt an, den weltweiten Umsatz seines Konzerns auf zehn Billionen Yen zu verdreifachen. Dafür benötigt er engagierte Mitarbeiter, die bereit sind, global zu arbeiten. Doch die zu finden, wird in Japan immer schwieriger.
Weil Japan auf Masseneinwanderung verzichtet, geht die Bevölkerung bereits seit 2009 zurück – und dies immer schneller. Sie schrumpft mittlerweile um fast 600.000 Menschen pro Jahr.
Dennoch stagnierten die realen Gehälter in Asiens ältester Industrienation bei durchschnittlich 40.000 Dollar, während sie in anderen Ländern stiegen. Sogar die Südkoreaner verdienen inzwischen mehr. Fast Retailing wird nun zum Vorreiter einer breiten Lohnwende. Damit verbindet sich in Japan Regierung die Hoffnung, dass die Inflation im Gegensatz zu Deutschland nicht zu drastischen und am besten zu keinen Reallohneinbußen führt.
Japans Hoffnung: Weniger Bewohner, mehr Gehalt
In den diesjährigen Tarifverhandlungen stiegen die Gehälter durchschnittlich unerwartet stark um 3,7 Prozent pro Jahr der Betriebszugehörigkeit, einschließlich Zulagen, wie eine Auswertung des Frühjahrskampfs (Shunto) durch den Gewerkschaftsdachverband Rengo zeigt.
>> Lesen Sie hier: Japans Regierung scheitert mit Steuererhöhungen – vorerst
Das war etwa doppelt so viel wie zuvor und entsprach der Inflationsrate. Noch wichtiger war, dass die Unternehmen auch den Grundlohn um 2,2 Prozent anhoben. Experten halten dies für eine Trendwende und halten ein höheres Wachstum der Löhne auf breiter Ebene im Verlauf des Jahrzehnts für möglich. Fast Retailing und andere Konzerne zeigen, wie dynamisch die Entwicklung verlaufen könnte.
Der kontinuierliche Bevölkerungsrückgang in Japan nährt bei den Arbeitnehmern und Ökonomen die Hoffnung, dass dieser Erfolg kein Einzelfall bleiben wird. „Der ernsthafte Arbeitskräftemangel wird den Druck für Lohnerhöhungen steigern“, meint Shinichi Nishioka, Volkswirt am Japan Research Institute.
Regierung und Notenbank drängen auf Gehaltserhöhungen
Nicholas Smith, Stratege bei CLSA in Tokio, sagt: „Jeder Industriezweig in Japan leidet bereits unter Arbeitskräftemangel.“ Die Zunahme des Problems werde Lohnerhöhungen und Unternehmensrestrukturierungen weiter antreiben.
Es gibt gewichtige politische, demografische und unternehmerische Trends, die für eine nachhaltige Lohnwende sprechen. Die Politik und die Zentralbank drängen die Unternehmensführungen großer Konzerne schon seit Langem, nicht nur die Anleger mit höheren Dividenden und Aktienrückkäufen an den hohen Profiten zu beteiligen. Die Bank von Japan ermunterte die Gewerkschaften, weniger zahm zu sein und auf deutlich mehr Geld zu pochen.
„Während die meisten Zentralbanken wollen, dass hohe Inflation sinkt und nicht Lohnerhöhungen antreibt, vertritt die Bank of Japan eine andere Position“, erklärt Stefan Angrick, Volkswirt von Moody’s Analytics in Japan. „Sie hofft genau darauf, dass die Inflation in die Lohn- und Preisgestaltung einfließt.“ Denn Regierung und Notenbank wollen das Land aus fast 30 Jahren Deflation reißen und eine moderate Inflation erzielen, in der Gehaltserhöhungen die Kaufkraft erhalten.
Noch klappt dies statistisch gesehen nicht, da viele wirtschaftlich schwache kleine und mittlere Unternehmen noch zögern. In den vergangenen Monaten sanken auf nationaler Ebene die Reallöhne sogar wieder.
Arbeitskräftemangel ersetzt die Arbeitervertretung
Der wichtigste Faktor für die Hoffnung auf steigende Löhne ist der wachsende demografische Druck. Bisher konnten die Unternehmen das Schrumpfen der erwerbsfähigen Bevölkerung durch die Integration von Frauen und Rentnern mehr als ausgleichen.
>> Lesen Sie hier: Bis zu 110.000 Euro Gehalt: 27 Homeoffice-Jobs mit Top-Verdienst
Doch in diesen beiden Bevölkerungsgruppen gibt es nicht mehr viel Potenzial. Bei der Erwerbstätigkeit von Frauen liegt Japan unter den Industrienationen eher schon am oberen Ende der Skala. Zudem arbeitet bereits jeder vierte Über-65-Jährige.
Vorausschauende Großkonzerne versuchen bereits jetzt, ihre Attraktivität als Arbeitgeber durch langfristige Lohnerhöhungspläne zu steigern. Der weltweit größte Glashersteller AGC beabsichtigt beispielsweise, im Juni die Löhne um 6,4 Prozent zu erhöhen, wobei der Grundlohn um 3,4 Prozent steigen soll.
Konzernchef Yoshinori Hirai verspricht, diese Lohnpolitik bis 2030 fortzusetzen. Seine Begründung lautet: „Damit das Unternehmen wachsen kann, müssen die Löhne ab dem nächsten Jahr weiter steigen.“
Im Vergleich zu anderen Unternehmen kommen viele Leute zu uns, weil sie glauben, dass wir in den kommenden zehn Jahren wachsen können. Tetsu Yamaguchi, Personalchef bei Fast Retailing
Die Unternehmen stehen zunehmend in einem globalen Wettbewerb um Arbeitskräfte. Insbesondere Fast Retailing fördert internationale Karrierepfade, was bedeutet, dass auch viele Ausländer in Japan arbeiten. Das wachsende Lohngefälle zwischen Japan und anderen wichtigen Märkten wurde damit zunehmend zu einem Problem, erklärt Isozaki. Daher entschied sich der Vorstand ganz ohne gewerkschaftlichen Druck, die Gehälter in Japan anzugleichen.
Japan muss Lohnwende mit Reformen finanzieren
Die Gewinne sollen dabei nicht sinken. Die Uniqlo-Muttergesellschaft hat dabei einen Vorteil: Sie bezahlt anders als viele Firmen nicht nach dem Senioritätsprinzip, wonach die Gehälter in Japan üblicherweise bis zum 55. Lebensjahr mit jedem Jahr der Firmenzugehörigkeit steigen. Stattdessen wird die Belegschaft nun nach Leistung und Position bezahlt. Andere Unternehmen streben ähnliche Modelle an.
Außerdem schaffte es das Modeunternehmen, seine Produktivität erheblich zu steigern. Japan liegt bei der Produktivität weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Das liegt vor allem am Dienstleistungssektor.
Fast Retailing setzt schon seit Langem auf fortgeschrittene IT-Lösungen und Automatisierung. Diese Strategie zahlt sich nun in der demografischen Krise aus. „Im Vergleich zu anderen großen Unternehmen kommen viele Leute zu uns, weil sie glauben, dass wir in den kommenden zehn Jahren wachsen können“, sagt Yamaguchi, der ebenfalls Personalchef in dem Konzern ist. Die Qualität der Bewerber habe sich sogar verbessert.
Beispiele wie dieses setzen den Rest der japanischen Unternehmen unter Druck, ihren Reformstau zu beheben. Sonst werden sie im Talentwettbewerb möglicherweise nicht mehr mithalten zu können.
Die wachsende Inflationserwartung in Japan könnte ihnen dabei helfen. Die Notenbank stellt fest, dass sich immer mehr Unternehmen etwas trauen, was sie lange nicht gewagt hatten: Sie geben gestiegene Kosten an ihre Kunden weiter. Ganz im Sinne der Regierung.
Mehr: Das japanische Rentner-Wunder – wie Japan die Demografie austrickst
<< Den vollständigen Artikel: Demografie: Fachkräftemangel und Inflation: Japans Konzerne heben Löhne bis 40 Prozent an >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.