Berlin Der Bundesrechnungshof warnt eindringlich vor der geplanten Reform der EU-Schuldenregeln. „Die Reform der EU-Fiskalregeln wird die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in der Europäischen Union nicht sichern. Es fehlen verbindliche Vorgaben, die den Abbau zu hoher Schulden zügig und nachhaltig sicherstellen“, heißt es in einem Gutachten des Bundesrechnungshofs an den Bundestag, das dem Handelsblatt vorliegt.
Die Bundesregierung müsse sich weiter für klare Schuldenvorgaben sowie für eine Begrenzung der Auslegungs- und Ermessensspielräume der EU-Kommission einsetzen. „Einer Reform des Regelwerks, die dies nicht sicherstellt, sollte die Bundesregierung nicht zustimmen“, fordern die Rechnungsprüfer.
Eine Reform der EU-Regeln ist nötig geworden, weil die Schuldenstände vieler EU-Staaten durch die Krisen der vergangenen Jahre inzwischen weit über das erlaubte Maß von 60 Prozent Verschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt gestiegen sind.
Würden die bestehenden Regeln weiter angewendet, müssten einige Länder einen harten Sparkurs fahren, den selbst Anhänger einer sparsamen Finanzpolitik für falsch halten. An den bisherigen Zielwerten von maximal 60 Prozent Gesamtverschuldung und maximal drei Prozent Haushaltsdefizit im Jahr hält die EU-Kommission in ihrem Vorschlag, der ab 2024 gelten soll, fest.
Künftig will die EU-Kommission zudem mit jedem EU-Land einen maßgeschneiderten mehrjährigen Schuldenabbauplan vereinbaren. Dessen Vorgaben fallen unterschiedlich strikt aus, je nachdem, wie stark verschuldet das Land ist.
„Vorschlag höhlt Maastricht-Kriterien aus“
„Das neue Regelwerk stellt jedoch nicht sicher, dass die Mitgliedstaaten die Referenzwerte mittel- bis langfristig einhalten werden“, warnt der Rechnungshof in seinem Gutachten. Sollte der Vorschlag in seiner jetzigen Form umgesetzt werden, „könnte dies die Maastricht-Kriterien aushöhlen“.
Die Bundesregierung müsse sich für „ausreichend ambitionierte und verbindliche quantitative Vorgaben einsetzen“, bis wann EU-Staaten ihre Schulden abgebaut haben müssten.
So hat der Bundesrechnungshof „erhebliche Zweifel“, dass hierfür ein Zeitraum von 60 Jahren oder mehr angemessen ist. „Ein Regelwerk, das den Schuldenabbau zeitlich derart ausufern ließe, würde das Signal senden, dass sich die Europäische Union de facto vom Maastricht-Schuldenstandskriterium und damit auch von langfristig tragfähigen öffentlichen Finanzen in den Mitgliedstaaten verabschiedet hat.“
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Die Opposition teilt die Bedenken des Bundesrechnungshofs. CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase sagt: „Um das Verhandlungsmandat der Bundesregierung zu stärken, sollten die Koalitionsfraktionen den Vorschlag des Bundesrechnungshofs aufgreifen und in einem Bundestagsbeschluss Leitplanken und Positionen schriftlich fixieren. Die Union würde sich einem solchen Vorgehen nicht verschließen.“
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gehen die Vorschläge der EU-Kommission zu weit. Er fürchtet, die europäischen Schuldenregeln würden durch ein Ausverhandeln zwischen EU-Kommission und EU-Mitgliedsstaaten zu stark politisiert.
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„Die Konsolidierung der Haushalte ist keine Verhandlungssache“, heißt es aus Lindners Haus. „Vorschläge, die in Richtung einer Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts weisen, können nicht akzeptiert werden.“ Die EU brauche Schuldenregeln, „die für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.
Die Bundesregierung hatte der EU-Kommission deshalb Anfang April einen eigenen in der Ampel-Regierung abgestimmten Vorschlag für eine Reform übermittelt. Danach sollen hochverschuldete Länder künftig ihre Schuldenstandsquoten jährlich um mindestens einen Prozentpunkt senken, Staaten mit einer mittleren Verschuldung um mindestens 0,5 Prozentpunkte im Jahr, Die Länder sollen das solange machen bis die Schuldenstandsquote nicht mehr über 60 Prozent liegt – die aktuell gültige Schuldenobergrenze.
EU-Kommission lehnt Vorschlag Deutschlands ab
Die EU-Kommission lehnt den deutschen Vorstoß ab. Die Kommission wolle „hochverschuldeten Ländern mehr Eigenverantwortung geben – kombiniert mit einer strengeren Durchsetzung der gemeinsamen Regeln“, hatte EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis dem Handelsblatt gesagt. Allgemeingültige Vorgaben zum Schuldenabbau passen daher nicht in das Brüsseler Konzept.
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Die EU-Kommission kann dabei auf die Unterstützung Südeuropas zählen. Es ginge bei dem Vorschlag der EU-Kommission nicht darum, Schuldenregeln zu einer Verhandlungssache zu machen, sondern darum, „eine nachhaltige öffentliche Finanzierung zu erreichen, die auch von unserer Investitions- und Wachstumsfähigkeit abhängt“, sagte Laurence Boone, Europa-Staatssekretärin der französischen Regierung und frühere Chefökonomin der Industrieländerorganisation OECD, dem Handelsblatt.
Die starren Schuldenregeln der Vergangenheit hätten diese Zweck nicht erfüllt und seien deshalb zu oft nicht eingehalten worden, so Boone. „Also lasst uns jetzt die Regeln korrigieren und sicherstellen, dass sie besser geeignet sind.“
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