Jul 3, 2023
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Wettbewerb: Ampel gibt dem Kartellamt einschneidende Befugnisse

Written by Julian Olk



Berlin Erst Blockade, dann Marathonverhandlung, dann Einigung. Das Muster für Gesetze der Ampelkoalition gilt auch beim Wettbewerbsrecht. In der Nacht von Samstag auf Sonntag um kurz vor zwei Uhr stand die Einigung, die die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP am Montag offiziell verkündet haben: Der grundlegende Umbruch im Kartellrecht wird vollzogen. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch spricht von der „größten Reform seit Ludwig Erhard“. Noch diese Woche soll das erneuerte Wettbewerbsgesetz im Bundestag beschlossen werden.

Damit wird das Bundeskartellamt in Zukunft schon in Märkte eingreifen können, wenn dort kein richtiger Wettbewerb herrscht, etwa, wenn keine neuen Unternehmen dem Markt beitreten können. Dort kann es Maßnahmen durchsetzen, von der Offenlegung von Daten, Vorgaben für die Vertragsgestaltung der Unternehmen bis zur Zerschlagung von Konzernen als letztes Mittel.

Bislang konnte die Behörde nur eingreifen, wenn sie illegales Verhalten wie Preisabsprachen feststellte. Erste Anwendungsfälle könnten die Zementindustrie, der Möbelhandel und die Raffinerie-Branche sein. Bei Letzterem hätte ein Eingreifen des Kartellamts wohl großen Einfluss auf die Spritpreise.

Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold spricht von einem neuen Standard für Europa, der für mehr Wettbewerb auf vermachteten Märkten sorge. „Nun ist die EU-Kommission am Zug dem britischen und deutschen Beispiel zu folgen“, sagte Giegold dem Handelsblatt.

Vor allem die FDP hatte lange mit dem Vorhaben aus dem Haus von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gehadert. Bei den Liberalen standen sich die Flügel gegenüber, die einen übergriffigen Staat durch die Reform fürchteten, und die, die besser funktionierende Märkte durch mehr Wettbewerb gutheißen.

Letzte Änderungen betreffen den Mittelstand

Schon ein halbes Jahr hatte Habeck mit Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann das Gesetz verhandelt, im April folgte der Kabinettsbeschluss. Im Bundestag geriet das Gesetz dann nochmals auf die Kippe. Einige FDP-Fachpolitiker wollten den Kern des Gesetzes noch mal neu diskutieren, was für einen zwischenzeitlichen Abbruch der Gespräche sorgte. Dazu kam es aber nicht, die Fraktionsvorstände sorgten nun für die Einigung.

Nach Handelsblatt-Informationen hat die FDP dabei noch ein paar Änderungen erwirkt. Wenn ein Unternehmen den Wettbewerb stört, reicht das nicht allein für einen Eingriff. Es muss auch wesentlich dazu beitragen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher dadurch einen Nachteil haben, etwa höhere Preise. Deshalb wurde klargestellt, dass das Kartellamt vor einem Eingriff prüfen muss, ob das Unternehmen eine signifikante Bedeutung für den Markt aufweist.

Aus dem überarbeiteten Gesetz geht hervor, dass dafür eine Formulierung wie folgt angepasst wird: „Adressaten von Maßnahmen können Unternehmen sein, die durch ihr Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen.“

FDP-Wirtschaftspolitiker Gerald Ullrich sagt: „Somit wird es unwahrscheinlich, dass mittelständische Unternehmen von Maßnahmen des Kartellamtes getroffen werden.“ Darüber hinaus wird im Gesetz ergänzt, dass Einsprüche gegen Maßnahmen des Kartellamts eine aufschiebende Wirkung haben. Jeder Eingriff in den Markt muss zuvor gerichtlich überprüft werden.

Sebastian Roloff (SPD)

„Wir machen die sogenannte Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts zu einem effektiven wettbewerbsrechtlichen Instrument.“

(Foto: Imago Images)

Die Kriterien im Gesetz gelten auch für Zusammenschlüsse von Unternehmen, allerdings erst ab einer bestimmten Größe. Die dafür geltende Schwelle haben die Koalitionäre angepasst: Unternehmen fallen erst unter die Regelungen, wenn sie im vergangenen Geschäftsjahr Erlöse von mehr als einer Million Euro gemacht haben. Zuvor waren 500.000 Euro geplant.

Trotz der Änderungen entstehe mit den neuen Eingriffsmöglichkeiten des Kartellamts ein „effektives wettbewerbsrechtliches Instrument“, sagt SPD-Wirtschaftspolitiker Sebastian Roloff.

>> Lesen Sie hier: Wie die FDP mit Habeck um die neue Wettbewerbspolitik rang – und mit sich selbst

Das Gesetz wurde von den Geschäften der Ölkonzerne inspiriert. Im Frühsommer 2022, nach Beginn des Ukrainekriegs, stiegen die Spritpreise immer weiter – obwohl die Ölpreise wieder zurückgingen. Fehlender Wettbewerb zwischen Tankstellen und Raffinerien machte das möglich.

Das Kartellamt konnte nicht eingreifen, denn illegale Preisabsprachen waren nicht nachweisbar Um das zu ändern, legte Habeck im September seinen Gesetzentwurf vor. Der hatte die neue Säule im Kartellrecht für die Wirtschaft allgemein schon zuvor angedacht. Mit der Diskussion um die Spritpreise bot sich dann die Gelegenheit.

Brandbrief der Industrielobby: „Destruktives Signal für Deutschland“

Der Vorschlag hatte massiven Protest von Wirtschaftsverbänden ausgelöst. Den nahmen die Ressorts der Bundesregierung aber nur graduell auf. Justizminister Buschmann erwirkte vor dem Kabinettsbeschluss noch einige Änderungen, schraubte die Hürden für Eingriffe des Kartellamts höher. Der Kern des Gesetzes aber blieb bestehen.

Ende Juni unternahm der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) einen letzten Anlauf. Der mächtige Verband wandte sich mit einem Brandbrief an die zuständigen Abgeordneten und forderte erneut die Entkernung des Gesetzes. Ansonsten drohe ein „Systembruch, der ein ausgesprochen negatives bis destruktives Signal für Investitionen und Innovation zum Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland setzt“, heißt es in dem Dokument, das dem Handelsblatt vorliegt.

Bundeskartellamt

Behördenchef Andreas Mundt, FDP-Mitglied, erhält durch das neue Gesetz einen erheblichen Machtzuwachs.

(Foto: Imago Images)

Ökonomen hingegen unterstützen das Vorhaben mehrheitlich, ebenso Kartellamtspräsident und FDP-Mitglied Andreas Mundt. Der Behördenchef ist nun als Nächstes am Zug, nachdem der Bundestag diese Woche seinen Beschluss fassen wird. In der Bonner Behörde laufen bereits die Vorbereitungen zur Umsetzung der massiven neuen Befugnisse. Sie braucht Personal und neue Arbeitsweisen.

Und Habecks Beamte schreiben bereits an der nächsten Novelle des Wettbewerbsgesetzes. Diesmal soll es um eine neue Option für rechtssichere Kooperationsmöglichkeiten in Klimaschutzfragen für Unternehmen gehen. Auch das verspricht neue Diskussion mit der FDP.

Mehr: Finanzminister Lindner warnt vor Abstieg des Wirtschaftsstandorts



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Politik

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