Berlin Wegen möglicher Informationsdefizite zum Aufstand der Söldnertruppe Wagner in Russland gerät nun der deutsche Auslandsgeheimdienst BND unter Druck. Anlass sind Äußerungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der jetzt einräumte, dass der Bundesnachrichtendienst von den Absichten des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin überrascht worden war.
Die Dienste in Deutschland „haben das natürlich nicht vorher gewusst“, sagte Scholz am Mittwoch in der ARD-Sendung „Maischberger“. „Aber sie haben uns dann auch immer weiter berichtet, was zu beobachten ist.“
Der deutsche Auslandsnachrichtendienst teilte seine Erkenntnisse laut einem Bericht des „Spiegels“ mit den Ampelspitzen, als der Wagner-Vormarsch bereits im Gange war. Der Vorgang wiegt schwer, zumal die Früherkennung aus dem Ausland drohender Gefahren von internationaler Bedeutung eine der Kernaufgaben des BND ist.
Die Geheimdienst-Kontrolleure des Bundestags fordern nun Aufklärung. „Der BND ist ohne Zweifel gerade in diesen Zeiten ein relevanter Pfeiler unserer wehrhaften Demokratie“, sagte der Vorsitzende des Geheimdienstgremiums des Bundestags, Konstantin von Notz (Grüne), dem Handelsblatt. Umso wichtiger seien „funktionierende und effektive Strukturen“. Das Kontrollgremium werde sich nun „mit den aktuellen Fragen der Informationslagen und Kooperationen mit Partnerdiensten intensiv befassen“.
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner betonte: „Es ist im Interesse unserer Sicherheit zwingend erforderlich, dass solche Überraschungen künftig möglichst vermieden werden.“ Stegner, der auch dem Geheimdienstgremium angehört, bemängelte, dass die deutschen Dienste von Entwicklungen „zu häufig überrascht“ würden. Als Beispiele nannte er Fehleinschätzungen des BND zur raschen Machtübernahme der Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul im August 2021 und zum Überfall russischer Truppen auf die Ukraine.
Kubicki macht frühere Merkel-Regierung für BND-Versäumnisse verantwortlich
Den Ursachen hierfür müsse „politisch konsequent nachgegangen werden“, mahnte Stegner. „Das gilt auch für den Fall eines mangelnden Informationsaustauschs mit den Nachrichtendiensten unserer Verbündeten.“
Kanzler Scholz kündigte an, den Informationsfluss mit den Verbündeten besprechen zu wollen. Zu Berichten, dass die US-Geheimdienste angeblich früher Bescheid gewusst hätten, sagte er: „Das werden wir alle gemeinsam zu besprechen haben – auch was der Fall ist von den Dingen, die jetzt spekuliert werden.“
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Nach einem Bericht der „Washington Post“ haben die US-Geheimdienste Mitte Juni darüber Informationen erhalten, dass Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin eine bewaffnete Aktion gegen die Militärführung plane. Darüber seien etwa das Weiße Haus, das Pentagon und das Außenministerium informiert worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen. Die genaue Art der Pläne und der Zeitpunkt der Umsetzung seien aber unklar gewesen.
Der „New York Times“ zufolge unterrichteten Mitarbeiter der US-Geheimdienste am vergangenen Mittwoch hochrangige Militärs und Regierungsbeamte darüber, dass Prigoschin militärische Maßnahmen gegen die russische Verteidigungsführung vorbereite. Die Informationen, die der Zeitung vorlagen, zeigten demnach, dass die USA von bevorstehenden Ereignissen in Russland wussten.
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Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki lastete die Versäumnisse des BND der schwarz-roten Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an. „Es ist wieder offenbar geworden, dass Deutschland nach 16 Jahren Merkel Defizite bei seiner Sicherheitsarchitektur hat“, sagte Kubicki dem Handelsblatt. Bei der Bundeswehr habe die Ampel in kurzer Zeit schon viel erreicht. „Ich gehe davon aus, dass das Bundeskanzleramt auch im Bereich der Nachrichtendienste Maßnahmen ergreifen wird“, erklärte der FDP-Vize.
Scholz sieht Risse im System Putin, der BND nicht
Dass wahrscheinlich mehrere westliche Geheimdienste vor dem BND über die Pläne der Wagner-Söldner informiert gewesen seien, solle nun jedenfalls nicht zum Anlass genommen werden, „Beschwerdebriefe ins Ausland“ zu schreiben. Vielmehr müsse der BND zukünftig seine Hausaufgaben besser machen.
Grünen-Politiker von Notz wies indes auch darauf hin, dass der BND in der Vergangenheit immer wieder „sehr klar“ auf die Gefahren aus Russland, aber auch aus China hingewiesen habe, als das viele noch nicht hätten wahrhaben wollen. Gleichwohl sei mit Blick auf den Krieg in der Ukraine „völlig klar“, dass diese Zeitenwende auch bei den Diensten Wirkung und Veränderung zeigen müsste.
Kahl sah noch im Mai keine Anzeichen für eine Schwächung des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
(Foto: imago/photothek)
Das betrifft vor allem die Fähigkeit, an belastbare Informationen zu bekommen und daraus entsprechende Einschätzungen für das Regierungshandeln abzuleiten. Das Thema ist mit Blick auf Russland besonders sensibel. Das zeigt sich jetzt auch in Hinsicht auf das Vorgehen der Söldnergruppe Wagner.
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Kanzler Scholz geht davon aus, dass der abgebrochene Aufstand den russischen Präsidenten Wladimir Putin geschwächt hat. Der Aufstand zeige, „dass die autokratischen Strukturen, die Machtstrukturen Risse haben“ und Putin keineswegs so fest im Sattel sitze, wie er immer wieder behaupte.
Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, sah dagegen noch im Mai keine Anzeichen für eine Schwächung des russischen Präsidenten. Man sehe keine erkennbaren Risse im System Putin, sagte Kahl seinerzeit vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin.
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