Washington US-Präsident Joe Biden hat nach zweieinhalb Jahren im Amt einige Errungenschaften vorzuweisen: Die Wirtschaft scheint robust, Investitionen boomen. Biden fängt an, mit Hinweisen darauf für seine Wiederwahl 2024 zu werben.
Doch bislang spiegelt sich der wirtschaftliche Erfolg nicht in Beliebtheitswerten wider, auch Vizepräsidentin Kamala Harris rutscht ins Umfragetief. Parallel wird eine erneute Kandidatur von Donald Trump immer wahrscheinlicher. Der Ex-Präsident gilt trotz mehrerer Strafprozesse als Favorit der Republikaner.
In dieser Gemengelage führt jeder politische Angriff, der Bidens Position infrage stellt, zu Nervosität unter US-Demokraten. Der frühere Bauminister Julián Castro äußerte „Sorge um die Wählbarkeit Bidens“. Anlass waren kurzzeitig steigende Umfragewerte für Robert F. Kennedy junior.
Der 69-Jährige fordert Biden heraus und bewirbt sich auf die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, ebenso wie die Buchautorin Marianne Williamson. „Ich möchte meine Partei zurück“, so begründete Kennedy in dieser Woche seine Pläne bei einem Fernsehauftritt. Er wirft Biden zu hohe Staatsausgaben vor, will die USA aus der Verteidigung der Ukraine zurückziehen und den Freihandel einschränken.
Kennedy ist der Sohn des früheren US-Justizministers Robert F. Kennedy und Neffe des im Amt erschossenen US-Präsidenten John F. Kennedy. Zwar liegt Biden in Umfragen an der demokratischen Basis mit über 60 Prozent weit vor Kennedy, der auf Werte zwischen acht und zwölf Prozent kommt.
Kennedy macht Antidepressiva für Massenschießereien an Schulen verantwortlich
Doch als Kennedy Mitte Juni in einigen Vorwahl-Staaten plötzlich mehr als 20 Prozent erreichte, wuchs die Aufmerksamkeit. Der Sender CNN berichtet inzwischen sogar über Kennedys tägliches Liegestütztraining „mit nacktem Oberkörper“.
Dabei kritisieren selbst einige Mitglieder des Kennedy-Clans den Bewerber als Populisten und Verschwörungstheoretiker. In den 90er-Jahren wurde er als Umweltaktivist bekannt, aber auch als radikaler Impfgegner, der gängige Impfstoffe für Kinder, etwa gegen Masern, ablehnt.
In den Impfdebatten der Pandemie traf er damit einen Nerv: 2020 verdoppelte sich das Vermögen seiner Anti-Vakzin-Organisation „Children‘s Health Defense“.
Kürzlich hielt er eine Twitter-Townhall mit Elon Musk ab, pries den Bitcoin als „Bollwerk gegen Totalitarismus“ und machte Antidepressiva für Massenschießereien an Schulen verantwortlich.
Bidens Alter lässt Wähler zweifeln
Kennedys relativ hohe Popularität sei „eine Erinnerung daran, dass es eine Sehnsucht nach einer Biden-Alternative gibt“, kommentierte die „New York Times“, gerade angesichts des fortgeschrittenen Alters des Präsidenten.
Laut einer Umfrage des Senders NBC sorgen sich mehr als zwei Drittel der US-Amerikaner um Bidens „physische und mentale Verfassung“.
Die Republikaner um Trump scheinen jetzt in Kennedy einen Verbündeten gewinnen zu wollen, der Bidens öffentliches Image zusätzlich ankratzen soll. „Er ist ein sehr kluger Mann und ein guter Kerl“, sagte Trump in dieser Woche über Kennedy.
Kennedy habe im offiziellen Nominierungsprozess keine Chance, betonen Strategen. Dafür hat er zu wenige Unterstützer.
Als gefährlicher für den Präsidenten sehen Teile der Partei die Konkurrenz von außerhalb: politische Splittergruppen und sogenannte Drittparteien.
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So arbeitet die nach eigenen Angaben parteiübergreifende und zentristische Organisation „No Labels“ daran, einen sogenannten Einheitskandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2024 aufzustellen. „Wir wollen der Mitte eine Stimme geben“, erklärte Geschäftsführerin Nancy Jacobson.
Zwar hat noch nie in der 247-jährigen Geschichte der USA ein Kandidat außerhalb der beiden etablierten Parteien gewonnen. Doch wenn die Mehrheiten knapp sind, kann der Wahlsieg davon abhängen, welcher Kandidat weniger Konkurrenz von Drittparteien und Splittergruppen hat.
„Ein ,No-Labels‘-Kandidat würde sehr wahrscheinlich dafür sorgen, dass Trump die Präsidentschaftswahl für sich entscheidet“, warnen der Politikprofessor Al From und der republikanische Stratege Craig Fuller in der „Washington Post“. Biden habe 2020 bewiesen, dass er Trump besiegen kann. „Aber ein Kandidat einer dritten Partei ändert diese Rechnung dramatisch“, argumentieren sie.
Eine weitere Drittpartei könnte Biden gefährlich werden
„Wenn er oder sie auch nur einen kleinen Teil der Anti-Trump-Stimmen von Biden wegnimmt, wird Trump wahrscheinlich wieder ins Weiße Haus einziehen. Deshalb stellen die Bemühungen von No Labels eine solche Gefahr für unsere Demokratie dar.“
Grund dafür sei, dass im amerikanischen Wahlsystem nicht die Mehrheit der Gesamtstimmen, der sogenannte „popular vote“, entscheidet, sondern die Mehrheit einer Handvoll umstrittener Swing-Staaten.
Biden habe in diesen kritischen Staaten „fast keinen Spielraum für Stimmverluste“. Bislang hat „No Labels“ keinen offiziellen Parteistatus beantragt, kein politisches Programm und keinen Kandidaten. Doch die Gruppe hat sich bereits einen Platz auf den Wahlzetteln in Arizona, Colorado, Alaska und Oregon gesichert.
Laut dem Analyseportal Five Thirty Eight ist das Potenzial von „echten“ unabhängigen Wählern kleiner als angenommen. Wenn es darauf ankomme, wählten die meisten Menschen in den USA den Kandidaten oder die Kandidatin einer der etablierten Parteien. „Die allergrößte Wahrscheinlichkeit ist es, dass ein Demokrat oder ein Republikaner am 20. Januar 2025 den Amtseid ablegen wird – und dass die anderen Gruppen keinen einzigen Bundesstaat gewinnen.“
Das Umfrageinstitut Emerson College Polling stützt dennoch die Theorie einer Drittparteien-Gefahr für Biden. Emerson hat analysiert, wie ein Kandidat der Grünen-Partei sich auf das Wahlergebnis auswirken würde.
Die Grünen traten in den USA unter anderem im Jahr 2016 an. Teile der Demokraten werfen der damaligen Kandidatin Jill Stein vor, sie habe Hillary Clinton damals den Sieg gegen Trump verbaut – eine Theorie, die unter Wahlforschern umstritten ist.
Dieses Mal könnte der frühere Harvard-Professor Cornel West für die Grünen ins Rennen ziehen. Der schwarze Linksaktivist war sehr engagiert bei den Präsidentschaftskandidaturen von Bernie Sanders und hat im Juni angekündigt, sich mit den Grünen zusammentun zu wollen. Er wird dabei von Stein persönlich unterstützt.
Laut Emerson könnte Wests mögliche Kandidatur Biden mehr schaden als Trump. Aktuell liegen Biden und Trump in der Wählergunst beinahe gleichauf, analysiert das Institut. Ohne West auf dem Stimmzettel würde demnach Biden knapp vorn liegen, mit West läge Biden knapp hinten. West sei populär unter schwarzen und jungen Wählern, zwei wichtigen Zielgruppen der Demokraten.
Mehr: Der Supreme Court der USA ist konservativ, aber nicht radikal
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