Wien Immer, wenn neue Zahlen zu russischen Gasimporten zirkulieren, bricht in der Wiener Regierungszentrale Aufregung aus: Immerhin liefert der teilstaatliche Konzern Gazprom den Energieträger nach Österreich, und wer mit ihm Geschäfte macht, finanziert auch Russlands Regime und dessen Krieg in der Ukraine. Im April lag der Anteil russischen Gases an den Gesamtimporten bei hohen 64 Prozent, wie jüngst bekannt geworden ist.
Entsprechend heftig fielen die Reaktionen aus. Die Abhängigkeit von Russland sei zu hoch, sagte etwa die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler. Vor dem Großangriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hatte Österreich bis zu 80 Prozent seines eingeführten Erdgases aus Russland bezogen. Stark abhängig von Gazprom waren auch die ehemaligen sowjetischen Bruderländer Ungarn, Slowakei und Tschechien.
Offiziell will Österreich zwar erst 2027 kein Gas mehr aus Russland beziehen, die Regierung wäre jedoch froh, die Quote schon vorher drastisch drücken zu können. Das dürfte schwierig werden: Tatsächlich hängt Österreich am Gängelband von Russlands Präsident Wladimir Putin. Er bestimmt die Spielregeln, nicht Österreich.
Das Erdgas fließt über die Pipeline „Brüderlichkeit“ von Westsibirien via Ukraine und Slowakei zur Drehscheibe „Baumgarten“ im Osten Österreichs. Gazproms Geschäftspartner ist die teilstaatliche Energie- und Petrochemiefirma OMV.
Sie hat mit den Russen zwei Gasverträge: einen für Deutschland, der bis 2030 läuft, und einen für Österreich mit einer Laufzeit bis 2040. Nach Deutschland liefert Gazprom im Rahmen des OMV-Vertrags allerdings kein Gas mehr.
2014 unterschrieben der damalige OMV-Chef Gerhard Roiss (l.) and Gazprom-CEO Alexei Miller einen Vertrag, der Österreichs Energieabhängigkeit verstärkte.
Die Details des österreichischen Vertrags kennt nur die OMV-Führung, nicht aber die Regierung. Der österreichische Staat ist mit einem Anteil von 31,5 Prozent indirekt zwar Großaktionär von OMV, aber der Vertrag unterliegt dem Geschäftsgeheimnis, und selbstverständlich bekommt die Regierung gegenüber anderen Aktionären keine Vorzugsbehandlung.
Eine Klausel ist allerdings bekannt, und sie bereitet der Regierung und OMV Kopfzerbrechen: die Vereinbarung „Take or Pay“. Das bedeutet, dass OMV das Gas bezahlen muss, ob sie es abnimmt oder nicht.
Putin ist allerdings in noch einer Hinsicht in einer besseren Position als OMV. Wenn die Russen den Gashahn öffnen, kommt die Energie später zwangsläufig in Baumgarten an, und Großhändler sind in jedem Fall dankbare Abnehmer. Falls Österreich das Gas nicht will, gibt es deshalb nur eine Lösung: Es in Baumgarten abzufackeln.
Österreich sitzt in der Falle. Das Land hatte als erster westeuropäischer Staat 1968 mit der Sowjetunion einen Gasliefervertrag abgeschlossen. Heute gilt Österreich als derjenige Staat, der es fahrlässig verpasst hat, sich von russischem Pipelinegas unabhängiger zu machen.
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Allerdings: Nicht alles Gas, das via Pipeline nach Baumgarten fließt, wird auch in Österreich verbraucht. Im Juni kamen laut dem Gastransitmanager AGGM zwar 8,4 Milliarden Kilowattstunden davon ins Land, 3,5 Milliarden Kilowattstunden davon flossen aber auch wieder ins Ausland, vor allem nach Ungarn und Slowenien. In den Monaten zuvor war Gas via Baumgarten auch nach Italien geströmt.
Während Österreich ein Ende der Gaslieferbeziehung zu Russland herbeisehnt, setzt Ungarn gezielt auf Putins Energie. Das Land erhält Gas nicht nur über den Knoten Baumgarten, sondern auch über die Turkstream-Pipeline aus Südrussland. Erst im Frühjahr hat das Land Verträge über zusätzliche Lieferungen abgeschlossen. Ungarische Regierungsvertreter sagten, man werde wohl bis 2050 Gas aus Russland beziehen.
Putin ist also in Europa weiterhin gut im Geschäft, was aber nicht heißt, dass Gazprom seinen Verpflichtungen jederzeit nachkommt. Zwar erfüllt Gazprom die Verträge momentan zu 100 Prozent, doch das ist durchaus kein Dauerzustand. Im Herbst vergangenen Jahres etwa betrug die gelieferte Menge lediglich 30 bis 70 Prozent des mit OMV vereinbarten Umfangs.
Der russische Energiekonzern Gazprom ist für Österreich zum Problem geworden.
(Foto: AP)
Russland ist somit ein unzuverlässiger Partner, auch weil Putin mit Gas weiterhin Politik betreibt. Deshalb würden Österreich und OMV ihren Geschäftspartner Gazprom nicht nur aus moralischen Gründen gern loswerden.
Gleichzeitig ist Österreichs Haltung widersprüchlich. So unangenehm dem Land die Gasbeziehung zu Russland ist, so sehr wird es von Schockwellen erfasst, wenn es wieder einmal heißt, die Gasversorgung aus Russland stehe auf der Kippe.
Als der stellvertretende Energieminister der Ukraine, Jaroslaw Demchenkow, vor einem Monat in Wien andeutete, dass der Transitvertrag zwischen dem Netzbetreiber Naftogaz und Gazprom nur bis Ende 2024 bestünde und man diesen nicht verlängern werde, brach in Österreich Hektik aus.
Die Gasversorgung sei gesichert und die Lieferungen kämen weiterhin an, teilte das Energieministerium eilig mit. Und die Regulierungsbehörde E-Control meinte, man könne auch ab 2025 noch Gaspipeline-Kapazitäten durch die Ukraine buchen, das sähen die internationalen Regeln so vor.
Für Energieexperten in Österreich ist die Sache klar: Kurz- und mittelfristig wird Österreich das Problem mit dem russischen Gas wohl nur los, wenn die EU ein Gasembargo gegenüber Russland verhängt.
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