Jul 3, 2023
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AfD: Sorge um Standort Deutschland – Anti-AfD-Strategie verzweifelt gesucht

Written by Dietmar Neuerer


Berlin Der nächste Erfolg für die AfD: In der sachsen-anhaltinischen Stadt Raguhn-Jeßnitz stellt die Partei erstmals in Deutschland einen hauptamtlichen Bürgermeister, am Sonntag setzte sich ihr Kandidat in einer Stichwahl durch.

Und in bundesweiten Umfragen sehen mehrere Institute die AfD mittlerweile bei 19 oder sogar 20 Prozentpunkten und damit vor der Kanzlerpartei SPD. Vor allem das Umfragehoch der AfD in Ostdeutschland wird genau beobachtet.

Denn im September 2024 wird in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt – und in den beiden Freistaaten ist die Partei in Umfragen mit 28 Prozent derzeit stärkste politische Kraft.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hält das für fatal. „Das größte Standortrisiko für Ostdeutschland ist die AfD“, sagte er kürzlich auf einer Bürgerveranstaltung im thüringischen Weimar. Er fürchte, dass sich wegen der Partei im Osten „nicht noch mehr Großunternehmen mit gut bezahlten Arbeitsplätzen“ ansiedeln könnten.

Dieses Szenario halten auch Regierungsvertreter vor Ort für möglich. Die jüngsten AfD-Erfolge bei Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt und im thüringischen Sonneberg haben die Sorgen noch verstärkt. „Sonneberg kann sich morgen überall in der Bundesrepublik wiederholen“, sagte Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) dem Handelsblatt.

Im Kreis Sonneberg hat der AfD-Politiker Robert Sesselmann am Montag sein Amt als Landrat angetreten, nachdem er sich zuvor in einer Stichwahl gegen den Kandidaten der CDU durchgesetzt hatte.

Wovon die AfD profitiert

Zwar zeigten Umfragen auch, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung und Unternehmen weltoffen sei und die Demokratie verteidige. „Dennoch betrachte ich die Entwicklung hin zur Hoffähigkeit und Akzeptanz der AfD mit sehr großer Sorge“, fügte der Minister hinzu. „Eine Partei, die das Land abschotten will und ausländerfeindliche Klischees bedient, ist Sand im Getriebe der Wirtschaft.“

Ostermarsch in Chemnitz

Die Partei gewinnt offenbar durch öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten innerhalb der Ampel an Stärke.

(Foto: IMAGO/HärtelPRESS)

Ähnlich sieht es Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach. Die Unternehmen seien bei Fachkräften auch auf Personal aus dem Ausland angewiesen. „Damit dies gelingt und die gewonnenen Fachkräfte auch bleiben, braucht es eine Kultur des Willkommens und aktive Unterstützung beim Ankommen in der neuen Heimat – sowohl im Unternehmen als auch in der Kommune, in der Gesellschaft“, sagte der SPD-Politiker dem Handelsblatt.

In der AfD wird das anders gesehen. Deutlich wurde dies zuletzt bei der abschließenden Bundestagsdebatte über das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz. Die Partei stellte sich klar gegen das Vorhaben – ungeachtet der Tatsache, dass die Wirtschaft die Ampelpläne unterstützt.

Der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter wetterte gegen das Gesetz, das aus seiner Sicht lediglich dafür sorge, „dass jeder reinkommt, aber keiner rausfliegt“. Deutschland benötige zwar Fachkräfte, aber eben nicht aus dem Ausland.

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Es sind auch solche Behauptungen, die der AfD derzeit Wähler zutreiben, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer, zu dessen Forschungsschwerpunkten rechtsextreme Parteien in Europa zählen. „Wie in der Vergangenheit auch schon kann die AfD von den sehr großen Fluchtbewegungen und vom öffentlich ausgetragenen Streit um die Versorgung der Geflüchteten beziehungsweise deren Finanzierung profitieren“, sagte er.

Die AfD sei zudem „aktuell die einzige Partei, die sich klar gegen die Unterstützung der Ukraine positioniert und die mit dem Krieg und seinen Folgen verborgene Sorgen und Ängste schürt, um davon zu profitieren“.

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke beschwört schon ein „politisches Erdbeben“ bei den drei Landtagswahlen im Osten im kommenden Jahr. Aktuell scheint das nicht unwahrscheinlich, glaubt der Dresdener Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Die momentane Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik sei ein „fruchtbarer Boden für die AfD“.

Das stellt auch der Verband der Wirtschaft Thüringens (VWT) fest. „Freiheit hat in Ostdeutschland einen besonderen Stellenwert“, gab VWT-Hauptgeschäftsführer Stephan Fauth zu bedenken. Greife die Politik zum Mittel der Verbote und Reglementierungen, löse das in der Folge Unzufriedenheit und geringe Akzeptanz aus.

Grafik

Zum Beleg wies Fauth auf regelmäßige Umfragen der Landesregierung hin – dem sogenannten Thüringen Monitor. In der jüngsten Erhebung fühlten sich mit Blick auf den Bund 69 Prozent der Befragten in Thüringen „politisch abgehängt“, bezogen auf die Landesebene waren es 41 Prozent.

Kanzler Scholz will die AfD mit Entscheidungen zu Alltagsproblemen der Bürger stoppen

Fauth hält die Entwicklung für problematisch. „Eine weitere Stärkung rechtsextremer Kräfte schadet nicht nur dem Wirtschaftsstandort Thüringen, sondern auch dem Freistaat, denn das Fachkräftepotenzial ist weitgehend ausgeschöpft“, sagte er. „Wir brauchen Zuwanderung und möchten, dass sich diese Menschen in Thüringen auch willkommen fühlen.“

Wolfgang Tiefensee

„Sonneberg kann sich morgen überall in der Bundesrepublik wiederholen“, sagte Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD).

(Foto: IMAGO/Jacob Schröter)

Das ist jedoch nicht einfach umzusetzen. „Wegen der Sprache und der bürokratischen Hürden ist es für Deutschland ohnehin schwerer als für viele andere Länder, Fachkräfte zu rekrutieren“, gibt Politikwissenschaftler Arzheimer zu bedenken. „Wenn man dann noch vermittelt bekommt, nicht willkommen zu sein und vielleicht sogar Verfolgung fürchten zu müssen, macht das den Standort nicht attraktiver.“

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Bei der Suche nach einem Ausweg aus dem Dilemma tun sich die Parteien erkennbar schwer. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und SPD-Chef Lars Klingbeil wollen den Höhenflug der AfD mit Entscheidungen zu Alltagsproblemen der Bürger stoppen.

Es sei nötig, den Menschen eine positive Zukunftsperspektive zu geben und ihnen Respekt zu zeigen, sagte Scholz in der ARD. Klingbeil nannte Löhne, Wohnen, Rente und bezahlbare Energie als Themen, bei denen „gute Politik“ gefordert sei.

Auch die Thüringer Wirtschaft rät, sich stärker um die Menschen vor Ort zu kümmern. Die Politik müsse Antworten auf das weit verbreitete Gefühl des Abgehängtseins liefern, sagte VWT-Hauptgeschäftsführer Fauth.

Wichtig sei hierbei, die Lebensqualität der Menschen vor Ort „spürbar“ zu verbessern. Fauth nannte als Beispiel den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf dem Land. „Oft fahren dort nur noch Schulbusse regelmäßig.“

Olaf Scholz

Kanzler Scholz will die AfD mit Entscheidungen zu Alltagsproblemen der Bürger stoppen.

(Foto: IMAGO/Political-Moments)

Brandenburgs Wirtschaftsminister Steinbach mahnte: „Wir dürfen auf die Polemik der AfD nicht polemisch, sondern müssen mit Sachlichkeit und seriöser, lösungsorientierter Politik reagieren.“ Eine Aufgabe bestehe etwa darin, für die Menschen gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen und insbesondere die Regionen zu unterstützen, die weniger finanzstark seien. „Eine kluge Ansiedlungs- und Investitionspolitik gehört dazu ebenso wie die finanzielle Ausstattung von Kommunen.“

In Thüringen will Landeswirtschaftsminister Tiefensee den Fokus stärker auf die AfD-Wähler legen, die der Programmatik der Partei aus seiner Sicht häufig gar nichts abgewinnen könnten, aber aus Unzufriedenheit dennoch mit ihr sympathisierten. „Die Leute kann man zurückgewinnen, wenn man offen und ehrlich argumentiert und vor allem konstruktiv politisch handelt.“

Hier sieht Tiefensee aber auch die Wirtschaft in der Verantwortung. „Ich appelliere daher bei jeder sich bietenden Gelegenheit, zum Beispiel an die Geschäftsführer von Unternehmen, sich nicht wegzuducken, sondern aktiv den Diskurs zu suchen.“

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Politik

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